Maschinen der GötterIn Erinnerung an Mike Huckaby und seine Musik

huckaby

Technik, die den Menschen aus dem Alltäglichen wegführt, war der zentrale Topos von Mike Huckaby. Über den Musikproduzenten, DJ, Sound Designer und Dozenten aus Detroit ist nicht bekannt, ob er gläubig war, aber er referierte gerne auf die Techno-Dokumentation mit dem Augen zwinkernden Titel God Said: Give ´em Drum Machines. Die Maschinen, mit denen die unlängst verstorbene Legende der zweiten Detroiter Techno-Generation Musik machte, sie scheinen von woanders her zu kommen und auf eine andere Welt zu verweisen.

Zugleich deuten die reduzierten, energiegeladenen Deep-House-Stücke Mike Huckabys in ihrem utopischen Charakter auf eine Selbstdisziplin beim Produzieren hin. Das Rohe und Minimalistische in Huckabys Werk war – vor allem in seinen Anfangszeiten – auf Geldmangel für den Erwerb elektronischer Musikinstrumente zurückzuführen. In einfachen Verhältnissen das zu nutzen, was da ist, wurde zu einer Arbeitsethik. Die Selbstdisziplin des avantgardistischen Jazzmusikers und Afrofuturisten Sun Ra, mit der er Chaos und aus dem Chaos etwas Neues entstehen lassen konnte, wie Huckaby gerne bewundernd betonte, wurde zu einer zweiten Säule in seinem Schaffensprozess. Selbstermächtigung von Technik und Geschichte, um frei sein zu können, war das Credo seines Lebens.

Verweis auf Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen

Huckaby galt als technikbegeisterter und autodidaktischer Nerd in der afro-amerikanischen Diaspora. Mit Derrick May wurde einer der Techno-Gründer zum ersten Producing-Mentoren des jungen Mike Huckaby aus musikalischem Hause. In der goldenen Zeit des Deep House veröffentlichte Huckaby 1995 sein erstes Vinyl auf dem Label Harmonie Park, später auch auf Cross Section und auf seinen eigenen Labels Deep Transportation und S Y N T H sowie weiteren. Huckaby arbeitete mit Rick Wade lange Zeit im Detroiter Plattenladen Record Time und eignete sich weiteres Musikwissen an. Seine Produktionen unterscheiden sich von denen der ersten Generation Detroiter Technoproducer: weniger Schwerpunkt auf Riot, mehr Klangforschung auf der Harmonieebene. Politisch bleibt der Dancefloor selbstredend trotzdem, dies unter anderem in der gemeinsamen kulturellen Praxis des Afrofuturismus, die Mitte des 20. Jahrhunderts in der afrikanischen Diaspora der USA entstanden ist. Huckaby verweist mit seiner Klangästhetik, seiner Arbeitsweise und dem utopischen Kern seiner Tunes gleichermaßen auf eine Vergangenheit (Musik der 1970er-Jahre, Jazz, elektronische Avantgarde, analoge Synthesizer, Funk etc.) und auf eine utopische Zukunft (Songtitel: „The Jazz Republic“, „The DeepHouse World“ etc.). Vermittelt durch elektronische Musik aus von Menschen bedienten Maschinen in einer herausfordernden Gegenwart. Willkommen in Sun Ras Arche, Drexciyas schwarzem Atlantis und Parliaments Mutterschiff.

Detroit-Ruhrgebiet

Dass die Zukunft im Afrofuturismus nicht linear, sondern zirkulär gedacht wird, dürfte Huckaby gefallen, wenn er jetzt mit Tony Allen und dem letzten Engel der Geschichte in einem außerirdischen Studio am Mixdown schraubt. Die Verstrebungen von Zeit und Kultur waren ihm wichtig. In der Dortmunder Ausstellung und beim Festival Afro Tech des HMKV durfte ich mit Huckaby zusammen sein, ihn zum erneuten Mal im Gespräch erleben und darf von einem DJ-Set berichten, in dem er mit einer Bandmaschine vor vollem hauseigene Edits von Sun-Ra-Stücken im Dortmunder Club „Oma Doris“ auflegte. „Da waren 400 Jugendliche, die zu total avantgardistischer Musik getanzt und das gefeiert haben; das war ein einmaliges Erlebnis“, berichtet Mitinitiator der Ausstellung und der Festival Fabian Saavedra-Lara vom medienwerk.nrw in einem Interview mit Klaus Walter auf ByteFM. Auch Mike Huckaby unterstrich in Interviews die open mindness der Clubber im Ruhrgebiet, zu denen er ein besonders inniges Verhältnis aufbaute. In verschiedenen Projekten, Talks mit Guy Dermosessian und DJ-Sets setzte er sich mit Parallelen seiner Heimatstadt Detroit und dem Ruhrgebiet als post-industrielle Regionen auseinander.

