Plattenkritik: Ruxpin & Stafrænn Hákon – Meet Me In Forever (Sound In Silence)Gitarren-Indie und Elektronik. Wie früher, nur anders
3.3.2023 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannZwei Isländer erfinden den musikalischen Hype ihres Heimatlandes neu.
„Stop me if you've already seen this“, sagte Steve Jobs 2010 bei der Vorstellung des iPhone 4. Warum sagte er das? Ein betrunkener Apple-Mensch hatte einen Prototyp des Smartphones in einer Bar liegen lassen, Bilder des Handys waren all over the internet im Vorfeld der Keynote am 7. Juni diesen Jahres.
Ich sage: „Stop me if you've already heard this.“ Damit ich meine ich weniger die Musik von Ruxpin und Stafrænn Hákon – weil die ist ja neu –, sondern eher die Geschichte, die ich um ihr gemeinsames Debüt bauen möchte. Meine Verbundenheit zur Electronica der 1990er- und Nullerjahre ist hinlänglich bekannt. Nun mal wieder so ein Album für unsere wöchentliche Platten-Kolumne zu picken, mag altbacken scheinen. Ganz ehrlich: Ist es aber nicht. Denn auch, wenn es hier und da bitzelt und knispelt, ist „Meet Me In Forever“ viel mehr Gitarren-Indie mit elektronischen Beats der Golden Era als andersherum. Auch dieser Ansatz wurde schon millionenfach durchgespielt, na klar, und war auch die nächste Evolutionsstufe der Electronica. Aber so einen Drive habe ich in diesem Genre schon lange nicht mehr gehört.
Was haben wir hier? Zwei isländische Musiker – Jonas Thor Gudmundsson und Ólafur Örn Josephsson – haben ein gemeinsames Album gemacht. Ruxpin – Gudmundsson – habe ich zum ersten Mal bei seinen Remixen für múms „The Ballað Of The Broken Birdie Records“ wahrgenommen. Das war 1999.
Josephsson – Stafrænn Hákon – hatte bis heute noch nie meinen Radar gekreuzt. Ein Versäumnis, das ich hoffentlich bald aufarbeiten kann. Wobei ich hoffentlich auch mein Verhältnis zur Musik aus Island neu ordnen werde. Denn so spannend das damals alles war, dieser Kosmos, der sich zwischen múm und Thule Records, zwischen Jóhann Jóhannsson, Hilmar Örn Hilmarsson und Sigur Rós aufspannte (ja, kein Wort meinerseits zu Björk, ich könnte über Funkstörung- und Dillinja-Remixe schreiben, mag ich aber nicht), so schnell erledigte sich dieser Hype auch wieder.
Das ist alles water under the bridge. Ruxpin & Stafrænn Hákon schreiben genau die Art von Songs, die mir sehr nahe ans und mitten ins Herz gehen – mit subtiler Dramatik in Arrangements und Sound-Design, großen Melodien, fantastisch-naiven Lyrics und Vocals. Der Hall hallt immer nur dort, wo er einfach hallen muss. Die Bömbchen detonieren nur dort, wo Schneisen nötig sind. Die Schere zwischen Sequenzen und frei sirrender Spielfreude ist tight und loose zugleich. Und bin ich der einzige, der den Song „Delayed Goodbyes“ im Allgemeinen und die Vocal-Arrangements im Speziellen ganz klar in der Tradition von Takahashi und Hosono verortet?
Während das Album läuft, wähle ich mich ins Internet ein und setze erstmal eine Sonnenbrille auf. Zu viele Erinnerungen, Referenzen und Querverweise. Das Gestern blendet immer noch so grell wie morgen. Irgendwie macht mich das glücklich. Und bestätigt mich. Die Splittergruppe, in der mich damals so zu Hause fühlte (wir saßen immer ganz hinten links in der Ecke, ihr habt uns wahrscheinlich niemals wahrgenommen), produziert noch immer solche Musik. Das ist nicht fresh. Das ist nicht edgy. Das hat nichts mit KI zu tun, auch nichts mit dieser und weiteren großen Debatten, die dringend geführt werden müssen. Manchmal, aktuell immer öfter, denke ich aber, dass der Musikjournalismus auch wieder ein wenig passion braucht. Jenseits der großen Gemengelage. Dieses Album strahlt genau das aus.
Es erscheint auf „Sound In Silence“, einem griechischen CR-R-Label. 300 liebevoll verpackte und bespielte Rohlinge und irgendwas mit Streaming. Das ist so schade wie toll. Eher Letzteres. Denn abseits der großen Plattformen ist die Kultur des Machens wichtiger denn je. Dabei geht es nicht vornehmlich um DIY, sondern um das Umschiffen der mittlerweile als gesetzt scheinenden Grundbedingungen, wie Musik heute zu funktionieren hat. Muss sie natürlich nicht. Darf sie auch nicht.
PS: Ich habe mein iPhone 4 noch immer, ich hole es alle paar Monate aus der Schublade und freue mich.
PPS: Der Track „Reunited (If It's What You Want)“ ist doof.