Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Lowtec, Belle And Sebastian und Lemonheads.
Lowtec – Old Economy
Thaddi: Der immer tolle Jens Kuhn hat ein neues Album gemacht. Ja, für mich ist das ganz klar ein Album, auch wenn es nicht im DJ-freundlichen Doppel- oder Triple-Pack daherkommt. Das braucht die Musik aber auch nicht. Auf den 15 Miniaturen steht das Sound-Design über allem. Nicht dass das neues Terrain für Lowtec wäre. Der Dancefloor stand und steht bei seiner Arbeit oft genug im Hintergrund. Was auch einer der wichtigsten Gründe dafür sein dürfte, dass ich ohne Kuhns Musik seit 1997 – als „The Early Portrait“ erschien – nicht leben will und kann. Hier jedoch, auf „Old Economy“ ist er ganz weit weg. Viele Flächen, viele Akkorde, wenige Beats, die, wenn überhaupt, auch eher schleifige Hintergrundmotorik bieten statt Fokus sein zu wollen. Mir will dabei ein Gedanke nicht aus dem Kopf: die goldene Schallplatte der NASA, nur im umgekehrten Sinne. Ich träume mich in einen Lichtjahre entfernten Weltraumbahnhof, der Jetlag drückt und im Taxi läuft die Sendersuche. Muss wohl gerade abgestürzt sein, das intergalaktische UKW, aber das chauffierende Wesen und ich sprechen nicht die gleiche Sprache – und das DeepL-Update will nicht. Die Sendersuche rauscht also durch den Äther dieses Planeten, und Miniatur nach Miniatur, Snippet nach Snippet, beginne ich die Musikkultur zu verstehen. Spüre die Deepness als Milchstraßen-verbindendes Element, lehne mich zurück und warte, was als nächstes passiert. Einen Rückflug habe ich nicht gebucht. Warum auch?
Belle And Sebastian – A Bit Of Previous
Jan-Peter: Es ist einfach toll. So toll. Acht Takte, die Stimme von Stuart Murdoch setzt ein und sofort stehe ich auf der Byres Road Ecke Gt Western im Westend. Es regnet freilich, wunderschön, ich straffe den Tunnelzug der Kapuze meines Windbreakers und flaniere über die glitschige Straße, auf der sich das orangefarbene Licht der Laternen spiegelt und dabei die gleiche Farbe hat wie das Irn-Bru im Fläschchen in meiner Hand. Those were the days. Die Größten aus Glasgow sind zurück mit ihrem soundsovielten Album, tatsächlich aber dem ersten seit 2015. Es heißt „A Bit Of Previous“, ja schon: Altvertrautes an allen Ecken und Enden, aber auch ein paar neue Facetten vernehme ich. Diffus Amerikanisches, teils Gospeliges, dann super cheesy Dancepop, dann wieder klassischer BAS-Style, fließt in die Stücke ein. Das macht das Album sehr facettenreich. Und mich gut gelaunt.
Lemonheads – Car Button Cloth
Ji-Hun: Es fühlt sich an, als hätte ich was Verdorbenes getan. Ich war letztes Wochenende auf einem Rock-Konzert, dem ersten seit einigen Jahren, und dann waren das auch noch die Lemonheads im Columbia-Theater. Viel unzeitgemäßer, unprogressiver und Anti-Trend kann das eigentlich gar nicht sein. Bin ich überhaupt noch Musikjournalist? Ich fühle mich alt. Zumal das auch noch im Rahmen der Tournee zum 30. Jubiläum des Hit-Albums „It’s a Shame About Ray“ gewesen ist, und mit solchen Retro-Tourneen habe ich ja eigentlich immense Probleme. Aber da ein guter Freund fragte, dachte ich, ach das wird schon. Bin ja auch zu selten vor der Haustür im Moment. Das Album „Car Button Cloth“ von 1996 habe ich in der Oberstufe tatsächlich viel gehört. Ich hätte es zwar nie zu meinen ganz großen Alben gezählt, aber Evan Dando ist einfach ein großer Songwriter mit gutem Humor und das Pech der Band ist ganz bestimmt, dass eine Cover-Version („Mrs. Robinson“) das ganze kreative Schaffen einer Band überschattet, weil ein fremder Song einfach der größte Hit war und die Menschheit einfältig und ungerecht. Als die Band die Bühne betritt, bin ich zunächst schockiert. Evan Dando, mittlerweile 55, sieht zwar noch drahtig und schlank aus. Der Rest seiner Person scheint aber arg gelitten. Er bringt keine drei Sätze gerade raus, lallt und hat einen Blick, der so leer und kaputt ist, als hätte sein Drogenkonsum sein Blut schon dreimal nach außen gekehrt. Vielleicht ist das auch so. Aber als die Band spielt und Dando in seinen alten Songs existiert, blüht das zum großen Rock’n’Roll auf. Wie eine autistische Inselbegabung, eine vergessene Referenz an Zeiten, als Musiker:innen und Künstler:innen ausschließlich an ihrer Kunst bemessen wurden. Und nicht an Social Media, Gesundheit, „Mann, ist der gut gealtert!“ oder was auch immer. Reicht es nicht, wenn Künstler:innen in ihrer Kunst perfekt sind? Einige im Publikum kehren sich angewidert ab. Aber die Magie der Musik wird von Song zu Song größer. Es ist rau, laut, gerne schlampig geschlonzt, aber trotzdem immer schön getroffen. Dando singt später einige Songs sogar mit ausgestöpselter Akustikgitarre und ohne Mikrofon und schafft es dennoch den Raum zu greifen wie einen Tennisball bei einer Wurzelbehandlung. So eine Intensität habe ich selten erlebt. Natürlich wurde „Mrs. Robinson“ nicht gespielt. Wir verlassen die Halle nach zu vielen Bieren glückselig, aber ich frage mich, ob der frühere Ultra-Posterboy der Indie-Welt heute ein gutes Leben führt, verspüre vielleicht sogar Mitleid, aber auch das ist wohl schon übergriffig. Entscheidet doch jeder über sein Leben, wie er will und erwachsen ist man mit 55 ja ohnehin. Müssen ja auch nicht alle zu so Integritätsübermonstern wie Dave Grohl werden. Seitdem lassen mich die Songs vom Konzert aber nicht mehr los. Gerade meine Lieblingssongs aus „Car Button Cloth“ tauchen in meinen Träumen und in eng umwundenen Ohrwürmern immer wieder auf. Was für ein großer Abend, das rückblickend doch war und wie traurig eigentlich, dass die Zeiten für solche Bands und solche Lebensentwürfe scheinbar wirklich vorbei sind. Es ist wirklich nicht mehr vorstellbar.