Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Frederik Van de Moortel, Komponist und Sound Designer
29.4.2019 • Sounds – Protokoll: Martin Raabenstein, Illustration: Isabell SimonIn seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Dieses Mal: Frederik Van de Moortel. Der Belgier hat die Musik für zahlreiche Kinofilme komponiert, ist gefragter Sound Designer und am Theater aktiv. Dabei arbeitet er nicht nur im stillen Kämmerlein seines Antwerpener Studios, sondern gibt seine Expertise auch als Lehrer an die nächsten Generationen weiter. „I design sound“ sagt er über sich selbst. Ein Understatement, das nur Menschen droppen können, die mit so vielen Projekten gleichzeitig jonglieren, wie Jeff Mills früher bei einem DJ-Set Platten brauchte.
Lieber Frederik, stell dich doch zunächst kurz vor.
Mit acht Jahren habe ich mir im Schlafzimmer mein erstes Studio gebaut: mit Tapedeck und einem analogen Synth. Ich wollte Filmmusik machen. Daran hat sich bis heute überhaupt nichts geändert, mehr als drei Jahrzehnte später mache ich noch immer dasselbe. Für weitere 30 Jahre habe ich mich auch schon beworben.
Schön, dass du uns in deinen musikalischen Alltag schauen lässt. Bevor es damit losgeht: Woran arbeitest du gerade?
Ich habe gerade den flämischen Film „Cleo“ und das spanische Mixed-Media-Projekt „El Sustituto“ als Sound Designer und Mixer beendet, ebenso die Komposition für das Theaterstück „Een paar is twe“. Parallel dazu habe ich die Arbeit an dem Animations-Kurzfilm „Lying Angel“ begonnen und werde in Kürze für die holländische Schriftstellerin und Performance-Künstlerin Simone Millsdochter an ihrem neuen Theaterstück arbeiten. Und dann ist da noch mein Lehrauftrag für Sound Design und Komposition an der „Luca School Of Arts“ in Brüssel – das nimmt eine Menge Zeit in Anspruch.
Was hörst du zur Zeit gerne?
Ich habe mich schon immer für ein weites Feld an Musik interessiert: um mich zu entspannen, begeistern zu lassen oder einfach aus Recherchegründen. Im Moment untersuche ich die Arbeiten von Astor Piazzolla, Mauricio Kagel und auch Ludwig van Beethoven für meine aktuellen Projekte. „Oblivion“ von Piazzolla spielt eine tragende Rolle in dem oben erwähnten Animationsfilm: Ich versuche herauszubekommen, wie man dieses Stück orchestrieren und in den Score integrieren kann. Für das Theaterstück möchte ich Beethovens Kompositionstechnik mit afrikanischen Rhythmen mischen – eine interessante Herausforderung. Ich könnte mir auch vorstellen hier nur mit Stadtgeräuschen zu spielen, aber man wird sehen.
Um einen gesunden Ausgleich für die Beschäftigung mit klassischer Musik zu bekommen, höre ich gerne Electronica oder Noise, da hole ich mir meine Kicks – Radian, Autechre, Stordeur, Apparat und so weiter. Das versetzt mich dann zurück in meine Jugend, als ich noch mit mehr Beat-orientierten, Noise-lastigen Sachen improvisierend auf der Bühne stand. Musik ist ja immer eine Herausforderung. Für Pianokompositionen höre ich bei Chano Domingues oder Chilly Gonzales rein und wenn ich meinen Kontrabass aufnehmen will, lasse ich mich von Charles Mingus oder Scott Lafaro inspirieren. Mingus ist rauer und erdbebenartiger Sound, Lafaro ist Virtuose im melodischen Zusammenspiel mit Bill Evans – das Spiel funktioniert nur in der Kombination der Musiker. Ich genieße jeden Moment dieser Hörerfahrungen. Wenn ich ansonsten keinen arbeitsbezogenen Grund habe, mich mit Musik zu beschäftigen, mag ich am liebsten Jazz. Belgischen Jazz von Stuff, Aka Moon oder Melanie de Biasio.
Was fasziniert dich ganz konkret daran? Du hast doch bestimmt eine persönliche Geschichte zu diesen Platten.
Ich war schon immer sehr an der Mischung unterschiedlicher Elemente und Kulturen interessiert. Als ich in Antwerpen Jazz studierte, erschien es mir völlig blödsinnig, den US-amerikanischen Swing-Jazz der 1930er-Jahre zu kopieren. Ich war auch nicht so wirklich gut und sah mich außerstande, in die Fußstapfen von Charly Parker zu treten. Mein Lehrer Stephan Gallant (Aka Moon) hat mich dann in seinem Kurs mit indischen und afrikanischen Rhythmen konfrontiert – Polyrhythmen, andere Zählweisen und Kompositionstechniken, das hat mir die Augen geöffnet. Wenn ich mein Tageswerk beendet hatte – und ich musste viel üben aus Mangel an natürlichem Talent –, habe ich mich hinter meinen alten Atari geschmissen und mit meinem Sampler bis in die frühen Morgenstunden elektronische Musik gemacht.
