Mitgehört: Musik aus dem Filter-SchwarmHeute: Frank Spiewack, Consultant
11.3.2019 • Sounds – Protokoll: Martin Raabenstein, Illustration: Isabell SimonIn seiner Kolumne „Mitgehört“ befragt Martin Raabenstein ganz unterschiedliche Menschen, was sie musikalisch umtreibt. Von prägenden Momenten bis zu aktuellen Highlights: Die Jukebox des Filter-Schwarms wird mit jeder Folge bunter. Dieses Mal: Frank Spiewack. In den 1980er-Jahren hätte durchaus ein Musiker aus ihm werden können. Aber so schnell die Neue Deutsche Welle verebbte, versickerte auch sein Interesse, weiterhin in Bands zu singen. Stattdessen verschlug es ihn über Umwege nach Neuseeland und in die Werbung. Heute dreht sich sein Job um den Markenaufbau – kein ganz leichtes Unterfangen, wenn man das Ende der Welt zu seiner Heimat auserkoren hat. Musik hilft. Für Spiewack heißt das: Alles von Deep Purple bis John Coltrane.
Lieber Frank, magst du dich zunächst kurz vorstellen?
Aufgewachsen bin ich in den 1970er-Jahren in der süddeutschen Provinz. In den 80ern zog es mich zum Studium nach Berlin, Ende der 90er schließlich wanderte ich nach Neuseeland aus. Für sehr kurze Zeit war ich Anfang der 80er auch Frontmann der NdW-Band Tiffy L’amour – mit Auftritten überall südlich von Gelsenkirchen. Danach war mein Hunger gestillt. Nach einer Dekade in der Reklame beschäftige ich mich jetzt mit internationalem Markenaufbau. Wenn man wie ich in Christchurch auf der neuseeländischen Südinsel lebt, bedeutet das im weitesten Sinne die Outdoor-Branche, was auch auf das eigene Freizeitverhalten abfärbt. Hiken, Mountainbiken, Klettern und einfach ganz viel Zeit in der tollen Natur verbringen. Da läuft ein ganz anderer Soundtrack.
Schön, dass du uns in deinen musikalischen Alltag schauen lässt. Bevor es damit losgeht: Woran arbeitest du gerade?
Ich helfe aktuell dabei, ein modisch-funktionales Bekleidungslabel aus Neuseeland auf dem Weltmarkt zu etablieren. In der heutigen Zeit kein einfaches Unterfangen, aber man kann es ja mal probieren. Auf jeden Fall kommt man viel rum, was ich einerseits liebe. Wenn man soweit weg von allem lebt, ist es schon ein Bonus, regelmäßig in Berlin, London, New York, Tokyo, Taipei, Seoul oder Hong Kong sein zu können und alles aufzusaugen, was sich da tut.
Was hörst du zur Zeit gerne?
Das kommt ganz auf meine Stimmung an. Im Alltag oder auf Reisen lasse ich mich in der Regel davon überraschen, was mir der Spotify-Algorithmus raussucht. Manchmal sind da ein paar richtige Goodies dabei, die ich sonst nie gefunden hätte. Ist ein bisschen wie früher im Plattenladen zu stöbern und zu hoffen, dass der Verkäufer einem gnädig gestimmt ist und er einen ein paar Platten anhören lässt, womöglich sogar in der Klangkabine. Wenn ich die Zeit habe und meinen Plattenspieler anwerfe, dann höre ich meistens alten Soul, zum Beispiel Chocolate Milk, The Undisputed Truth, Isaac Hayes oder Baby Huey. Oft auch Jazz – „Both Directions At Once: The Lost Album“ von John Coltrane, „Miles In The Sky“ von Miles Davis, viel von Art Pepper („The Trip“!), vor allem aber „Concierto“ von Jim Hall. Den Alt-Country Marlon Williams mag ich auch sehr gern – praktisch ein Nachbar hier aus Lyttelton. Ich tendiere etwas zum natürlichen Klang. Man wird ja reifer.
Natürlicher Klang? Erklär das bitte: Was macht ihn so speziell für dich?
Einerseits die Welten, die sich auftun, wenn man in einen neuen Groove oder Sound eintaucht. Andererseits die Authentizität von richtigen Instrumenten und richtigem Können. Wenn man den Schweiß, die Hitze und den Rauch hören kann. Und die Verzweiflung.
Verbringst du generell viel Zeit mit Musik?
Kommt darauf an. Manche Tage kann ich Musik nicht ertragen, mir fehlt dann einfach die Geduld. An anderen Tagen kann ich nicht ohne. Manchmal ist es ganz schön, sich nur im Hintergrund berieseln zu lassen. Dann muss ich mich wieder voll darauf konzentrieren, voll rein versenken – down the rabbit hole. Dann nimmt sie mich mit auf die Reise, und ich laufe durch die regennassen Straßen von Paris, mit dem unnachgiebigen Beat im Hintergrund. Das ist dann so „Ascenseur pour l’échafaud“-mäßig. Gute Musik ist für mich auch immer Kopfkino.
