Plattenkritik: Fennesz - BécsLobhudelei über und fünf Fragen an den Meister der Distortion

Fennesz Bécs

Flieg', Drone, flieg'!

Bevor die Drone in den Himmel stieg, summte sie. Was heute Sinnbild für den technischen Fortschritt ist, ist in der Musik eine gelernte Auseinandersetzung mit dem lärmigen Stillstand. Die Drones sind verwaschene Sound-Teppiche, endlos scheinende Wände aus Restgeräusch, mal dunkel-konfrontierend, mal hell und freundlich. Eine Art Loop, ohne dabei Loop zu sein. Und ganz bestimmt ohne Anfangs- und Endpunkt. Der Österreicher Christian Fennesz hat das nicht erfunden, aber entscheidend geprägt. In einer Zeit, in der der Laptop als Musikinstrument immer populärer wurde und ehemals unbezahlbare Studiotechnik plötzlich in den portablen Computer mit dem Apfel passte. Kaffeebraun waren diese Rechner damals, genau wie eine gute Melange in Downtown Wien. Seit den 1990ern arbeitet Fennesz an der Schnittstelle von Gitarrengewerke und Elektronik. Eine Schnittstelle, die den Rockern immer merkwürdig vorkam, aber eigentlich bereits in den 1970ern von Robert Fripp mit seinen Frippertronics etabliert und feingeschliffen wurde.

So ist es auch keine Überraschung, dass „Endless Summer“ von 2001 immer noch als das Fennesz-Album gilt. Ein Album, mit dem der Musiker viele Mauern niederriss, Schlagbäume öffnete und zerstörerische Verzerrung mit der damals so angesagten „experimentellen Elektronik“ vermischte. Das haben die Rocker verstanden. Mir war die Vermischung zu bewusst gesetzt, nicht frei genug. Zu wenig Schwebeteilchen. Es scheint, als sah Fennesz das genauso. Denn die beiden Alben, die folgten - „Venice“ und „Black Sea“ -, strahlten mit einem deutlich entspannteren Umgang beider klangentscheidenden Komponenten und rückten das Songwriting in den Vordergrund. Auch Laptops können rocken. Träumen sowieso.

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Bild: Lorenzo Castore

Nun also „Bécs“. Das ist ungarisch und heißt Wien. Ein Stück Heimat also und genau so klingt das neue Album. Hier ist jemand angekommen, der gar nicht wusste, dass er unterwegs war. Schönheit und Morbidität, das ist ein beliebtes Klischee-Pärchen, das der österreichischen Metropole immer wieder untergeschoben wird, auf Wien aber ebenso zutrifft wie auf jeden anderen urbanen Moloch, der älter ist als 50 Jahre und die Bomben noch kennt. Alt vs neu, Original vs Kopie, Epoche gegen Epoche. Und Fennesz ist mittendrin. Mit der Gitarre als historischen Beweis für die Überlebensfähigkeit des Alten in der einen Hand und dem Laptop als Zukunftsversprechen in der anderen. Zwischen den Zähnen: natürlich ein Plektrum, aber auch einen Friedensvertrag. Fennesz kommt mit guten Absichten. Kam er immer, aber nie war das in seiner Musik so explizit zu hören. Die Zutaten der sieben Stücke sind immer noch die gleichen. „Bécs“ überrascht jedoch durch eine Leichtigkeit, eine allumfassende Leichtigkeit, die bislang in Fennesz' Werk so noch nie durchschimmerte. Es ist sein bestes Album. Mit Abstand. Bislang.

Und das, These, hat vor allem mit seinem Gitarrenspiel zu tun. Die elektronische Bearbeitung ist solide und über alle Zweifel erhaben. An der Gitarre jedoch spürt man in jedem Track einen Hang zur Weite, zum Loslassen, ein so bislang noch nicht bekanntes Vertrauen in den Akkord als Zentrum und Ausgangspunkt der Musik. Egal wie eingängig und bekannt dieser Akkord auch sein mag. „Bécs“ ist wie ein Boot. In dem haben alle Platz, auf Deck lässt es sich gemütlich sitzen, die Drinks sind perfekt, alle sind zufrieden und aufmerksam. Denn die Bootsfahrt geht durch eindrucksvolle Landschaft und ist schwierig zu navigieren. Stromschnellen, Untiefen und gefährliche Riffs lassen den Kapitän schwitzen. Die anderen Riffs jedoch, die aus Fennesz' Gitarre, wirken wie Sicherheitsgurte, sind wie Musik gewordenes Gottvertrauen. Schönheit durch und durch, versetzt mit digitaler Patina. So wunderbar klang der Verfall noch nie.

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Bild: Lorenzo Castore

Fünf Fragen an Christian Fennesz

Das Filter: E-Gitarren und Elektronik haben sich lange Zeit so gut verstanden wie Pablo Escobar mit der DEA. Das scheint sich mittlerweile geändert zu haben, was ist passiert?

Christian Fennesz: Der Computer ist wahrscheinlich das komplexeste Gitarren-Effektgerät überhaupt. Viele Gitarristen haben das erkannt.

Das Filter: Die schönste Gitarre der Welt ist?

Christian Fennesz: Früher war es für mich immer die Fender Jazzmaster. Letztes Jahr entdeckte ich jedoch in einen kleinen Wiener Laden eine 62er Höfner- Archtop-Jazzgitarre. Die ist die schönste.

Das Filter: Wieso?

Christian Fennesz: Sie sieht toll aus und klingt unglaublich.

Das Filter: Die fünf besten Gitarristen aller Zeiten sind und warum?

Christian Fennesz: Neil Young (Spieltechnik und Sound), Wes Montgomery (Tone!), Jimi Hendrix (übernatürlich), George Harrison (die mathematische Popgitarre) und Jimi Page (der kann alles und hat den besten Rhythmus).

Das Filter: Wenn du ein Solo genauso spielen könntest wie das Original, welches wäre es?

Christian Fennesz: „Little wing“ von Hendrix. Ich konnte das mal, bekomme es heute aber nicht mehr hin.

Fennesz, Bécs, ist auf Editions Mego erschienen.

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