Verbringst du generell viel Zeit mit Musik?
Ich gehe früh morgens ins Studio, arbeite an etwas oder höre Musik, das geht den ganzen Tag so weiter. Ob ich nun selbst etwas einspiele, die Arbeit anderer untersuche, Harmonien und Orchestrierung lerne oder an Mischung und Mastering arbeite, das geht alles Hand in Hand. Ich kann auch keinen Film oder eine Serie sehen, ohne mich mit dem Soundtrack zu beschäftigen. Das ist keine Manie, der Begriff wäre zu negativ, eher ein „Raison d’être“, du kommst niemals zu einem Ende. Es gibt immer ein neues Album oder Stück zu entdecken, eine neue Seite an Erkenntnis aufzublättern, um das Überwältigende, das Tiefgründige einer Komposition zu erforschen.
Wo hörst du am liebsten Musik?
Im Studio. Ich habe es vor etwa einem Jahr gebaut, der Sound dort ist großartig. Ich bin gerade dabei, unser Wohnzimmer aufzupimpen, obwohl ich dort eher weniger experimentellen Sound auflegen kann. Meine Familie hat andere Vorstellungen, was wir zu hören haben, im Studio aber entscheide ich.
Erinnerst du dich, wie du zum ersten Mal mit Musik in Berührung gekommen bist? Was ist deine älteste tonale Erinnerung?
Da habe ich so einige Erinnerungen. Während mein Vater Beatles hörte und es keine klassische Musik bei uns gab, dirigierte mein Onkel Beethovens Neunte im Schlafzimmer, der konnte nur mit seriöser Klassik. Dazwischen mein Großvater, der auf Swing-Jazz stand.
Und dein All-time-favourite? Track oder Album?
Auf ein Album kann ich mich nicht festlegen. „Insen“ oder „Vrioon“ von Alva Noto/Sakamoto – das war eine Erleuchtung. Das Gleiche gilt für Radians „Juxtaposition“ und „The Scarlatti Book“ von Aka Moon. Bei den Tracks wird es noch schwieriger, „Piano Phase“ von Steve Reich, Mingus’ „Orange Was The Colour Of Her Dress“ oder ein Take von Geinoh Yamashirogumis „Akira“- Soundtrack? Maggotbrain? Lumpy Gravy? In a Silent Way? Es ist schwierig, hier alle meine Klassiker unter einen Hut zu bekommen. Das ist auch eher eine Frage für einen 20jährigen. In dem Alter versucht man noch, das beste Album eines Künstlers zu finden. Das interessiert mich nicht. Ich wäre da eher für eine Auswahl der jeweils schlechtesten Arbeiten desselben, das ist auf jeden Fall eine interessantere musikalische Erfahrung.
Ich mag die ganze Vielfalt an Möglichkeiten, Entscheidungen, die Versuche und auch deren Scheitern und die unendlichen Optionen, das alles miteinander zu kombinieren. In unserer „olympischen“ Gesellschaft sitzt der Fokus viel zu sehr auf schneller/höher/weiter, während die Arbeit der meisten Musiker und Komponisten eher auf Kollaboration und Vermischung, Suche und Erfahrung aufbaut. Ich glaube nicht, dass ein Profi hier auf der Jagd nach seinem besten Track ist. Das Ganze entspricht eher einer ungeschützten Arbeit an der eigenen, nackten Seele. Komponieren, wegschmeißen, ein Kampf – ewiges „Trial and Error“. Und plötzlich funktioniert es, die Eier fallen wie von selbst in die Schachtel und es fühlt sich an, als hätte das Stück sich wie von selbst geschrieben. Ob du nun deinem Kumpel was vorspielst und er nicht wirklich in die Höhe springt, oder ein Regisseur dir Vorgaben macht, die du nicht einhalten möchtest: Es ist immer das gleiche Spiel mit Zweifel und Ehrgeiz. Notfalls fängst du morgen früh eben von vorne an. Musik bewegt dich, zaubert dir ein Lächeln aufs Gesicht wenn der Beat endet oder Tränen, wenn das Alt-Saxophon den Kontrapunkt zum Cello spielt. Es ist völlig egal, ob dieser Track der Beste ist, möglicherweise hat du es zum ersten Mal gehört, aber es hat funktioniert. Es macht dich emotional oder gibt dir einen Adrenalinstoß auf eine völlig unerwartete, abstrakte Weise. Was für eine unglaubliche Kunstform! Ich bin ein Novize, ein Neuling, ein Anfänger.