Plattenkritik: Felix K & BassDee – Veteranenstraße EPEine Ode an das Restgeräusch

Felix K Bass Dee Veteranenstrasse EP Review

Zwei Veteranen der Berliner Elektronik mischen die Karten des Legenden-Techno neu.

Kürzlich war ich für ein paar Tage in Großbritannien unterwegs und donnerte mitten in eine Hitzewelle hinein. Hitze nach südeuropäischem Standard, gepaart mit asiatischer Luftfeuchtigkeit. Das kann ja heiter werden, dachte ich und versuchte mir vorzustellen, was für Auswirkungen diese Temperaturen auf das irrsinnige Tempo von London haben würde, dieser Stadt, dieser verdammten Stadt. Zum Glück hatte Jóhann Jóhannsson just ein neues Stück veröffentlicht. Knapp fünf Minuten lang, sehr loopig, genau richtig, um es als tagesbegleitende Schlaufe auf dem Telefon immer und immer wieder zu hören, um sich gegen den Wahnsinn adäquat zu wappnen. Ich wünschte, ich hätte diese EP bei mir gehabt. Denn es kam alles anders.

Die Stadt, die sonst so feindlich und hyperaktiv sein kann, zeigte sich in zeitlupiger Eleganz von einer ganz anderen Seite. Auf jedem Fitzel Grünfläche waren Liegestühle aufgestellt, die Menschen verließen die Büros, trafen sich auf den Plätzen und tranken Weißwein oder einen Pint Lager, an den U-Bahnhöfen verteilten Tube-Angestellte Wasser: Man achtete aufeinander, war freundlich zueinander. Und mit dem Abend kam der Wind.

Plattenkritik-FelixK-Panorama

London, Paddington Central, 19. Juli 2016, Außentemperatur: 33 Grad Celsius

Genau in diesem Moment wäre die gemeinsame Platte von Felix K und BassDee mehr als angemessen gewesen. Zwei local heroes der Berliner Szene, geprägt vom Techno, ausgewachsen mit Drum & Bass, zwei Generationen DJs und Produzenten, die Berlin ganz unterschiedlich ihre ganz eigenen Stempel aufgedrückt und es so geschafft haben, dieser mitunter so frustrierenden und irritierenden Großstadt Struktur zu geben. Diesen einen besonderen Moment, in dem alles stillsteht und in der Zeit eingefroren scheint, abzubilden. Der eine (BassDee) hinter den Plattenspielern, der andere (Felix K) vornehmlich mit seinen Produktionen auf seinem eigenen Label „Hidden Hawaii“, wo auch diese EP erscheint. Die „Veteranenstraße EP“ ist eine dieser seltenen Produktionen, denen es gelingt, das Gefühl einer schlafenden Großstadt in Musik zu packen. Die Beats? Völlig egal. Worum es eigentlich geht, sind die unterschiedlich gestaffelten Schichten bunt schillerndem Noise, latent bedrohlich und doch bekannt, problemlos abschätzbar und einzuordnen, fluide gleitende Orientierungspunkte, die sich wie von selbst ein- und ausblenden, ohne klar definierten Aggregatzustand zwischen drückender Abstraktion und umso realerer melodischer Struktur die Seiten wechseln. Die Oszillatoren schwitzen und sondern dabei einen synthetischen Protein-Cocktail ab, den selbst Einhörner nicht unverdünnt konsumieren könnten.

Natürlich denkt man sofort an Berlin und Basic Channel. Beides stimmt und beides stimmt nicht. Felix K und BassDee sind beide aus Berlin, ja, und würde man sie zum Basic-Channel-Universum und der angeschlossenen Klangforschung befragen, würden beiden die Augen glühen. Und doch ist das alte Imperium aus Basic Channel, Maurizio, Rhythm & Sound und Burial Mix schon lange außer Betrieb, eine legendäre Legende, Inspiration für Generationen von Produzentinnen und Produzenten, die diese Phänomene gar nicht in Echtzeit erlebt haben. Warum? Weil der abgeklärte und abstrakte Sound von Ernestus und von Oswald die zunehmende Komplexität der sich immer schneller verändernden Welt abfederte, einordnete und auf eine wiederum sehr abstrakte Art und Weise verständlich und erträglich machte.

Felix K und BassDee gelingt es, genau dieses Gefühl in das Hier und Jetzt unserer digitalen Urbanität zu übersetzen. In schluffigem House-Tempo malen die beiden farbenprächtige Gemälde, auf denen sie rein gar nichts abbilden. Die drei Tracks (allesamt namenlos, das Gleiche gilt für den vierten Track, einen Remix von Stone Edge) sind kaum mehr als Rahmen, durch die sich jedwede Realität besser und nachhaltiger ertragen lässt. Es gab eine Zeit, in der ging es vorrangig genau darum in der elektronischen Musik. Von dieser Tradition jedoch ist oft nur noch wenig übrig geblieben. Die Stücke von der Veteranenstraße beleben das Streben nach dieser Maxime aufs Neue. Es ist nicht die erste Platte, die sich diesem Projekt annimmt, dafür aber eine, der es bis ins letzte Detail gelingt. Nur was rauscht, lebt.

Felix K & BassDee, Veteranenstraße EP, ist auf Hidden Hawaii erschienen und zur Zeit nur auf Vinyl verfügbar, zum Beispiel hier.

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