Nichtsdestotrotz war sich Mike Huckaby der Spannung kultureller Aneignung bewusst, reflektierte die Renaissance des Afrofuturismus, die Wiederveröffentlichungs-Schwemme afrikanischer Musik und die Dominanz weißer, europäischer Männer im Techno, selbst in der Motorcity. Zwar hob er oftmals hervor, dass seine Musik als publikumsorientierte Kunst in Detroit nur wenige Hörer*innen fand, bekräftigte jedoch ebenso häufig, dass die beste Zeit für Musik aus Detroit die gewesen sei, als die Europäer noch nichts von der Musik aus Detroit wussten. Viele Detroiter Musiker zogen, laut Felix Denk und Sven von Thülen in einem Artikel der Groove, langfristig aus Detroit weg: Jeff Mills nach Paris und Chicago, Robert Hood nach Alabama, Blake Baxter nach Berlin und Los Angeles, Octave One nach Atlanta etc.

Black Secret Technology zugänglich machen

Mike Huckaby bildet eine der wenigen Ausnahmen, auch wenn die meisten Detroiter Produzent*innen sich in Community-Arbeit engagieren und ihrer Hood verbunden fühlen. Mike Banks, John Collins und Cornelius Harris führen außerdem ihre Graswurzelarbeit vor Ort und im internationalen Austausch fort. Huckaby brachte Jugendlichen ab neun Jahren im Non-Profit-Projekt Youthville den Umgang mit Musiksoftware und Synthesizern bei. Black Secret Technology niederschwellig zugänglich zu machen, etwas weiter zu geben in Workshops, Lectures und Gesprächen, war ihm ein Anliegen. Dabei legte er einen Schwerpunkte auf die strukturellen-gesellschaftlichen und technischen Aspekte der Musikproduktion und wollte das Erbe von The Electrifying Mojo aufrechthalten, dem Radio-DJ, der die elektronische Musik Detroits wie kein zweiter prägte und Musik ohne Genrebegrenzung und ohne Blick auf Gender und Hautfarbe propagierte. Dass die Kinder und Jugendlichen Techno und House eher als Musik ihre Eltern begriffen und mehr lernen wollten, wie ein amtlicher Trap-Beat funktioniert, störte ihn wenig. Die Futur-Rhythmus-Maschine ist offen für alles und jeden. Kyle Hall wurde einer der bekanntesten Künstler auf dem Youthville-Progamm und veröffentlicht auf Hyperdub, FXHE, Detroit Underground, Forget The Clock und Wild Oats.

Offen war Huckaby zudem für die Klänge anderer Städte. Wie viele Artists aus Detroit, schaute Huckaby nach Chicago und was dort musikalisch im House-Kosmos passierte. Das machte auch die Detroiter House-Legende Moodymann, den er als einer seiner großen Vorbilder nennt. Als Botschafter für das Musikprogramm Reaktor und das Produktions- und Performance-Instrument Maschine von Native Instruments sowie für den Sequenzer Ableton Live reiste Huckaby eine Zeit in Berlin lebend durch Europa und erklärte die Funktionsweise der Tools in Workshops.

Huckaby Bochum

Mike Huckaby 2016 bei einem Talk in Bochum

Der Austausch über die Rituale und Techniken des Verschwindens als Elixier von Clubkultur und Kultur an sich ist nach dem Tod und in den jetzigen Krisenzeiten noch bedeutender geworden. Gerne möchte ich da an Mike Huckaby glauben, der in einem Interview mit Julian Weber in der taz sagte: „Techno ist erst durch die Krise entstanden. Wir als Künstler sind davon betroffen, weil die städtische Infrastruktur nicht intakt ist. Wir müssen improvisieren, sind permanent gezwungen, Fertigkeiten weiterzuentwickeln, um nachhaltig zu wirken. Wir träumen uns in die Zukunft […]. Faszinierend, wenn man anderen dabei zusieht, wie sie aus nichts etwas machen. Mir hat es große Mühe bereitet“.

Huckaby erlitt einen Schlaganfall und wurde im Krankenhaus mit SARS-CoV-2 infiziert. Am 24. April 2020 starb er im Alter von 54 Jahren. Nicht nur die Clubkultur vermisst den hart arbeitenden Kurier aus dem möglichen Gegenraum, geschaffen aus Sound und Rhythmus, sondern auch die vielen afro-amerikanischen Mädchen und Jungen in seiner Hood. Seine Arbeit für und mit Musik als Kulturpraxis zur Erleichterung der Gegenwart wird in ihrem utopischen Charakter bestehen bleiben wie der Glaube an die Befreiung durch Clubkultur. Die Maschine, sie weist nach oben.

Eine empfehlenswerte Zusammenstellung von Mike Huckabys Stücken gibt es in den beiden Tribute DJ-Sets von Veloziped:

Mix der Woche: NO RLGN – JesienDeepe Watte

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