Plattenkritik: Attaque - On Ly OuWunderschön, aber ein bisschen Kreischen wär’ ok

Attaque Cover

Der Weg zum Techno-Star war schon geebnet, aber Dominic Gentry alias Attaque wollte ihn nicht gehen. Nach erfolgreichen Clubbangern für die schwitzende Meute im Ecstasy-Taumel entzog er sich den EDM-Tempeln dieser Welt und schrieb ein fast schon zu schönes Pop-Album.

Attaque

Wahrscheinlich war es keine leichte Entscheidung für Dominic Gentry: Der Brite wurde vom BBC Radio 1, vom Mixmag und anderen einschlägigen Medien gefeiert, seine Tracks fanden ihren Weg in die Playlists der EDM-Größen, und auch er selbst tourte ziemlich erfolgreich von DJ-Kanzel zu DJ-Kanzel um die ganze Welt. Aber er kehrte diesem Sound und diesem Leben den Rücken, es war nicht seins - trotz des Erfolgs. Das ist keine Vermutung, sondern so sicher wie der Drop im Berghain. Attaque hat auf seinem Album „On Ly Ou“, das dieser Tage via Bad Life veröffentlicht wurde, jegliche Verbindungen zur EDM-Vergangenheit gekappt, nicht allerdings zum Techno. Keine quietschenden Plastiksynthies auf 4/4-Kick mehr, stattdessen wohlig-warme Poparrangements, Shoegaze-Gitarren und Glocken, ohne dass die Elektronik zu kurz käme.

##Kein Glöckchentechno à la Pantha du Prince
Mit dem zweiten Track „Change Your Mind“, dessen Titel so wunderbar zum Paradigmenwechsel des Attaque-Sounds passt, betritt der Brite die Post-Dubstep-Welt und bekennt sich zu seinen Wurzeln: Er kommt aus Colchester, einem Städtchen in Essex mit gut 100.000 Einwohnern, irgendwo an der Ostküste Englands, nicht allzu weit entfernt von London. Mit dem darauffolgenden „Only You“ wird Attaque wieder geradliniger, housig, nur um auf „Future Earth“ wieder breakigen Beats mit gefilterten Vocals und einem kontinuierlichen Klingeln zu verfallen. Damit sind die Grundzüge des Albums gesetzt: Der Wechsel zwischen britischem Post-Dubstep-Sound auf der einen und geraden, sanften House-Tracks auf der anderen Seite, womit Attaque nicht weit vom letzten Bonobo-Album „The North Borders“ entfernt ist. Allerdings arbeitet Dominic Grenvy mit anderen Motiven: Glocken und andere metallene Schlaginstrumente ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. Ein Klingeln hier, ein Pling dort, ein Becken woanders.

Wenn Glockensounds im Zentrum eines Tracks oder gar Albums stehen, stellen sich bei mir normalerweise die Nackenhaare auf. Pantha du Prince hat das Thema überreizt, spätestens mit seiner Zusammenarbeit mit „The Bell Laboratory“ für das letzte Album „Elements of Light“. Doch sei es drum: Attaque holt die Glocken zurück in die Erträglichkeit, ja sie lassen sich fast schon wieder genießen. Am wenigsten noch auf dem Opener des Albums, später dafür umso mehr. Gepaart mit Shoegaze-Gitarren, die ebenfalls immer wieder auftauchen, ergibt das einen wunderbar dichten Sound, bei dem dank zwischenzeitlichem Gitarrengezupfe und ganz natürlichen Drumsounds auch mal die Elektronik in den Hintergrund rücken darf.

Wunderschön. Aber für den eigenen musikalischen Fingerabdruck fehlt dem Album ein bisschen die Reibung.

Dieses Album schmiegt sich geradezu an die Gehörgänge: Der perfekte Soundtrack, um die Nase in die Herbstsonne zu halten und einen Kaffee zu schlürfen. Gleichzeitig mangelt es aber auch ein bisschen an Ecken und Kanten: Die Kick darf ruhig mal mehr Wumms haben, die Shoegaze-Gitarre sollte auch mal kreischen. Aber auf „On Ly Ou“ drängt sich nichts in den Vordergrund. Das Album ist das exakte Gegenteil EDM-Phase von Attaque, wirkt streckenweise wie eine Verschmelzung von Bonobo, Darkstar und Pantha du Prince. Besser als billiges Synthie-EDM-Geballer ist das sowieso. Und wunderschön. Aber für den eigenen musikalischen Fingerabdruck fehlt dem Album ein bisschen die Reibung. Der Track „I Give it Away“ bekommt das noch am besten hin.

„On Ly Ou“ ist auf Bad Life / Rough Trade erschienen und bei iTunes erhältlich.

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