Plattenkritik: Pet Shop Boys – SuperSie waren die Pop Kids
24.3.2016 • Sounds – Gespräch: Sulgi Lie, Jan-Peter WulfVor genau 30 Jahren, im März 1986, veröffentlichten Neil Tennant und Chris Lowe ihr erstes Album, „Please“. Damit begann ein Stück Popgeschichte. Jetzt ist ihr dreizehntes Studioalbum da, es heißt „Super“ und wurde, wie sein Vorgänger, von Stuart Price („Les Rhythmes Digitales“, „Zoot Woman“) produziert und in London, Los Angeles und Berlin aufgenommen. In Los Angeles und Berlin sitzen zwei große Pet-Shop-Boys-Fans (Sulgi Lie und Jan-Peter Wulf) an ihren Laptops, telefonieren und hören zeitgleich das Album. Ein transkontinentales Plattengespräch, Stück für Stück.
##01. Happiness
Jan-Peter: Es geht gleich mit einem Beat los.
Sulgi: Und mit Sirenen.
Jan-Peter: Wie findest du den Track?
Sulgi: Ich weiß nicht, so richtig zündet der noch nicht. Stuart Price ist als Producer so ‘ne Sache, nach „Electric“ ist das ja schon die zweite Zusammenarbeit, was mich ja schon etwas skeptisch gestimmt hat. Eleganz ist nicht gerade seine Stärke.
Jan-Peter: Stimmt. Es klingt ein wenig wie seine eigenen Stücke als „Les Rhythmes Digitales“ damals. Ich habe ihn 1999 mal in Glasgow live gesehen, mit einem Gitarrenkeyboard um den Hals und Schirmmütze auf. Er sah ein wenig aus wie der junge Chris Lowe. Man konnte ja nicht ahnen, dass er fünfzehn Jahre später seine eigenen Idole – das unterstelle ich ihm einfach mal – produzieren würde.
##02. The Pop Kids
Jan-Peter: Das ist die erste Single des Albums. Schon ein Hit, oder?
Sulgi: Auf jeden Fall. Diese Melancholie, diese geil-simplen Piano-House-Chords, die Falsett-Ahh’s von Neil Tennant und klassische Anti-Rockismen in den Lyrics: Rock was overrated. Fast schon „Domino Dancing“ oder?
Jan-Peter: Hat was davon, aber weil ich nicht nur ein Pop-, sondern auch ein Rave-Kid bin, kommt mir bei dem Klavier-Motiv eine Rave-Nummer der frühen Neunziger in Erinnerung: „Playing With Knives“ von Bizarre Inc..
Sulgi: Kenne den Track nicht, aber early nineties auf jeden Fall. ich muss an die großen Saint Etienne denken, „Only Love Can Break Your Heart” oder „Spring“.
Remember those days,
The early nineties,
We both applied for places at the same university,
Ended up in London where we needed to be
To follow our obsession with the music scene.
##03. Twenty-somethin
Jan-Peter: Das Intro mag ich, diese Triolen. Hat was Barockes, klingt ein bisschen wie „Love Is A Bourgeois Concept“ auf dem Vorgänger. Aber jetzt, dieser ziemlich simple Rhythmus … klingt fast etwas albern.
Sulgi: Ich glaube, das ist das Problem von Price. Der ist einfach etwas zu prollig für die Boys. Nicht dass die Boys nicht auch geile Proll-Tracks gemacht haben, aber diese Synthies klingen fast kirmes-mäßig billig. Harold Faltermeyer würde die Nase rümpfen, oder? Was meinst du, du hast ihn ja neulich interviewt?
Jan-Peter: Vermutlich. Wobei der ja auch cheape Sachen gemacht hat. Den Soundtrack zu „Didi der Doppelgänger“ zum Beispiel. Nächste Nummer.
##04. Groovy
Sulgi: Mir missfällt wieder die Stadion-Atmo am Anfang, das ist mir einfach zu populistisch.
Jan-Peter: Populistisch?
Sulgi: Ja, in einem schlechten Sinne. Bislang klingt jeder Track auf der Platte wie eine etwas grobschlächtige Reminiszenz an alte Pet Shop Boys Tracks. Und „Groovy“ ist wirklich ein extrem uncooler Titel.
Jan-Peter: Self-Pastiche.
