Plattenkritik: Bracken – High PassesDroben Knall und Fall und die Abfahrt vom Freund
10.6.2016 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannEine ganze Generation verehrt die Band Hood als unumstrittene Helden. Mit Alben wie „Cold House“ oder „Outside Closer“ hat die Gruppe um die beiden Brüder Chris und Richard Adams den britischen Indie-Sound nachhaltig geprägt und verändert, nicht nur wegen der Zusammenarbeit mit den Anticon-Rappern Dose One und Why?. Doch seit über zehn Jahren ist es still geworden um die Band. Nun veröffentlicht Chris Adams ein neues Album. Mit seinem Projekt Bracken beschreitet er seit 2007 musikalisch andere Wege. Die neue Platte jedoch ist eine reine Liebeserklärung an den einzigartigen Sound seiner alten Band. Und kling doch vollkommen anders.
Was Hood anbetrifft, war ich – wie so oft – ein ziemlicher Spätzünder. Der eine oder andere Track ist mit Sicherheit an mir vorbeigerauscht, ohne jedoch wirklich Eindruck zu hinterlassen. Es war in den 1990er-Jahren, einer Zeit, in der ich musikalisch grundlegend anders gepolt war und mich kaum für Jungs und ihre Gitarren interessierte. Es muss das Album „Cold House“ gewesen sein, das mir eine Brücke baute. Eine unglaublich gute Produktion. Pfiffig, voller guter Ideen und komplett scheuklappenbefreit. Da rumpelten die Beats, die Anticon-Connection mit Dose One und Why? brachte zusätzlich frischen Wind. Immer noch eines der besten Indie-Alben aller Zeiten. Es war aber auch die Zeit, in der mir die Band quasi persönlich auf die Pelle rückte. Auf dem Label, an dem ich damals beteiligt war, begannen wir damit, die Musik von The Remote Viewer zu veröffentlichen, einem Projekt zwei ehemaliger Hood-Mitglieder. Zu diesem Zeitpunkt stieg ich tiefer in den Kosmos ein, den alle Beteiligten im nordenglischen Leeds in den Jahren zuvor aufgebaut und entwickelt hatten. Ich bin also befangen, was Bracken angeht. Ist aber auch egal.
Denn wäre „High Passes“ nicht so eine wundervolle Platte, würde ich das genauso hier aufschreiben, bzw. mir die Review einfach sparen. Geht aber nicht. Denn das Album muss einfach Wellen schlagen.
„High Passes“ ist eine sehr elektronische Platte. Damit setzt sich die Tradition, die bei Hood begonnen und auf den späteren Bracken-Alben entwickelt wurde, fort. Doch so richtig einordnen ließen sich genau diese Platten nie. Sie waren nicht kohärent genug, das Sound Design auf den letzten Metern nicht überzeugend und das gesamte Storytelling verbesserungswürdig. All dies ändert sich mit „High Passes“. Adams gelingt es, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf eine Art und Weise miteinander in Verbindung zu bringen, die schon vor zehn Jahren die Welt final hätte retten können. Müssen. Da ist das Besen-Schlagzeug, das bei Hood schon zu den größten Momenten geführt hat. Da ist sein Gesang, der so wunderschön und eindrücklich klingt, dass er aus dem Studio in Leeds bis weit über die britisch-schottische Grenze gen Norden hallt und irgendwo kurz vor Inverness ein Rudel Wölfe vor Begeisterung erst umfallen und dann die Koffer packen lässt. Da ist aber auch die sanfte und doch nachdrückliche Hinwendung zum Dancefloor des Pop, der immer wieder in Form von kruden Strauchel-Beats und tiefen, von Vocal-Cutups getragenen Collagen durch die Stücke geistert, dabei aber nach kurzer Effekthascherei kategorisch und jedes Mal den Kampf gegen eine Boards-Of-Canada-Redux verliert und auch noch stolz darauf ist.
Eine Besonderheit an Hood und allen Projekten, die sich im Umfeld dieser Band entwickelt haben, war stets die Melancholie. Keine offensichtliche Tränendrüserei, vielmehr eine multidisziplinäre Angelegenheit, die sich in den Songs genauso wie im Artwork und bei der Wahl der Track-Titel manifestierte und sich im schludrigen Outfit der Jungs mit Schlabber-Shirt, blitzeblank geputzten Trainers und der besten Sammlung von Basecaps und sonstigen Mützen kontrastierte. Was geht wohl in ihren Köpfen vor? Warum machen die das? Warum sind die so verdammt gut in dem, was sie tun und wie sie es tun? Warum berührt das so? Warum wird man dieses Gefühl nicht mehr los? Und warum will man es gar nicht mehr loswerden? Eben diese Magie scheint auf „High Passes“ hell und klar. Vielleicht so stark wie nie zuvor. Egal von welcher Seite man die Songs hier hört oder betrachtet: die gefällige Sperrigkeit und die sperrige Gefälligkeit ziehen einen tief hinein in eine andere Welt. Das ist kein von langer Hand geplantes Eskapismus-Handbuch. Das ist einfach das, was passiert, wenn Musik einfach gut ist. Das darf nie enden.
Droben Knall und Fall und die Abfahrt vom Freund? Wer alt genug ist, kennt das Zitat. Chris Adams kennt es bestimmt nicht, auch wenn es altersmäßig noch knapp passen könnte. In England spielte es einfach keine Rolle. Und doch passt es. Droben knallt es, auf den Fall folgt der Neustart von Bracken. Adams hat sich auf eine lange Reise begeben, bis diese Platte fertig war. Das war für viele schmerzhaft, weil man Freunde nicht einfach so abfahren lässt. Doch es war nötig. Und wichtig. „High Passes“ zeigt, wie sehr.