Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Matt Berninger, The Screenshots & Adrianne Lenker.
Matt Berninger – Serpentine Prison
Thaddi: Wer mich kennt, weiß es schon länger: Ich mag The National. Aber: Mit ihrem letzten Album war ich nicht ganz einverstanden. Ich fragte damals: „Wie geht es weiter, The National?“. Was den Sänger der Band, Matt Berninger, angeht, haben wir nun die Antwort. Kürzlich ist sein erstes Solo-Album erschienen. Zuerst fragt man sich da natürlich – trotz Corona-bedingter Pause –: Wie zur Hölle kann der Typ jetzt mit einem eigenen Album um die Ecke kommen? Hat die Band in den vergangenen Jahren nicht alles gegeben? War endlos auf Tour, hat „nebenher“ brav releast? The National scheint mir eine der am härtesten arbeitenden Musik-Maschinen aktuell zu sein. Bryce Dessner hat ja auch zig Projekte neben dem Band-Alltag gestemmt. Nun also Matt. Und es scheint, als würde hier ein „Rücksturz zur Erde“ passieren, um die alte deutsche SciFi-Metapher zu bemühen. Nach Science Fiction klingt hier hingegen gar nichts. Verschwunden sind die elektronischen Akzente der letzten National-Platten. Hier regiert die Tradition. Was das bedeutet, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Denn Berninger ruft schon viele Sounds und Instrumente für seinen eigenen Kosmos auf, die auch seine Band immer wieder herangezogen hat – vor allem die Bläser sind hier zu nennen. Auf den – durchweg großartigen – Songs, herrscht jedoch eine neue Zurückhaltung. Ob das bewusst oder unbewusst passiert: Man weiß es nicht. Wenig Gedaddel, wenig Gegniedel, nur die etwas überpräsente Hammond lässt den Rezensenten immer wieder kurz den Kopf schütteln. Die Tiefe, die bei The Nationals aus der Kombination von Musik und Lyrics/Vocals entsteht, überstrahlt aber auch hier jegliche Zweifel, dass es sich bei „Serpentine Prison“ um irgendetwas anderes als Großartiges handeln könnte. Man will diesem zickigen Crooner einfach zuhören, an seinen Lippen hängen, mitsingen und vor allem mitfühlen. Ein fantastisches Singer/Songwriter-Album, das gar nicht in die Singer/Songwriter-Abteilung passt. Dafür ist das hier alles zu groß, zu mächtig und zu verführerisch. Und der Titel der LP ist gut gewählt. Der Closer des Albums klingt wie aus einer anderen, viel viel besseren Welt.
The Screenshots – 2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee
Susann: Wie viel Ironie und Veralberung erträgt man eigentlich 2020 noch? Eigentlich ist ja die Realität doch so zum Schreien, dass sich solche Kunstgriffe schon oll anfühlen. Aber bei den Screenshots kann man irgendwie doch lachen (klar, der Humor ist Twitter-erprobt), sei es über „Christian-Lindner-Swag“ in „Träume“ oder den Gentrifizierungssong „Airbnb“ („Ich vermiete meine Wohnung an Fremde mit mehr Geld … Kann ich heute bei dir pennen?“). Die Twitter-Supergroup um Dax Werner, Kurt Prödel und Susi Bumms hat sich schon vor zwei Jahren als Feuilletonliebling gemausert und irgendwie könnte man das ja als Internet- und Kritiker:innen-Hype abtun. Aber, aber – ganz ehrlich, wie glücklich bin ich, wenn ich diese scheppernden Gitarren höre und dazu so verschrobene, kluge und halt auch witzige Zeilen. Das krakelige Grafikdesign (irgendwo zwischen Stefan Marx und Anna Haifisch) als i-Punkt lässt mich auch uneingeschränkt alles daran cool finden. Mit „j@@@@@@@@“ endet das Album. Es erinnert an die Boxhamsters und frühe Tocotronic-Platten und wie mit 15 höre ich dieses Lied zwanzigmal auf Repeat. Das Fan-Paket mit farbigen Vinyl, Cap und Türschild habe ich nun auch schon mal bestellt: von null auf Sh00ter (Ist das der Fandome-Name?) in elf Songs.
Adrianne Lenker – songs / instrumentals
Benedikt: Adrianne Lenker war mit ihrer Band Big Thief auf Tour, als die Pandemie so richtig losging. Europa wurde aus dem Terminkalender gestrichten, was tun mit der gewonnen Zeit? Die Sängerin nistete sich in einer kleinen Hütte ein, irgendwo im Wald in Massachusetts. Mit dabei hatte sie ihre Gitarre, einen Haufen analoges Aufnahmeequipment – und Produzent und Audio-Engineer Philip Weinrobe. Ganz ehrlich: Für mich klingen diese Geschichten von (der in diesem Falle vielleicht nicht ganz) selbstgewählten Isolation ja immer ein wenig nach aufgetragenem Künstler-Pathos. Von dem ist die Platte selbst zum Glück weit entfernt, denn das Ergebnis ist ein intimes, bezauberndes Singer-Songwriter-Album, das einen nicht zuletzt dank der Akustik völlig in seinen Bann zieht. Gern glaubt man den beiden, dass sie mehrere Wochen am Klang gefeilt haben, bevor überhaupt aufgenommen wurde. Jeder Griffwechsel auf der Gitarre kreischt, irgendwo knackt Holz, überhaupt entsteht das Gefühl, jegliche Bewegung in diesem Raum mithören zu können. Entsprechend eng legt sich Lenkers schüchtern unperfekter Gesang mit den markant dünnen Höhen ans Ohr. Während von außerhalb dieser zum Klangkorpus umfunktionierten Hütte im Wald, auf die gelegentlich der Regel prasselt, die Vögel zwitschern.