Plattenkritik: Planetary Assault Systems – Arc AngelWeltraum eben
23.9.2016 • Sounds – Text: Christian BlumbergLuke Slaters neues Album ist ein üppiger Beitrag zur Zukunft der Vergangenheit.
Ein Berliner Klassiker ist die gemeinsame Planung eines sonntäglichen Berghain-Besuchs, dem stets großes Erstaunen darüber vorausgeht, wie lange man doch schon nicht mehr dort gewesen sei. Aber dann war meist schon am Samstag irgendetwas los. Oder man müsste wegen Arbeit am Montag dringend fit sein. Oder besagter Sonntag ist der letzte warme Sonntag des Jahres, jedenfalls könnte er es sein, das weiß man ja nie so genau. Es klappt jedenfalls immer seltener mit dem Tanzengehen. Dabei war man doch mal Teil der ravenden Mehrheit und versteckte sich fast jedes Wochenende im Licht der Stroboskope, damals, als man gerade nach Berlin gezogen war, ach krass, das ist ja jetzt auch schon wieder … Will lediglich sagen: Die Clubnacht, die doch als Versprechen auf die Zukunft, oder wenigstens auf das Nicht-Enden-Wollen der Gegenwart funktioniert, wird für viele irgendwann zum Gegenstand der Erinnerung.
Mit Techno, dem guten alten, verhält es sich ein bisschen ähnlich. Einst als futuristisch erlebt, ist dieses Futuristische auch längst ein Stück Erinnerung geworden, zur Zukunft der Vergangenheit. Es passt ins Bild, dass Dimitri Hegemann bald neben bzw. im Tresor ein Techno-Museum eröffnen wird. Da muss man schon fragen, wie eine (ehemalige Sub-)Kultur eigentlich noch gegenwärtige Relevanz behaupten soll, wenn ihre eigenen Protagonisten beginnen, sich selbst Gedenkstätten zu errichten? Wer will schon Sex im Museum haben? Und stellt sich die Clubmüdigkeit mancher nicht vielleicht auch ein, weil in Technoclubs doch meistens immer dasselbe Stück aufgeführt wird, es also gar nichts zu verpassen gibt?
Denk an Minimal, denk an Robert Hood und vor allem an Jeff Mills, denk an die Ringe des Saturns und an die Tiefsee.
Ach und selbst wenn das so wäre: Luke Slater kann auch nichts dafür. Aber da man ihn als eine Art Institution des Techno beschreiben könnte, wirft sein neues Album solche Fragen eben auf. „Arc Angel“ ist das sechste in 20 Jahren, das er unter seinem Alias Planetary Assault Systems veröffentlicht, es fügt seinem Output stolze 96 Minuten (!) neue Musik hinzu. 96 Minuten geradliniger Techno, fast anrührend ob seiner Bestimmtheit, so als gebe es wirklich kein Außen des Clubs. Denk an Minimal, denk an Robert Hood und vor allem an Jeff Mills, denk an die Ringe des Saturns und an die Tiefsee: Das ist hier alles präsent. Humorlose, dafür hart hypnotische Beats, dazu sweept und bleept es wie verrückt, aber immer schön kreisförmig. All das presst sehr direkt und greifbar aus den Lautsprechern, ist aber oft eingebettet in vielschichtige, fast unendliche Klangräume: Weltraum eben.
„Arc Angel“ ist so Genre. Das Science-Fiction-Narrativ von Techno wird nicht nur klanglich aufgenommen. Noch das Presseinfo zitiert Slater im Fast Forward-Modus: „I love music that takes you somewhere new.“ Das mag für „Arc Angel“ zutreffen, wenn man es als Erfahrungsgenerator für ein sich in Trance tanzendes Publikum begreift. Es nimmt einen zugleich auch mit zurück an Orte, die man eben schon sehr genau kannte. Im einst progressiven Referenzensystem Techno kommt „Arc Angel“ beinahe wertkonservativ daher, es drängt permanent in einen Erzählungsstrang, der sich irgendwie längst auserzählt hat.
##Klanglicher Blockbuster
Das soll nicht heißen, dass die Platte retro wäre: Im Gegenteil beschwört Slater die Zukunft des Gesterns mit der Technik von heute, seine Musik ist detailversessen produziert, handwerklich nahezu perfekt und dabei ziemlich überwältigend, ein echter klanglicher Blockbuster. Dieser produktionsspezifische Anspruch – eine andere Facette vom „Zukunftwollen“ – teilt er mit vielen KünstlerInnen, die beim Berghain-assoziierten Label Ostgut Ton veröffentlichen: Selbst bloßes Rauschen klingt hier nur selten analog-vernebelt, sondern irgendwie immer High-Tech.
Für den Umgang mit der Historizität von Techno hat man bei Ostgut unlängst einen Weg gefunden, der wesentlich eleganter und bescheidener ist als das Errichten eines Museums. Mit A-Ton wurde ein Sublabel gestartet, dessen erster Release ebenfalls von Luke Slater kommt. Als The 7th Plain hatte der in den 90ern einen recht weiten Begriff von Ambient. Unter dem Titel „Chronicles“ hat A-Ton nun Höhepunkte dieses anderen Slater-Alias versammelt, alles sehr epische, dynamische Electronica-Tracks. Große innere Reiseberichte, die garantiert keine nervigen Fragen ans eigene Freizeitverhalten oder das allmähliche Ergrauen von Techno stellen, weil hier eben ein historisches Ohr gefragt ist. Vielleicht ist diese Rückschau deswegen das befriedigendere der beiden Slater-Alben, die 2016 erscheinen.