Wie hörst du denn am liebsten Musik? Hast du eine bevorzugte Abhöre?
Was Technik angeht, bin ich ein bisschen romantisch veranlagt. Ich liebe zwar den technologischen Fortschritt – wenn es denn wirklich Fortschritt ist –, mag aber auch richtige Knöpfe zum Drehen und Zeiger, die ausschlagen. Und Brummen soll es auch ein bisschen. Mein erster eigener Plattenspieler war Teil der Dual HS 130-Kompaktanlage. Eigentlich schrecklich mit den lächerlichen 6-Watt-Boxen, aber wenn man in erster Linie Punk und New Wave darauf hörte, war es wohl nicht so schlimm. Danach habe ich mich jahrelang mit Hand-me-downs meines Bruders über Wasser gehalten. In erster Linie ein Luxman-Verstärker und die L19-Boxen von JBL, die ich heute noch benutze. Was ich am meisten an ihnen mag, ist die Story, dass (ob wahr oder nicht) diese Lautsprecher auch in vielen Tonstudios in den 1970ern als Monitore zum Abmischen eingesetzt wurden. Dass man also die Platte auf den gleichen Lautsprechern hört, auf denen sie abgemischt wurde. Meine erste große Anschaffung war der CD-Player Rega von Apollo, nachdem ich realisiert hatte, wie viel mehr man da raushören kann. Kurz danach hat der alte Luxman den Geist aufgegeben und wurde durch einen Rotel RA-04 SE ersetzt. Ganz gut für die feinen Töne. Mein Plattenspieler ist aktuell der Pioneer PL-512X mit Grado-Kartusche: Der klingt ein bisschen brummig, ist aber schön warm. Außerdem gibt es noch einen Little-Dot-Röhrenverstärker für meine Kopfhörer (auch von Grado) und einen Olive One für alles Digitale.
Was ist deine älteste tonale Erinnerung?
Jetzt wird’s peinlich! Ich muss dazu sagen, dass sich meine Eltern nie groß für Musik interessiert haben. Mein Vater hatte zwar so ein tolles Tonbandgerät von Uher, aber das stand meistens nur ungenutzt herum. Meine Mutter hingegen hatte immer das Radio laufen, und da kam dann irgendwann „Mendocino“ von Michael Holm. Das war für mich der erste Hit. Ich war damals wahrscheinlich vier oder fünf Jahre alt, als das rauskam. Später hat ein Freund der Familie dann meinem Bruder und mir seinen alten Plattenspieler plus einer kleinen Single-Sammlung für fünf Mark verkauft. Obwohl da auch ein paar Klassiker wie Elvis, Beatles, Little Richard, Fats Domino oder Spencer Davis Group dabei waren, hatte es mir ausgerechnet Chris Andrews’ „To Whom it may concern“ angetan. Als Teenager führte meine musikalische Reise dann von den frühen Fleetwood Mac und Status Quo über Deep Purple und Pink Floyd irgendwann zu Roxy Music und David Bowie.
Von da war es dann nur noch ein kurzer Sprung zu Sex Pistols, B-52s, DAF und Palais Schaumburg. Wobei ich mich nicht lange mit Punk aufgehalten hatte, sondern mehr an den Schnittstellen mit mehr klassischen Stilen wie Soul und Jazz interessiert war. Daher dann wahrscheinlich auch meine Obsession mit James White/Chance.
Und dein All-time-favourite? Track oder Album?
Wieder so eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Den oder das eine gibt es nicht, aber einige, zu denen ich immer wieder gerne zurück komme und jedesmal überrascht und begeistert bin, wie relevant und stark sie immer noch sind. Michael Holm gehört nicht dazu, keine Angst. „Child in Time“ von Deep Purple zum Beispiel – das gekonnteste Schreifest aller Zeiten. Oder „Amsterdam“ von Jacques Brel: Das ist einerseits Leidenschaft und Melancholie, andererseits aber auch die Erinnerung, wie ich als 14jähriger allein in Verdun in einem Bistro saß, Leffe trank, Selbstgedrehte rauchte und eine Bob-Dylan-Biografie las, während dieser Song in der Jukebox lief. Und mich ein paar Studentinnen aufpickten. Natürlich auch „A Song For Europe“ von Roxy Music: große Emotion, großes Kopfkino und dann auch noch ein bisschen französisch. „Echoes“ von Pink Floyd – ohne Worte. Ich entschuldige mich bei den vielen anderen, die mich nachhaltig beeinflusst haben, die ich jetzt aber nicht genannt habe: Bauhaus, Joy Division, Rip Rig and Panic, Gun Club, Prefab Sprout und Prince.