Plattenkritik: Craig Leon - Anthology of Interplanetary Folk Music Vol. 1: Nommos / VisitingAliens, Post-Punk und LSD
16.6.2014 • Sounds – Text: Christian BlumbergAls Produzent von Blondie, Suicide oder den Ramones ist Craig Leon weit mehr als nur eine Fußnote des Pop. Weniger bekannt als diese Auftraggeber ist sein eigenes Album „Nommos“, erschienen 1981.
Bereits acht Jahre zuvor war Leon vermittels einer Ausstellung des ehrwürdigen Brooklyn Museums auf das skulpturale Vermächtnis der Dogon gestoßen, eines malinesischen Stammes, der innerhalb der Anthropologie (bzw. der Ethnologie) schon in den 1930er-Jahren für ein gewisses Aufsehen sorgte. Denn es hieß, die Dogon verfügten über ein erstaunliches astronomisches Wissen, im Besonderen über den Stern Sirius B. Der ist jedoch so lichtschwach, dass es westlichen Sternwarten erst in den 1970er-Jahren gelang, ihn vernünftig zu fotografieren. 1977 sprachen pseudowissenschaftliche Publikationen – wie sie Ende der 70er bekanntlich Konjunktur hatten – mit esoterisch-spekulativem Gestus von der Möglichkeit, dass sich das Wissen der Dogon um besagten Stern nicht weniger als einem Zusammentreffen mit extraterrestrischen Besuchern verdanke. Leon jedenfalls vertonte auf „Nommos“ den Schöpfungsmythos der Dogon.
Das Ergebnis war jedoch kein Versuch in Transzendenz, denn Leons sphärische Klangflächen werden immerzu von kühlen, oft polyrhythmischen Drum-Patterns geerdet, in deren Monotonie das Wissen um Post-Punk und New Wave überdeutlich ist. Das ist genau der Spannungsfeld, das „Nommos“ zu einem ziemlich einzigartigen Album macht: hier die Tightness des Drumcomputers, der LSD-Kitsch der Synthesizer dort. Das geht erstaunlich gut zusammen und erinnert in der Anlage vielleicht am ehesten noch an NEU! – nur eben doch ganz anders. Und vor allem: ganz ohne Rock. Das vielleicht schlagendste Argument für diese Symbiose ist der Track „Nommo“, dessen perkussive Arbeit so minimal und präzise ist, der gegen diese höchste Konzentration jedoch eine Wolke aus Oberton-Eskapaden montiert.
Nach jahrzehntelangem Siechtum in Discogs-Wantlists gab es 2013 bereits eine, von Leon allerdings nicht autorisierte, Wiederveröffentlichung auf Superior Viaduct. Nun erscheint „Nommos“, zusammen mit einem weiteren Album Leons („Visiting“ – das jedoch konzeptuell wie musikalisch „Nommos“ nicht das Wasser reichen kann) bei RVNG Intl. – jenem New Yorker Label, das sich jüngst erst mit der Veröffentlichung unveröffentlichter Stücke von Kerry Leimer auch als poparchäologischer Player empfohlen hat. Allerdings ist das hier keine Reissue: Für diesen Release nämlich hat Leon beide Alben neu eingespielt. Dabei hat er jeden Sound, jede Filter-Einstellung und überhaupt jedes Detail der Originalaufnahmen exakt übernommen, weshalb das Ergebnis eben nicht wirklich anders klingt, sondern einem Remaster gleicht, bzw. ein Remastering deutlich übertrifft.
Es klingt jetzt eben so, als hätte Leon 1981 schon 2014er-Studiotechnik zur Verfügung gehabt. Die so entstandene klangliche Breite muss man natürlich mögen: Manchem wird die Spröde der 81er-Aufnahme besser gefallen. Ungeachtet solcher Fragen gehört Craig Leons „Nommos“ zu den interessantesten Platten der frühen 80er, weil sie, auch dank der Konzeption, einen Bogen zwischen Punk-informiertem Zeitgeist und einer technologisch vermittelten Form der Magie zu schlagen versucht – und somit die Grabenkämpfe einer Ära aus einer originären Perspektive formuliert.
Craig Leon, Anthology of Interplanetary Folk Music Vol. 1: Nommos / Visiting, ist bei RVNG Intl. erschienen.
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