Plattenkritik: Function – Recompiled I/IIVorne Bumms, hinten Sterne
24.8.2017 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannDavid Sumner öffnet für das Berliner Label A-Ton sein Archiv.
Die Gemengelage im Techno ist 2017 amtlich verwirrend. Weil es vom Dancefloor schon lange nichts Auffälliges mehr zu berichten gibt, wird der Fortschrittsglaube wieder vermehrt an dessen ausgefransten Rändern gesucht. Hier sind shiny PlugIns schon wieder Geschichte, hier ist Ableton nicht mehr als eine Bandmaschine, hier darf es rauschen, hakeln und stolpern, falsch klingen (was immer das genau heißen mag). Hier werden die Regeln gebrochen, die niemand jemals aufgestellt hat und das Diktat der geraden Bassdrum vom Sockel der Geschichte gestoßen. Tolle Geschichte, aber natürlich Beschiss. Denn im Techno ging es immer um genau das. Das haben die, die sich beim Atonal-Festival unter die Noise-Dusche stellen, nur noch nicht verstanden. Wird schon. Und ist ja auch kein Wunder, weil: Wer will schon auf ökologisch nachhaltig aufgesetzten Festivals den ganzen Sommer über auf der Pusteblumenwiese rumstehen und der DJ-Mafia auf die CDJs gucken.
Die Gemengelage im Techno ist 2017 manchmal aber auch einfach nur einfach und erfrischend. Zum Beispiel dann, wenn David Sumner aka Function in den Archivkeller steigt, alte Tracks seiner mittlerweile über 25 Jahre andauernden Karriere heraussucht, editiert und restauriert, händisch Plops und Klicks aus den Rillen verstaubter Testpressungen schabt und dann ins Büro der Berliner Berghains schickt. Eine Werkschau des New Yorkers war ohnehin überfällig, „Recompiled I/II“ ist der erste Teil. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein Ding der Unmöglichkeit –, dafür aber sehr bedacht und mit viel Liebe zusammengestellt. Klingt kitschig, ist aber sensationell.
Der erste Teil der Compilation-Reihe, der nun auf A-Ton, dem Sublabel von Ostgut Ton, auf Doppelvinyl – nur auf Vinyl, das wird viele ärgern – erscheint, ist kein Plädoyer dafür, dass alter Techno besser ist als neue Produktionen. Im Gegenteil. Die hier versammelten 13 Tracks beweisen vielmehr eindrücklich, dass die jüngere Geschichte noch längst nicht auserzählt und somit abgeschlossen ist, zu den Akten gelegt werden kann. Functions Musik strahlt hell und klar. Damals wie heute. Das klingt nun ein bisschen wie Leichenfledderei. Dabei ist David Sumner weder tot noch im Techno-Altersheim. Wäre ja auch noch schöner. Hier versucht lediglich ein Produzent, den Überblick zu behalten, bzw. wieder herzustellen. In einer Zeit, in der Techno – ok, Dance Music – noch vornehmlich über Vinyl das Licht der Welt erblickte und die digitale Zukunft noch nicht erfunden war, bzw. gerade erst dabei war, sich zu manifestieren, ist das manchmal gar nicht so einfach.
Die Recompiled-Reihe, so ist aus Richtung des Berghains zu hören, sei eine absolute Herzensangelegenheit von Sumner und ihm fast wichtiger als die Veröffentlichung neuer Musik. Darum habe sich der Fertigstellungsprozess auch immer wieder hinausgezögert. Faktisch ist „Recompiled I/II“ ein neues Function-Album. Wer kann sich schon an die ganzen 12“s erinnern? Solo, mit Karl O’Connor, auf Synewave, Sandwell District, Infrastructure. Zu viele eingerissene Papierhüllen mit gestempeltem Vinyl, unauffindbar in den Untiefen der Expedit-Regale.
„Recompiled I/II“ ist auch deshalb ein Album, weil es tatsächlich wie ein Album funktioniert. Das Stichwort Compilation setzt lediglich den Rahmen, informiert darüber, dass Fans und Sammler hier einige Tracks vielleicht nur staubfrei und in HiFi hören können, Edits hin oder her. Die Sequenzierung der Stücke ist bemerkenswert, die Musik fließt wie eine auf vier LP-Seiten komprimierte Nacht, fordert, gibt zurück, hält inne, nimmt wieder Fahrt auf. Natürlich liebt Sumner die Bassdrum. Aber die Musik von Function war und ist deshalb so besonders, weil ihm alles um die Bassdrum herum mindestens genauso wichtig ist wie der Groove. Das haben im Techno immer nur wenige so konsequent verstanden und verfolgt. Schon allein deshalb ist diese Platte so wichtig. Das Rohe, das Holpernde und Stolpernde, das heuer vielerorts so gefeiert wird: Das ist nicht neu, war immer da, ist das Fundament. Aber auf Fundamenten muss man eben auch Häuser bauen. Das von Function war und ist so modern, dass es nie renoviert werden muss.