Plattenkritik: Rauelsson – Niu (Sonic Pieces)Happy Times in Moll

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„Niu“ ist ein kammermusikalisches Wunderwerk.

Die Stimmung bleibt auch Mitte Februar eher verhalten bis bescheiden. Lasst euch von mir nicht runterziehen, fühlt euch in eurem eigenen Misstrauen durch meine Zeilen nicht bestätigt: Ich sage nur, wie es hier am Schreibtisch so läuft, bzw. nicht läuft. Und: Wenn es mit der Welt mal wieder eben nicht so läuft, ist das mit der Musik meistens eigentlich sehr schön.

Mein Notausgang bei fehlender Konzentration und Inspiration ist im Februar das neue Album von Raúl Pastor Medall aka Rauelsson. Es ist sein drittes für Monique Recknagels Label Sonic Pieces, sein achtes insgesamt und das erste, das ich wissentlich wahrnehme.

Als Fan von Jóhann Jóhannsson ziehen mich die ersten Takte des Openers „Prelude 7“ unmittelbar in eine Welt, in der ich in den vergangenen Monaten auffällig wenig Zeit verbracht habe. Aber Rauelsson hat mit dem Isländer wenig gemein. Das Getragene verbindet sie, keine Frage. Für Rauelsson ist das aber nur eine von zahlreichen Wegen, sich auszudrücken: musikalisch und produzierend. „Niu“ wurde in Sofia und Berlin aufgenommen, gemischt wurde bei Nils Frahm im Berliner Funkhaus. Neben den kammermusikalisch-orchestralen Passagen, die so offensichtlich den Schulterschluss mit der schüchternen Betupfung der großen Leinwand suchen (und auch finden), ist Rauelssons klangliches Arsenal jedoch so überraschend wie abwechslungsreich. Synths sind hier genauso zu hören wie die Einspielungen der Flötistin Heather Woods Broderick und des Bläser-Trios Zinc & Copper.

Rauelsson Portrait

Foto: Alia R. Koehler

Oh ha, mögen da einige jetzt denken, da zieht jemand also alle Register dessen, was immer wieder „Moderne Klassik“ genannt wird. Gibt es auch Beats? Nein und nein. Rauelssons kompositorische Ideen sind viel freier und folgen nicht der Nomenklatur des Anschlussfähigen. Mir scheint, dass hier jeder Entwurf seinen ganz eigenen instrumentarischen Baukasten bekommt und so erst richtig erblüht. So wird auch die Mauer des Konzertanten immer wieder durchbrochen, mit fast schon trackartigen Miniaturen durchsetzt, die dem Album nicht nur die Schwere nehmen, sondern auch exemplarisch zeigen, worum es eigentlich geht: die geordnete Deklination von Ideen und deren unberechenbare Verknüpfungen. Die drei grundlegenden Themen des Albums werden so immer wieder gegeneinander gestellt, bedingen sich aber auch einander. Die von Katrine Grarup Elbo eingesprochenen Passagen eines Gedichts von Rauelsson verweben dabei das, was ohnehin zusammengehört, so jedoch vielleicht nicht zwingend auch zusammen gedacht werden würde.

Bei einem Stück wie „Temporary Alchemy“ mit seinen umarmenden Slide-Gitarren frage ich mich, warum Deru die Idee seines Albums „1979“ meines Wissens nach eigentlich nie fortgeführt hat. Und bei „Ceramic Swallows, Set Of 3“ denke ich an Jóhann und seinen vielleicht besten, weil so anderen Soundtrack „The Theory Of Everything“. Zwei von zahlreichen Assoziationen, die alles andere als in Stein gemeißelt, also subject to change sind. Was hingegen bleibt – und da bin ich mir sicher – ist die Faszination für Rauelssons kompromisslose kompositorische Haltung. Und die ist keine Reaktion auf das, was im Mainstream aktuell verhandelt wird, kein Mithalten, kein Konterkarrieren. „Niu“ ist ein Lebenszeichen.

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