Plattenkritik: Morrissey – Low In High SchoolEr meint es gut, und wir auch
17.11.2017 • Sounds – Text: Michael DöringerKann Johnny Marr eigentlich noch Gitarre spielen? Beim Hören von Morrisseys neuem Album wünscht man sich tatsächlich doch noch eine Reunion der Smiths. Es könnte nur besser werden. Andererseits: Morrissey hat die Häme nicht verdient, die ihm pausenlos entgegenschlägt. Der unverbesserliche Provokateur stellt sich zwar maximal unelegant an, aber seine Anliegen sind aufrichtig.
„Niemand leistet Morrissey noch Widerstand. Sie arbeiten für ihn, und wem bekommt das schon?“
Diese Einsicht hatte jemand schon 1988, als Morrisseys Solodebüt „Viva Hate“ erschien. Damals bemühte sich seine neue Begleitband noch, den sensiblen Sound der Smiths aufzugreifen, was eine Weile ganz gut ging. Auch die deftigeren Rockabilly-Ausflüge der Neunzigerjahre standen ihm ganz gut, genau so wie der orchestrale Pomp auf jüngeren Alben wie „You Are The Quarry“ (2004) und „Ringleader Of The Tormentors“ (2006). Nicht jedes Album war ein Meisterwerk, aber meistens passte doch alles immer schön zusammen. Diese Gewissheit ist mittlerweile dahin. Seit „Years Of Refusal“ (2009) geht es beständig bergab und nach „World Peace Is None Of Your Business“ (2014) fühlt sich „Low In High School“ relativ deutlich nach einem vorläufigen Tiefpunkt an. Es fehlt an allem: den Hymnen, den richtigen Worten, der unerwarteten Poesie, dem besonderen Gefühl. Die Musik ist, daran lässt sich nicht herumreden, bis auf wenige Ausnahmen mindestens uninteressant.
Wer ist schuld? Morrisseys musikalische Mitstreiter, die ihm ganz merkwürdige Rock-Stampfer und pseudoexotische Schlagerrhythmen unterjubeln? Hat der Maestro selbst jeden guten Geschmack verloren und irrt stillos umher? Manchmal meint man fast, es wäre ihm völlig egal, wie seine neuen Texte vertont werden. Natürlich ist es ihm nicht egal, nichts ist egal. Der Mann hat viele Anliegen. Worum es ihm mit dem Albumtitel geht, erklärte er in einem Interview so:
„My concern wanders to anyone feeling academically or spiritually low in high school … directionless or hopeless. Can young people ever be carefree again?“
Die Jugend! Ob er diese mit einem solchen Album kriegt, ist schon fragwürdig. In einem weiteren Interview freut er sich darüber, dass die neue Platte schön laut geworden ist. Schwer zu überhören. Besonders die lauten, breitbeinigen und aufgescheuchten Songs wie „My Love, I’d Do Anything“ nerven leider enorm. Nur wenn der Krach ein bisschen eingedämmt wird und die Songs mit mehr Gefühl angelegt sind, hört man den Morrissey heraus, der doch eigentlich so liebenswürdig ist – in der Single „Spent The Day In Bed“ zum Beispiel, die vielleicht nicht wie der Großteil der neuen Lieder in Vergessenheit geraten wird. Dieser Song konfrontiert uns allerdings mit dem zweiten großen Dilemma in Morrisseys Spätwerk: Seine politischen Einlassungen beherrschen die ganze Platte, in jedem Song versteckt sich eine Anklage, ein Kommentar, eine Parole.
Morrissey-Rezensionen der letzten Jahren lesen sich oft wie Abrechnungen – von enttäuschten Fans, von Kritikern, die nun wirklich die Schnauze voll haben und solchen, die einfach ein bisschen Spaß am Hassen haben und auch noch ein wenig auf den armen Hund eindreschen wollen. Wie die meisten von uns ist Morrissey mächtig durcheinander und wütend über das Weltgeschehen. Hier Medienschelte, da der Krieg ums Öl, arabischer Frühling, Israel ohne Ende. Wichtige Themen, aber Morrisseys bemühtes textliches Engagement bringt uns am Ende überhaupt nicht weiter. Für viele wirkt er wegen dieser ständigen, penetranten Rundumschläge schon wie ein seniler Wutbürger, der statt Facebook-Kommentaren eben neue Platten schreibt. Aber das ist er doch wirklich nicht. Er ist auf der richtigen Seite, einem wie ihm kann es doch nur um die Aussöhnung der ganzen Welt gehen. Man hört das auch in den Texten, wenn man will. Die Probleme, derer er sich annimmt, sind hochkomplex, doch das hält ihn trotzdem nicht von sehr eindimensionalen Kommentaren ab. Er weiß es wahrscheinlich besser, hoffentlich. Und das sollten seine Kritiker eigentlich auch. So oder so: Dem Album hilft es auf keinen Fall. Es ist und bleibt ein Tiefpunkt.
Brauchen wir noch neue Morrissey-Alben? Das ist die banale Frage, die sich jeder tapfere Fan endgültig stellen muss. Ein kleines Lichtlein der Hoffnung wird wahrscheinlich immer brennen. Das hier war nämlich noch keine Abrechnung.