Sulgi: Ja, Pastiche trifft es, das ist Pet-Shop-Boys-Musik über ihre eigene Musik. Das kann gutgehen, wie bei „Pop Kids“ oder bei „Thursday” aus der letzten Platte, wenn das diesen extremen Pop-Memory-Affekt produziert, ist aber insgesamt ein prekärer Ansatz.
Jan-Peter: Ich finde, dass „Groovy“ wie der Album-Opener „Happiness“ weder ein Pop-Song noch ein Dance-Track ist, irgendwas dazwischen. Cut in the middle.
Sulgi: Genau. Und Mitte ist doch immer blöd.
„Neil Tennant klingt jetzt wie Rihanna.“
##05. The Dictator Decides
Jan-Peter: So ein Titel und das Marschiergeräusch am Anfang ... bisschen Kraftwerk, der Beat.
Sulgi: Wieder sind mir die Price-Harmonien einfach zu uninteressant.
Jan-Peter: Jetzt kommt ein schöner Teil. Ich mag es, wenn Neil Tennants Stimme tief – für seine Verhältnisse – runtergeht.
Sulgi: Sorry, vielleicht bin ich zu streng, aber irgendwie ist mir das zu müde, zu ausgelaugt. Das hat nicht mehr diese dekadente Grandezza, wie noch einige Tracks der letzten beiden Platten, zum Beispiel „Requiem In Denim And Leopardskin“ auf „Elysium“.
Jan-Peter: Hat in der Tat etwas Müdes. Etwas Erschöpftes.
Sulgi: Neil Tennant ist ja fast schon im Opa-Alter. Nun hat er aber immer noch diese alterlose Engelsstimme ...
Jan-Peter: ... die dermaßen überarbeitet ist, dass es weh tut. Er konnte nie singen, das hat er mit Bernard Sumners gemeinsam. Aber das hatte eben immer auch Charme. Jetzt klingt er wie Rihanna.
Sulgi: Diese digitale Verjüngung wäre kein Problem, wenn nur die Musik auf der Höhe der Zeit wäre. Ich glaube, das haben die Boys das letzte Mal bei „Yes“ 2009 geschafft, ein Masterpiece.
Jan-Peter: Ich finde, wenn man so viele tolle Sachen gemacht hat, muss man auch nichts mehr beweisen. Ich verstehe schon, dass man noch weiter Musik machen will. Aber wie kann man als Popstar in Würde altern, musikalisch meine ich? Ich fand gut, wie es Paddy McAloon von Prefab Sprout mit „I Trawl The Megahertz“ gemacht hat.
Sulgi: Tja, ist wohl ein ewiges Dilemma. Die Boys haben das eigentlich schon gut hingekriegt, peinlich schlecht wird es bei ihnen nie. Doch sehnt man sich nach alter Größe, nach einem Track wie „Love etc.“
Jan-Peter: Sie sollen mit Jean-Michel Jarre ein tolles Stück aufgenommen haben, das habe ich aber noch nicht gehört. Du?
Sulgi: Nö, leider nicht.
##06. Pazzo!
Jan-Peter: Puh. Schon wieder Sirenen, Verdichtungen. Die Stimme klingt wie Yello.
Sulgi: Das meine ich, die Songs sind zu austauschbar. Da werden die Rave-Signale wieder so penetrant eingedreht ...
Jan-Peter: ... dass ich langsam glaube, es soll ein Rave-Edit-Raritäten-Album sein. Was für Hardcore-Fans der Pet Shop Boys, die einfach alles haben müssen. Du bist ein Fan, ich bin ein Fan. Aber wir beide wissen: Es gibt auch eine ganze Kiste mit Sachen von den Jungs, die man nicht braucht. Pazzo! gehört da rein.
Sulgi: Du hast recht, das ist wie outgesourctes Material, etwas lieblos aneinandergereiht.
##07. Inner Sanctum
Jan-Peter: Unter dem Namen „Inner Sanctum“ werden die beiden im Juli vier Konzerte im Royal Opera House in London spielen. Bei meinem letzten Pet-Shop-Boys-Konzert, 2009 in Köln, stand ich neben Birgit Schrowange. Also zufällig.
Sulgi: Der Einsatz der Vocals hat schon was. Endlich etwas mystische Theatralik wie einst in „Heart“.
Jan-Peter: Chor-Presets … oh, da fahr ich drauf ab. Das erinnert mich auch schwer an alte Rave-Sachen, an „The Age of Love“ von Jam & Spoon. Ravepop.
