Er spielte Schlagzeug für so unterschiedliche Bands wie Peaches, Puppetmastaz oder Die Türen. Jetzt legt Chris Imler sein Solo-Debüt vor. Unser Autor Benedikt Bentler nutzt die Chance und fährt mit dem Album im Ohr ein Mal um den Berliner S-Bahn-Ring. Ein Selbstversuch.
Berlin S41, Ringbahn. Vierzig Minuten Zeit. Genug, um die neue Platte von Chris Imler an einem Stück durchzuhören. Wer weiß, vielleicht eignet sie sich ja dazu, den nervtötenden Feierabendverkehr ein wenig erträglicher zu machen. Mörder ist zumindest ein guter Anfang, schleudert einen mit längst vergessenen Drums à la DAF sogleich aus dem Diesseits. „Weißt du was ich war, M&M-DNA.“ Diese Beats programmiert ein Drummer, stets mit dem Mut zur rauen Schlampigkeit. Chris Imlers musikalischer Hintergrund ist von der ersten Sekunde an unverkennbar. Als Schlagzeuger der Golden Showers trat er um die Wendejahre erstmalig in Erscheinung. Dann Peaches, Maximillian Hecker, Jens Friebe und die Electro-Indie-Deutschpunker Die Türen, nun auch noch Oum Shatt. 2011 veröffentlichte er mit Patric Catani ein Album als Driver & Driver und schon damals waren die Assoziationen zu DAF sofort da.
Überraschungen kommen nicht von Track zu Track, sondern von Satz zu Satz, der Albumtitel passt.
Blickt man in die Gesichter des Feierabendverkehrs, dann hat man nicht das Gefühl, dass es überhaupt Menschen gibt, denen ihr Job Spaß macht. Chris Imler liefert den passenden Soundtrack: „Ich bin nur ein einfacher Arbeiterjunge/komm schon pfeif mir hinterher/ich bau die Städte und die Betten/Und den fließenden Verkehr (...) Die Schweine halten sich für Götter/Die Schweine halten uns als Schwein/Doch wir machen die Gewitter/Und wir werden Herrchen sein.“ Von revolutionären Ausbrüchen des schweinischen Proletariats wie auf Orwells Farm der Tiere, merke ich hier im Berliner Personennahverkehr zwischen Trubel und allgemeiner Müdigkeit allerdings nichts. Nun könnte man meinen, dass sich die Stimmung wieder dreht, wenn es im Track Dasein heißt: „Und alles verwandelte sich in glänzende Schönheit/Und die ganze Welt, war wie die Liebenswürdigkeit selbst.“ Aber der Kontrast zum simplen Sound Design mit völlig chaotischen Piano-Einwürfen und Chris Imlers effektverzerrter Autotune-Stimme ist unüberwindbar, keine Harmonie möglich - und alles irgendwie krautig.
Letzteres ist allerdings nicht verwunderlich, hat doch Schneider TM die Platte produziert. Chris Imlers Sound wirkt wie ein abstrakter Blick auf die heutige, völlig chaotische Welt, das schließt auch die Texte mit ein.
Dadaistisch erscheinen sie nämlich nur dem unaufmerksamen Hörer und zu Beginn und in einzelnen Fragmenten, aber nicht als Gesamtkonzept. Das Album verschafft einem den Blick in Chris Imlers Kopf, dessen Verknüpfungen im Gehirn sich von denen des Ottonormalverbrauchers irgendwie unterscheiden müssen: „Ich treib die Schafe zur Garage/Aus den Wäldern. In die leeren Felder/Schreib ich meinen Namen leserlich in Druckbuchstaben!“ Überraschungen kommen nicht von Track zu Track, sondern von Satz zu Satz, der Albumtitel passt. Nervös und mit einer Kirmes im Schädel verlasse ich die U-Bahn. Zum Runterkommen taugt die Platte mit ihrem roughen Garage-Sound nicht. Aber Spaß macht sie trotzdem.
Chris Imler, Nervös, ist auf Staatsakt erschienen.