Techno ist noch längst nicht auserzählt.
Es gibt wenige Clubs auf der Welt, die sich neben dem wochenendlichen Tagesgeschäft ein Label leisten, auf dem der Sound der hauseigenen Dancefloors greifbar archiviert wird. Die Fabric in London tut das und flutet die von DJ-Mixen ohnehin schon überflutete Welt mit fein kuratierten Mitschnitten aus den Wohnzimmern der DJs, aber auch mit direkt im Club entstandenen Aufnahmen. Der Bunker in New York veröffentlicht regelmäßig Vinyl von Musikern, die den Bookern des Clubs wichtig sind. Das Berliner Watergate ist auch am Start. Und dann ist da das Berghain. Was auch hier 2005 als Mix-CD-Serie begann, entwickelte sich schnell zum Artist-Label. Immer mit enger Verbindung zum Club-Leben. Wer hier veröffentlicht, muss auch hier spielen. Das macht Sinn und die Strahlkraft, die der Club immer noch hat, tut sein Übriges. So sind alle glücklich. Nick Höppner hat diesen Weg jahrelang entscheidend entwickelt, geprägt und kuratiert. Jetzt ist sein erstes eigenes Album auf Ostgut Ton erschienen.
Höppner ist gelernter Auskenner und Connaisseur. Hat als Journalist gearbeitet und auch schon vor seiner Berghain-Zeit als Label-Manager in völlig anderen Zusammenhängen. Dann trieb ihn die Bassdrum zurück in die Arme seiner alten Liebe: dem Dancefloor.
Elf Jahre Nick Höppner. Wenn sich discogs.com nicht irrt, dann erschien damals, 2004, das erste musikalische Lebenszeichen des Berliners. Ein wirklich umfassendes Œuvre hat er seitdem nicht in die Welt entlassen. Acht EPs unter eigenem Namen, nochmals so viele Maxis und ein Album als Teil von My My. Stetiges Understatement, könnte man sagen. Was sich über die Jahre jedoch kontinuierlich weiterentwickelt hat, ist Höppners Vision von Klang, von einer fast schon songwriterischen Herangehensweise an die von immer heftigeren Alzheimer-Anfällen geprägten Tanzfläche. Was ist schon ein Track, wenn immer gleich der nächste kommt? Hier hat Höppner immer gegengesteuert. Und auf „Folk“ kulminiert dieser Ansatz auf Albumlänge.
Unten bollern, oben schwofen, dort die Dunkelheit, hier die Sonne. Höppner entscheidet sich praktisch durchgehend für Letzteres.
##Encyclopedia Berghainnica
Wer Höppner sagt, muss auch Berghain und Panorama Bar sagen. Das ist ein Assoziations-Automatismus, der sich aus dem schnelllebigen Geschäft der Nacht wohl nicht mehr ausradieren lässt. Anstellen, reinkommen, entscheiden. Unten bollern, oben schwofen, dort die Dunkelheit, hier die Sonne. Höppner entscheidet sich auf seinem Album praktisch durchgehend für Letzteres. In neun Tracks rollt er seine Idee, wie elektronische Tanzmusik 2015 klingen soll, vor uns aus. Er liebt die Bassdrum, klar, räumt ihr aber nicht den Raum ein, die sie in der Regel bekommt. Vielmehr zwingt er sie von Anfang an in die Knie und verweist sie auf den Platz, der ihr eigentlich gebührt. Irgendwo in den hinteren Reihen des Schaltkreis-Orchesters. Da kann sie trommeln, pumpen: angeben. Die Magie findet weiter vorn statt. In den Melodien, den Sounds, im Arrangement. So ist „Folk“ weniger eine Aneinanderreihung von Tools, sondern ein durchdachter, ja durchkomponierter Entwurf, eine Art Regierungserklärung oder eine dieser Predigten, die der Klerus nur zu Weihnachten oder Pfingsten von der Kanzel schmettert. Und die Kanzel, die gibt es im Club ja schließlich auch.
Dabei erhebt Höppner keinen mahnenden Zeigefinger in seinen Tracks, sondern tippt eher fluffig im Takt oder checkt im Schnelldurchgang das Lexikon des Techno auf der Suche nach der richtigen Stelle, der passenden Referenz, dem perfekten Stichwort, das als Startpunkt für seine Tracks dienen könnte. Mehr lässt Höppner jedoch nicht zu. Sein Kopf ist viel zu voll mit eigenen Ideen, mit einer eigenen Timeline, wie die Musik, die ihn in der Vergangenheit beeinflusst hat, in die von ihm kontrollierte Zukunft eingegliedert werden kann. Dass man sich auf die einlassen will, kann und – verdammt – muss, spürt man in jedem Track. Ganz besonders gegen Ende des Albums. „No Stealing“ ist das Stück, das diesen Sommer jedes Open-Air-Set beschließen wird. Oder eröffnet. Im besten Fall einfach beides.