Plattenkritik: Bogdan Raczynski – You're Only Young Once But You Can Be Stupid Forever (Disciples)Laptop-Musik von heute für damals

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Bogdan Raczynski ist einer der unsung heroes der Musik, die früher mal Electronica genannt wurde. Der Kumpel von Aphex Twin veröffentlichte um die Jahrtausendwende herum reichlich Musik auf dessen Label „Rephlex“. Dass er nie aufgehört hat mit den Beats und Melodien, ist ein Glück. Beweist auch sein neues Album.

Die verklärte Ehrfurcht, mit der in den vergangenen Monaten der Wiederveröffentlichung von Aphex Twins „Selected Ambient Works Volume II“ entgegengefiebert wurde, wäre ja eigentlich ein schlüssiger Grund gewesen, Social Media abzuschalten, sich ein Loch zu buddeln und beherzt „Fuck“ gen Mittelpunkt der Erde zu brüllen. Kudos, Richard, keine Frage, aber c’mon. Die „elektronische Listening-Musik“ (Thaddi-TM) von damals hat so viel mehr zu bieten. Das war hier ja auch immer wieder Thema.

Bogdan Raczynski zum Beispiel. Tauchte irgendwann auf, war dank des Label-Absenders „Rephlex“, der Platten„firma“ von Aphex Twin und Grant Wilson-Claridge, immer wieder Thema am Tresen, tauchte dann aber auch irgendwann auch wieder ab (nie unter). Die Zeiten hatten sich geändert. Bogdans Musik zwar auch, aber gleichzeitig auch nicht. Krude zusammengezimmerte Tracks, mit grandioser Verhuschtheit hingestellt. Bewusst oder ob vermeintlicher „Überforderung“ (was immer das auch heißen soll, damals wie heute)? Nicht überliefert. Es passt irgendwie ins Bild und eine Epoche, in der neue Releases keine Uploads bei Spotify mit Insta-Promo bedeuteten, sondern 361 neue 7"s und 12"s, durch die es sich im Laden zu wühlen galt, wenn UPS denn geliefert hatte.

Seit dieser Zeit fällt der Name Bogdan Raczynski immer wieder. Seltener zwar, aber doch noch hier und da. Vordenker, Andersmacher, einer, der eben keinen flying fuck gibt. So geht Legendenbildung. Ich kann mich faktisch an keinen Raczynski-Track von damals erinnern. Das Rephlex-Fach in meinem Plattenregal bestätigt meinen Verdacht. Immerhin finden sich in meinem MP3-Archiv zwei seiner Alben. Fand ich bestimmt super damals.

Natürlich geht es bei Musik auch immer um Erinnerungen. Sonst wären wir ja alle nicht hier. „You're Only Young Once But You Can Be Stupid Forever“ ganz neu zu hören – nicht als Debüt, aber eben doch ohne fundiertes Vorwissen, bereitet mir große Freude. Die Erinnerungs-Synapsen triggert Raczynski stabil. Und schleudert mich damit zurück in eine Umlaufbahn, die mir bekannt vorkommt, sich wohlig warm und auch amtlich albern anfühlt, dabei aber doch abstrakt in die Jetztzeit passt. Die 18 Tracks – ob wirklich neu oder doch aus dem Archiv ist nicht bekannt – haben alle zeitgenössische TikTok-Länge, klingen zum Teil vollkommen ungemastert (ich unterstütze diesen Ansatz), sind in Abstufungen immer crazy und meistens dann eben doch mega groß. Nicht krass, nicht deep, sondern einfach nur groß. Kurze Schattenwerfer, die die Welt in den unterschiedlichsten Aggregatzuständen einfrieren. Beißend und freundlich, abgrundtief drüber und dann einfach nur sweet und episch. Ist „You're Only Young Once But You Can Be Stupid Forever“ nun der genau richtige Umgang mit dem Hier und Jetzt oder nur eine Klingelton-Compilation, die den Beat meines Herzens trifft?

Ganz ehrlich: Das ist mir vollkommen egal.

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