Plattenkritik: Shed – Towards East (TFE)Sonne und Beton
16.10.2023 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannMelancholischer Techno-Abriss.
Diese Review beginnt mit einem kleinen Stück Stadtgeschichte für alle Nicht-Berliner:innen. Unweit des Bahnhofs Friedrichstraße befindet sich das „Kulturkaufhaus“ Dussmann. Dussmann ist eigentlich ein klassischer Mischkonzern: Von Gebäudereinigung über Catering bis zu Pflegeangeboten lassen sich Dienstleistungen buchen und einkaufen. Und dann gibt es eben dieses Kulturkaufhaus. Bücher, Schreibwaren, Kalender, ein bisschen Nippes und – wichtig – Tonträger, seit dem Vinyl-Boom auch jede Menge Schallplatten. Der Laden ist so schlecht nicht, auch wenn er natürlich, um im Jargon zu bleiben, ein Major ist. Wer Dinge aus der Nische sucht, ganz egal welcher, wird hier eher nicht fündig. Das Angebot ist groß, aber auch sehr vorhersehbar. Kulturkonsum halt. Betterov stürzte sich in seinem Song „Dussmann“ aus der obersten Etage gen Erdgeschoss, wo er direkt in der Vinyl-Abteilung landete. Fand das Marketing von Dussmann toll und buchte den Musiker gleich für eine Live-Session.
Vinyl findet man bei Dussmann toll. So toll, dass es seit 2022 mit „Edition Dur“ ein eigenes Label gibt, das nur Schallplatten veröffentlicht. Ambitioniertes A&R, durchaus: Thomas Fehlmann, Paul Frick und Oval zum Beispiel. Und: Shed. Angehört hatte ich mir „Towards East“ nicht, als das Album im letzten Jahr dort erschien. Nun gibt es die Platte endlich auch digital. Wie konnte ich die Zeit seit der Veröffentlichung nur ohne diese Tracks ertragen?
René Pawlowitz ist der Meister des eleganten Bollerns. War er immer, wird er immer bleiben. Und der Begriff „Bollern“ ist natürlich nur ein unscharfer Stellvertreter für ein Klangkosmos, das viel mehr ist. Ganz egal mit welchen Pseudonym er unterwegs ist: Seine Musik ist immer etwas Besonderes. Shed ist futuristischer Archivar unserer Dancefloor-Kultur. Mal laut, mal leise, mal 4/4, mal Breakbeat. Dringlich ist das immer. Ob auf seinen eigenen Labels, auf Monkeytown oder Ostgut Ton.
Warum schreibe ich das nun alles? Und warum hatte ich mir die Platte nach Release nicht angehört? Mir kam das komisch vor. Shed auf Dussmann. Warum denn? Warum denn nicht hätte ich genauso fragen können, die Sache mit dem Underground hat sich doch ohnehin erledigt und war darüber hinaus auch schon lange nicht mehr schlüssig. Spannt man den Bogen weit auf, wirklich sehr weit, würde ich mir mit meinem Zweifel ohnehin selbst ein Bein stellen. Haben nicht Laurent Garnier und Ludovic Navarre ihre wichtigsten Platten bei Fnac veröffentlicht? Einer Ladenkette, die damals in Frankreich ein ganz ähnliches Konzept fuhr wie Dussmann in Berlin heute? Also: Klappe halten, Thaddi.
Die acht Tracks auf „Towards East“ klammern Sheds bisherigen Output auf ganz wundersame und wundervolle Weise zusammen. Und setzen doch neue Akzente. Auch wenn die Breakbeats oldschoolig rattern („Absolute“), ist die Stimmung dieser LP anders. Ruhiger. Gar sanft. Melodisch-melancholisch verspielt. Verrauscht und improvisiert. Ganz bewusst einfach gehalten und hingestellt. Euphorie kennt viele Gesichter. In der vergangenen Woche wurde mir das bewusst. Da saß ich auf einer Terrasse im 7. Stock und blickte über Athen. Zählte die Solaranlagen auf den Dächern. „Sonne und Beton“ in echt. Die Tracks auf „Towards East“ machten diese Stimmung, die Eindrücke perfekt und eindrücklich. Für mich packte Shed die griechische Hauptstadt in den Orchestergraben der Überforderung. Für Pawlowitz sind es die Berliner Referenzen, die triggern. „KMA“, „Reichenberger“ zeigen die Richtung. Wir sind immer getrieben. Suchen Halt. Ich finde diesen Halt in der Musik von René Pawlowitz. Der hoffentlich bald mal Betterov trifft. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die beiden gut verstehen könnten. Gerade dann, wenn sie nicht über Dussmann sprechen.