Sulgi: Mayday-Sound, wie einst in der Westfalenhalle.
Jan-Peter: Kompakt-Floor.
Sulgi: Ja Mann, Tobias Thomas hat zum Schluss „Love Stimulation“ von Humate aufgelegt, wir sind komplett ausgeflippt.
Jan-Peter: Die Pet Shop Boys haben ja mit Kompakt auch mal geflirtet.
Sulgi: Die Version von „I’m in Love with a German Film Star” war schon edel. Okay, lass uns nicht so sentimental werden und weiterhören.
##08. Undertow
Sulgi: Das ist lupenreiner Italo-Disco, geil! Endlich mal ein Refrain, der zündet. Hat wirklich undertow, der Song.
Jan-Peter: Das Intro ist bislang das absolut Beste auf dem ganzen Album für mich. Die Sonne geht auf und Chris Lowe trägt eine Sonnenbrille. Ah, jetzt kommt das, was man früher Bridge genannt hätte. Das hat was.
Sulgi: Der zweitbeste Song bislang, oder?
Jan-Peter: Agreed.
##09. Sad Robot World
Sulgi: Irgendwie regen mich allein schon die Titel auf. Das klingt doch nach larmoyanter Kulturkritik, Sad Robot. So ein Scheiß könnte auch von Damon Albarn stammen.
Jan-Peter: Zumindest ist es keine Sad World Music. Vielleicht meinen sie ihre eigenen Musikroboter. An welches Stück aus dem Album „Behaviour“ fühlen wir uns erinnert?
Sulgi: Behaviour?
Jan-Peter: Ich finde es klingt etwas „Hurts To Much To Face The Truth“ an, das würde ja auch vom Titel her passen.
Sulgi: Disagreed. Das ist ein ganz großer Song, bigger than life. „Sad Robot“ hinterlässt nur schale Gefühle.
Jan-Peter: Ich sagte ja auch klingt an, Self-Pastiche eben.
Sulgi: Traurig bin ich.
##10. Say It To Me
Sulgi: Auch dieser Song sagt mir leider nichts, spricht er dich an?
Jan-Peter: Ich frage mich, wen er ansprechen soll, rein im Vermarktungssinne. Welches Publikum will man erreichen? Wen adressiert das alles?
Sulgi: Die Boys haben ihr Pop-Zeitgeist-Gespür verloren. Den Kids wird das am Arsch vorbeigehen.
Jan-Peter: Cause we were the Pop Kids.
Sulgi: Ja genau, waren und nicht sind. :-(
##11. Burn
Jan-Peter: Ok, vielleicht geht jetzt ja noch was.
Sulgi: The stars are flashing high above the sea, We’re gonna burn this disco down before the morning comes
Jan-Peter: Der Beat klingt nach Discofox.
Sulgi: Die Disco wird davon nicht abgefackelt. Und Price hat gerade wieder so eine Scheiß-Sirene reingedreht, langsam krieg ich Hass auf diesen Typen. Nach der ersten Zoot Woman hat der eh nix mehr Ordentliches auf die Reihe gekriegt.
Jan-Peter: Also hat dir sein Madonna-Album auch nicht gefallen?
Sulgi: „Hung Up“ und „Push” aus „Confessions On A Dancefloor” sind schon geil. Aber Madonna hat ja auch nicht diese Eleganz der Boys. Da reicht es, wenn Price ein Abba-Sample schön fett aufmotzt.
##12: Into Thin Air
Sulgi: Eigentlich waren die letzten Stücke auf den Boys-Platten immer majestätische Epen, mal sehen.
Jan-Peter: We´ll vanish, no one will know where. Into thin air.
Sulgi: Das ist doch eine Selbst-Allegorie. Was ein schwacher Song. Denk mal an „Legacy“, an „Footsteps“ und nun diese schwachbrüstige Nummer, ey ey ey.
Jan-Peter: Ich glaube, ich habe die Visitenkarte von Harold Faltermeyer noch. Der baut zwar vor allem an seinem Haus rum und will ein Wurst-Business aufziehen, aber vielleicht können wir ihn überreden, die Boys noch mal zu sich ins Studio zu holen?
Sulgi: Wohnt der nicht in Beverly Hills? Soll ich mal hallo sagen gehen?
Jan-Peter: Please, actually.
Sulgi: Yes!