PensumTexte zum Dancefloor, April 2014

Verdon Wavy

Bild: Sebastien Verdon „Wavy“

Einmal im Monat ackert sich unser Schweizer Korrespondent Bjørn Schaeffner durch Berge von Clubmusik auf der Suche nach glitzernden Kleinoden. Diesen Monat: Omar-S, Young Marco, Joey Anderson, Gesloten Cirkel, Luke Vibert, Quarion, Prins Thomas und Kim Brown. Oder: Katzenjammer-Acid. Rollschuh-Disco. Blockbuster-House.

Prins Thomas

photo credit: Passetti via photopin cc

#Prins Thomas
Neben dem omnipräsenten Todd Terje gehört der April auch ein bisschen Prins Thomas. Ja, fast ein wenig aus dem Hinterhalt prescht des Prinzen drittes Album in die Manege. Ein kosmischer Disco-Zufall? Erst vor ein paar Wochen erschien auch die Compilation zum 10. Geburtstag von Prins Thomas' Label Full Pupp – vom Hausherrn unter anderem als Doppel-CD abgemischt. Auf „Prins Thomas III“ firmiert im Unterschied zum Masterplan von Todd Terje „It's Album Time“ eine Nonchalance, der lässig hingeworfene Jam: die orchestrale Schönheit „Hans Majestat“. Der Trance-Dance von „Trans“. Ein Acid-Dub-Kraut-Querschläger wie „Apne Slusa“. Sehr charmant, das alles.

Young Marco

photo credit: Passetti via photopin cc

#Young Marco
Dann gibt es noch die Disco, die sich der Amsterdamer Young Marco geschraubt hat. Vielleicht ist es eine japanische Rollschuhdisco, sicher ist eine Disco der schrägen Streicher und verwirrten Orgeln, eine Disco der bombastischen Subtilitäten auch. Auf seiner ziemlich kurz geratenen Langspielplatte „Biology“ für ESP Institute – superlativisch kompakt - untermauert Young Marco seinen Ruf als einer der größten Hoffnungsträger der Szene. Ein Killer wie „Suzaku“ dürfte einem den ganzen Sommer lang um die Ohren streicheln, und „Psychotic Particle“ ist schon jetzt ein Anwärter für den besten Odd-Boogie-Track des Jahres. Ganz große Disco.

Luke Vibert

#Luke Vibert

Luke Vibert liebt Acid. Vom englischen Warp-Virtuosen wissen wir das seit seiner vocoderisierten 2003er-Nummer „I Love Acid“. Auf „Ridmik“ verneigt sich Vibert nun vor der ollen Quietschdose TB-303. Als Konzept ist das vielleicht unoriginell, in der Praxis sehr erquickend. Acid klingt nirgends so wie bei Vibert: ätherisch, blubbernd, funkig, fett, überlebensgroß, katzenjammerig und auch mal im Duett mit einer Theremin. Also garantiert nie nach klassischem Chicago House. Zum Glück: Jack-Epigonen gibt’s wie Sand am Meer. Luke Vibert nur einmal.

#Quarion

Retreat White Label

Der Acid, den Quarion auf seiner Platte für Drumpoet Community präsentiert, ist von einer schwelgerischen Tiefgründigkeit. Geradezu verlieren darf man sich in den Vocalgrooves von „Falling Down“. Auf Quarions Vinyl-Label Retreat erscheint derweil eine sehr solide Compilation unter anderem mit Tracks vom Hausherrn selbst, Iron Curtis oder Mr. Beatnick. Das epische-dräuende Glanzstück: „I Am Batman“ von Kim Brown, dem Duo aus Das-Filter-Gründungsmitglied Ji-Hun Kim und Julian Braun.

#Gesloten Cirkel
Wer hat Angst vor Gesloten Cirkel? Ein Kauz dürfte er sein, der angeblich russische Künstler mit dem holländischen Namen. Strange, um nicht zu sagen, außerirdisch, waren die vier Tracks, mit denen Gesloten Cirkel 2009 auf I-F's Viewlexx-Sublabel Murder Capital debütierte: Irrenhäusler-House für die gewissen exzentrischen Momente auf dem Dancefloor. Sein Debütalbum „Submit X“ erscheint wiederum auf Murder Capital: düsterer, dreckiger Rave Electro der Marke niederländisches Hafenbecken. Das Highlight: „Feat Liette“, wo eine Dame irgendetwas von „Mooon-ey“ scattet.

#Joey Anderson
Eine liaison dangereuse ist auch das Debütalbum „After Forever“ von Joey Anderson. Der New Yorker ist im Umfeld von Leuten wie Levon Vincent zu Ruhm gekommen. Für das Dekmantel-Label hat Maestro Anderson bereits eine Platte herausgegeben. Nun hat er nochmals neun Tracks dazu gepackt. Auf spirituell verbrämten Titeln wie „Maiden's Response“ wird der Pianowahnsinn abgejackt, „Sorcery“ ist ein hochfrequenziges Hexenwerk, „Amp Me Up“ tiefbrummendes Fegefeuer. Brillante Dancefloor-Kabbala.

#Omar-S
Diesseitig geraten ist dagegen der jünste Wurf der wilden Sau Omar-S. Die blockbusterig benamste Doppel-EP "Romancing the Stone" zeigt den Detroiter von seinen blockbusterigen Sonnenseiten. Die A-Seite? Angetranced-trackig. Die B-Seite? Angetranced-melodiös. An dieser Stelle sei übrigens eins der großen Online-Abenteuer dieser Tage empfohlen, nämlich direkt bei Alex O. Smith auf seiner Webseite via Mailorder zu bestellen. Der Customer Service wird vom Einmannunternehmen Omar-S höchstpersönlich und meist sehr prompt gehandelt. Bestellversuche und Mailwechsel können aber mitunter abenteuerlich ausfallen. Und Mr. Smith, was genau heißt Shitty's Phome? Egal. Platte ist im Warenkorb.

Schuld war das Lustige Taschenbuch „Mickey, der rasende Reporter“: Bjørn Schaeffner, 43, landete 1991 im Journalismus und als nicht ganz so rasender Redaktor beim Schweizer Radio. 1994 debütierte er mit einer Polemik für diese Underground-Sache. Den Pariser House-Exzentriker Pépé Bradock beackerte Schaeffner ein gefühltes Jahrzehnt lang, bis dieser einen Podcast für seine Mixreihe ROOF.FM abmischte. Er arbeitet u.a. für FACT, Neue Zürcher Zeitung, Red Bull Music Academy, Resident Advisor, SRF2 und Tages-Anzeiger. Im Auftrag von Das Filter schreibt Bjørn Schaeffner die monatliche Clubkolumne „Pensum“.

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