Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Yiqing Zhang, Kindergärtner aus Shanghai
14.1.2019 • Sounds – Protokoll: Martin Raabenstein, Illustration: Isabell SimonIn seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Dieses Mal: Yiqing Zhang. Vor wenigen Jahren wagte der Chinese den beruflichen Neustart, hing das Dasein als Berater an den Nagel und gründete einen Kindergarten.
Lieber Yiqing, magst du dich zunächst kurz vorstellen?
Ich leite einen Kindergarten in Shanghai. Ursprünglich komme ich aber aus einer ganz anderen Richtung. Zunächst war ich Journalist bei einer Wochenzeitung, zuständig für die Bereiche Kultur und Gesellschaft. Dann war ich Analyst in einer Beratungsfirma, die sich mit dem kulturellen Transfer zwischen Europa und China auseinandersetzte. Hauptsächlich ging es dabei um die Autobranche und Erziehung. Der Unterschied zwischen der traditionellen chinesischen Form der Erziehung und der westlich-geprägten Waldorf-Idee, den ich dadurch mitbekam, brachte mich dazu zu überlegen, wie wichtig die frühe Kindheit für die weitere Entwicklung des Menschen sein kann – eine starke Inspiration, einen eigenen Kindergarten zu gründen. Das hat eine ganze Weile und verschiedene Seminare in dieser Richtung gedauert.
Seit ich täglich mit Kindern arbeite, hat sich meine Sicht auf die Welt geändert. Das liegt nicht nur daran, dass man mit den Kleinen Zeit verbringt, sondern auch wie man sie mit Musik, Malerei, Basteln und anderen künstlerischen Beschäftigungen an die kleinen und großen Aufgaben des Lebens heranführt. Ich lebe in Shanghai, einer Mega-City mit 30 Millionen Einwohnern – das eröffnet einerseits jede Menge Möglichkeiten, ist aber auch sehr fordernd. Ich mag die Geschwindigkeit und den Lärm am Tage, brauche aber meine ruhige Vorortwohnung, um wieder runterzukommen, Frieden zu genießen. Da ich in einer kollektiven Gesellschaft lebe, benötige ich diese persönliche Unabhängigkeit. Ich habe sie noch nicht wirklich erreicht, bin aber weiterhin auf der Suche nach einem guten Weg dahin.
Was hörst du zur Zeit gerne?
Klassische Musik – Johann Sebastian Bach und seine Söhne, Carl Philipp Emanuel Bach, Wilhelm Friedemann Bach, Johann Christian Bach und Johann Christoph Friedrich Bach. Am liebsten mag ich die Klavierkonzerte.
Was macht für dich den Reiz daran aus?
Sich mit klassischer Musik zu beschäftigen, ist noch relatives Neuland für mich. Früher war es eher die Popmusik – ich habe sehr auf die Lyrics geachtet, die mich emotional meist sehr berührten. Dabei konnte ich viel für mein Leben lernen, manche Sachen waren natürlich auch eher unwichtig. Irgendwann war mir das aber zu viel, und ich verspürte den Drang nach purerer Musik. Jetzt höre ich fast nur noch Klassik, das befriedigt meine Bedürfnisse und erweitert meinen Geist auf vielfältige Weise. Vor allem aber beruhigt es mich und ich empfinde eine große Stille.
Verbringst du generell viel Zeit mit Musik?
Ich kann tagsüber keine Musik laufen lassen, in unserem Kindergarten sind digitale Geräte nicht gestattet. Aber ich brauche das täglich. Morgens vor und nach der Arbeit schalte ich meine Geräte ein. Das macht meine private Zeit bunter, bringt mich in unterschiedlichste Stimmungen und ist ein nützlicher Anlass, mit mir selbst in Kommunikation zu treten.
Wie hörst du denn am liebsten Musik? Also konzentriert vor der Stereoanlage oder zum Beispiel unter dem Kopfhörer?
Zu Hause habe ich einen Bluetooth-Lautsprecher. Früher habe ich auch viel über Kopfhörer gehört, aber jetzt mag ich den Lautsprecher lieber. Er öffnet einen Raum für den ganzen Körper und nicht nur für die Ohren. Unter dem Kopfhörer fühlte ich mich physisch immer eher blind.
Deine älteste tonale Erinnerung?
Mit zwölf Jahren habe ich im Schulchor gesungen. Wir haben wöchentlich geübt und hatten einen Wettstreit mit anderen Schulen in der Stadt am Laufen. Ich hatte eine sehr hohe Stimme, bevor mein Stimmbruch kam. Das war meine einzige künstlerische Aktivität an der Schule. Chinesische Schülerinnen und Schüler arbeiten sehr angestrengt für ihr Gaokao, die Aufnahmeprüfung für weiterführende Schulen und die Universitäten – es werden kaum Kurse angeboten, die nichts damit zu tun haben. Nur der Chor war hiervon glücklicherweise verschont. Wenn ich zurückdenke, waren diese kurzen Momente der Lichtschein meiner gesamten Schulzeit.
Und dein All-time-favourite? Track oder Album?
Coldplay – „X&Y“