Plattenkritik: Goldie – The Journey ManMr. Metalheadz will’s nochmal wissen
26.6.2017 • Sounds – Text: Johannes WallatPrägende Drum-and-Bass-Alben? Die Beantwortung dieser Frage kann heutzutage schon fast zu Generationskonflikten führen. Als Goldie vor nunmehr 22 Jahren „Timeless“ veröffentlichte, war klar: Drum and Bass hat den ersten Gipfel erklommen. Aufmerksamkeit, Preise, Tourneen und das ganze Geld reinvestieren in das eigene Label Metalheadz. Zwar mag „Timeless“ zwar nicht wirklich zeitlos gewesen sein: Tracks wie „Inner City Life“ oder „Angel“ sind aus dem kollektiven Gedächtnis der damaligen „Headz“ nie wieder verschwunden. Nun hat Goldie ein neues Album veröffentlicht.
Drum and Bass interessierte mich zuletzt nicht mehr sonderlich. Meine Hochphase liegt gut zehn Jahre zurück, infiziert wurde ich im Auto einer Schulfreundin, nachts auf der Autobahn, der Schnee flog gegen die Scheibe und das Mixtape lief so laut, dass Reden unmöglich war. Danach war es vor allem Radio-Legende Klaus Fiehe, der mir Drum and Bass zeigte, jeden Sonntagabend auf EinsLive in seiner Sendung „Raum und Zeit“.
Schnitt, zehn Jahre später: Klaus Fiehe sagt in seiner Sendung, die jetzt leider nur noch „Fiehe“ heißt, dass „The Journey Man“ das beste Drum-and-Bass-Album sei, das er je gehört habe. Also, abgesehen natürlich von „Timeless“, das auch von Goldie ist und 1995 das Genre definierte. Und dieses beste Drum-and-Bass-Album komme 2017 von einem, der inzwischen über 50 ist. Das müsse man sich mal vorstellen.
Tatsächlich, das muss man. Also schmeiße „The Journey Man“ an, und nach zwei Tracks hat es mich. Die Vocals im Opener „Horizons“ klingen frisch, soulig, dabei aber aber nicht cheesy. Das heißt schon was, denn eigentlich steh’ ich nicht auf Drum and Bass mit Vocals. „Prism“ macht stark weiter – ein vertrackter Groove, der vertraut und zugleich fresh klingt, druckvoll, transparent, mit genau der richtigen Portion Wumms. Das ist Goldies Signature-Sound, man hört, dass hier der Ober-Metalhead am Werk ist. Und zu keinem Moment klingt die Musik angestaubt oder gestrig.
Ein furioser Einstieg, doch das hohe Niveau kann die Platte auf Dauer nicht ganz halten. Wen wundert’s? „The Journey “ ist ein Mammutwerk, 16 Nummern auf zwei CDs bzw. drei LPs, über 100 Minuten Spielzeit – Goldies Hang zur Überambition eben. Trotzdem: Im immer gleichen Ton geht es nicht weiter. Seichten Trip Hop („Mountains“), ein Pat-Metheny-Cover mit Live-Instrumentierung und 4hero-Breakbeats („Tu Viens Avec Moi?“), die beatlose Piano-Ballade „Truth“, das minimalistisch-perkussive „I Think Of You“, das vertrackt treibende „Triangle“ oder das überlange „Redemption“, das als klassischer Two-Stepper startet und dann über einen Ambient-Break nach gut zehn Minuten überraschend in einen trockenen, mit Dub-Effekten angereicherten House-Groove driftet.
All das begeistert mich nicht immer, aber ich finde es zumindest beeindruckend, denn alle hier präsentierten Spielarten beherrscht Goldie mit schlafwandlerischer Stilsicherheit. Seinen Trademarks bleibt er dabei weitgehend treu: trockene Breakbeats, sinfonische Streicher, atmosphärische Weite, keine Scheu vor Gefühl und großer Geste – und Vocals auf fast jedem Track, oft divenhaft soulig vorgetragen.
Auf Dauer ist das zwar etwas ermüdend, wie auch die Spielzeit der Platte kaum geeignet für heutige Hörgewohnheiten ist. Zudem kenne ich kein derart langes Album, bei dem man nicht gründlich hätte kürzen können - siehe „Wu-Tang Forever“. Gerade bei den ruhigeren Nummern hätte man den Rotstift ansetzen und die Platte dadurch etwas straffen können. Trotzdem ist „The Journey Man” am Ende ein tolles Comeback mit vielen guten Momenten, das Goldies Hang zur Überlänge Rechnung trägt. Das beste Drum-and-Bass-Album aller Zeiten? Vielleicht. Auf jeden Fall aber ein guter Trip durch „Raum und Zeit“ und das sehr souveräne Comeback eines alten Hasen, das so fresh und zeitlos klingt wie sein Debüt vor zwanzig Jahren.
Johannes Wallat ist Journalist und Moderator. Seine Sendung „Kontrabass“ läuft alles zwei Wochen auf Byte FM.