Plattenkritik: Robert Lippok – Open Close Open (Morr Music)25 Minuten Verzauberung
1.3.2024 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannReissues gibt es wie Sand am Meer. Einige sind großartig. Die der EP des Berliner Musikers Robert Lippok ist essenziell.
Manchmal braucht es exakt 20 Minuten und vier Sekunden, um die Welt zu verändern. Irgendetwas in dieser Richtung muss ich gedacht haben, als „Open Close Open“ von Robert Lippok 2001 auf meinem Tisch landete. 2001. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich meine musikalische Welt bereits verändert. Die Electronica (um einen einigermaßen anschlussfähigen Sammelbegriff zu verwenden) blühte prächtig und hatte den Sound, der aus meinen Kopfhörern kam, bunter gemacht. Es war eine Zeit, in der viel voran ging. Das Überwinden des Tellerrands war wichtiger als die Ursuppe der Schubladen. Die Clicks klickten. Die Melodien waren naiv-opulent. Das Sound-Design grenzenlos. Und wenn der Dancefloor im Club gerade nicht passte, tanzte der Kopf in der Lounge weiter.
„Open Close Open“ fiel genau in diese Periode des nicht so stürmischen Drangs. Robert Lippok – zu diesem Zeitpunkt vor allem bekannt für seine Arbeit mit To Rococo Rot – trat als Solokünstler auf den Plan. „The Amateur View“ –das große Album seiner Band, war zu diesem Zeitpunkt auch schon zwei Jahre alt. Und mit den 20 Minuten von „Open Close Open“ stellte er ein stilles Meisterwerk, das noch heute wie kaum eine andere Platte nicht nur die damalige Stimmung einfängt, sondern längst zum Klassiker geworden ist. Dass Morr Music die Platte nun wiederveröffentlicht, in einer Zeit also, in der Genres und Schubladen abermals nichts mehr bedeuten, ist nicht nur folgerichtig. Der Rerelease war bitter nötig.
For those who know
Denn zumindest aus meiner Warte zog diese CD auf raster-noton nie die Kreise, die sie eigentlich hätte ziehen müssen. Es blieb vergleichsweise still um diese stille Musik. Um das kurze, aber umso prägnantere noisige Intro von „Open“, das schnell in noch schneller gepulsten Pink-Noise-Repetitionen Fahrt aufnimmt, um bitgecrushte Geräusche und platt gedrückte Percussion herumtänzelt. Um den Seespaziergang von „Close“ mit dem Mahler-Sample, das der Musiker Lippok auf verfremdete Field Recordings und Tiergeräusche bettet. Und um das zweite „Open“, eine Art Reprise von „Close“, in dem der bassdrumlose Funk die Überhand gewinnt und kathartische Wirkung entfacht. Es blieb still um diese Musik. Eine Platte eben for those who know, die aber keine Lust auf Underground Resistance hatten.
Vielleicht war es auch das Medium. Wobei: Diese 20 Minuten Musik sind wie gemacht für die CD. Denn auch bei Lippok klicken die Clicks scharfkantig. Das transportiert ein D/A-Wandler besser als ein Shure M44-7.
Nun gibt es die EP erneut zu kaufen. Auf Vinyl. Bereits 2016 erschien „Open Close Open“ als Schallplatte, damals auf dem japanischen Label Flau. Alle Daumen hoch dafür, wirklich große Aufmerksamkeit dürfte diese Veröffentlichung aber nicht gehabt haben. Hoffentlich klappt es nun mit der erneuten Wiederveröffentlichung auf Morr Music. Der Sales-Pitch, den es natürlich überhaupt nicht braucht, sich auf Insta aber bestimmt gut macht, geht ungefähr so: Über 20 Jahre nach Robert Lippoks epochalem Solodebüt ... nein, lassen wir das lieber. Wichtig tatsächlich ist aber, dass aus den ursprünglich drei Tracks nun vier geworden sind. „Licht“ ist neu und lovely. Und dass die 12“ ein „glow in the dark“-Vinyl ist, ist auch berichtenswert. Ein Gimmick, klar. Aber Vinyl, das im Dunklen leuchtet, habe ich mit Sicherheit seit 2001 auch nicht mehr in die Finger bekommen. War ja mal populär. Erinnert sich jemand an die Compilation auf Reckankreuzungsklankewerkzeuge oder die Techno-Maxis aus New York?
Das Wichtigste ist, dass die Platte von Robert Lippok von damals heute hoffentlich neue Aufmerksamkeit bekommt. Denn im nicht enden wollenden Stream der Überforderung sind diese 20 Minuten, pardon, jetzt 25 Minuten, ein Anker, den wir alle werfen sollten. Nicht nur, um endlich innezuhalten und uns verzaubern zu lassen. Um die Welt zu verändern.