Plattenkritik: Rayon - Il Collo e la CollanaNotwist-Sänger Markus Acher auf Soundtrack-Abwegen
3.7.2015 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannThe Notwist und Filmmusik? Dass das eine gute Kombination ist, hat die Band in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Aber wie hört sich das wohl an, wenn der schönste deutsche Akzent in englischen Vocals für eine Albumlänge einfach verstummt?
Es ist noch kein halbes Jahr her, da veröffentlichte The Notwist Soundtrack-Arbeiten. Jetzt hat der Sänger der Band, Markus Acher, ohne die andere Notwist-Mitstreiter einen Film vertont: „N-Capace“ von Eleonora Danco. Schauen wir mal kurz rein.
Acher ist ein Meister des kratzbürstigen Wohlfühlens. Seine überaus kurzen und Loop-verliebten Orchestrierungen für den Film könnten auch ein vertontes Tagebuch sein, schnell und doch mit viel Bedacht zusammengezimmert, vielleicht auf einer Reise durch ein Land, das Acher bislang noch nicht kannte, überwältigt von Eindrücken, vor allem aber von diesen besonderen Momenten, die man nur dann erlebt, wenn etwas zum ersten Mal an einem neuen Ort passiert. Wie gleißendes Licht drapiert Acher seine Miniaturen, hell ausgeleuchtet, glasklar und direkt. So bekommen sie selbst in ihrer Kürze die nötige Aufmerksamkeit.
Das ist meistens großartig und nur manchmal irritierend. Großartig dann, wenn Acher diese Ernsthaftigkeit, die man ihm immer anmerkt – bei Interviews, aber auch auf der Bühne, dieses Nerdtum, das nicht nur die Musik zur Referenzmaschine werden lässt – hinter sich lässt und sich – so wie im Trailer zu sehen – einfach eine Kippe zwischen die Zehen klemmt und die Seele baumeln lässt. Dann schwingen seine Soundtrack-Motive wie eine knallbunte und brandneue, gut geölte Kinderschaukel mit Rückenwind. Dann fragt man sich, warum Acher und Kieran Hebden eigentlich noch nie etwas zusammen aufgenommen haben, weil ihre individuelle Schräge sich im gemeinsamen Studio-Jam doch eigentlich auslöschen müssten wie eine solide Phasenverschiebung. Oder spinne ich?
Und es ist immer dann ein bisschen irritierend, wenn Acher sich in seiner Elektronik verheddert, sich nicht entscheiden kann, ob er nun eigentlich Minimal machen möchte, Dub oder doch die Clicks'n'Cuts wieder auferstehen lassen muss. Für diese eine Minute oder die zwei, die das dann anhält, wird man hin und her geschleudert in der bayerischen Vergesslichkeit. Das geht zum Glück oft gut aus. So zum Beispiel auf Stück 8 (Titel haben die Arbeiten allesamt nicht), wo am Ende klar wird, dass die Trompeten von Jericho schwer verrauscht eben doch viel besser berauschen. Und sollte ich Acher demnächst mal treffen, freue ich mich schon jetzt auf eine tiefenpsychologische Analys von Dirk Ivens' und Marc Verhaeghens Nautilus-Saga. Manchmal jedoch, geht die alte Elektronika-Verliebtheit von Acher auch einfach in die falsche Richtung.
Aber das macht eigentlich gar nichts. Denn die intensive Flüchtigkeit von Soundtracks im Allgemeinen und Achers konzentrierten Filmmusik-Edits im Besonderen lassen einen schnell vergessen und erlauben das erneute Mitgerissenwerden bei der nächsten Miniatur. Und weil der gesamte Soundtrack auch locker auf eine 3"-CD gepasst hätte, sich die aber in keinen Laptop schieben lässt, folgt nach zehn Songs noch eine zweite Film-Arbeit von Acher. 2006 komponierte er – auch als Rayon – die Musik für „Beirut Chapter 1“ von Michael Shamberg. Vollkommen anders im Ton, genauso einzigartig.