Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Low, Beach House und dem Buch „Project Lightspeed“.
Low – Hey What
Thaddi: Gen Jahresende wird es mir immer egaler, wann Musik erschienen ist. Ich will nur noch für mehrere Wochen auf die Couch und nichts mehr hören von irgendwas. Das 4.395. Album von Low ist noch relativ aktuell. Und eigentlich – naja, machen die Kids das, was sie immer gemacht haben. Das ist erstmal zu begrüßen. Denn das Songwriting der Band aus Minnesota hat mich zu jeder Zeit und in jeder Phase begeistert. Mit „Hey What“ suchen die Musiker:innen immer noch nach der Balance zwischen Verzerrung und Schönheit. Und ja: Im Kosmos dieser Band zählt dieser Widerspruch nach wie vor. Mich könnte das alles sehr langweilen, wenn da nicht Tracks wie „Don't Walk Away“ wären, die alle Versprechen, die ich an die Band und deren Sound habe, zu 150 % einlösen würden. Das sind ganz besondere Momente mit einer ganz besonderen Band. Sound? Arrangement? Ganz egal. Natürlich agiert das Kollektiv mittlerweile mit allen nur erdenklichen Tools im Studio. Gut so. Alles andere wäre auch echt schwach. Wieder ein tolles Album. Auch wenn ich den Protagonist:innen den Metal nicht ganz abnehme.
Beach House – Once Twice Melody
Ji-Hun: Die Frage, was ein Album ist, ob heute noch irgendjemand ein Album braucht und inwiefern ein Album auch für Artists von Bedeutung ist, wird dieser Tage, ach Jahre, immer wieder gestellt. Das Konzept wird immer wieder neu definiert. Arca brachte just mit „kick ii“ bis „kick iiiii“ gleich vier Alben auf einmal heraus. Vielleicht auch, um das Musik machen auf Streaming-Plattformen halbwegs profitabel zu machen. Andere Acts setzen wiederum vermehrt auf EPs, wohl um dauerhaft präsenter zu sein, weil dann die Pausen zwischen den Releases nicht zu sehr gen Vergessenheit drücken. Das neue Album von Beach House ist das achte dieser begnadeten Band und ist in vier Tranchen aufgeteilt. Bis dato sind die ersten beiden erschienen. Das vollendete Album steht dann am 18. Februar 22 in den „Regalen“. Sadistische Qual oder kluge Release-Strategie? Kann man über eine so lange Zeit ein Momentum für einen Langspieler aufrecht halten? Wer will das überhaupt? Und wie soll man als Journalist eine Platte besprechen, die nur zur Hälfte erschienen ist? Darf man das? Ihr seht, es kursieren eher Fragen als Antworten in meinem Kopf. Bei der Musik von Victoria Legrand und Alex Scully geht es aber nicht darum, Konzepte zu sehr zu hinterfragen, dafür haben sie sich in den vielen Jahren natürlich ein allzu großes Vertrauen aufgebaut und erspielt. Und die bisherigen acht Songs mit 41 Minuten Spiellänge sind ja bereits länger als die meisten Alben, die heutzutage rauskommen. Längen von 16-20 Minuten für eine LP sind keine Seltenheit geworden. Also geht man als Fan auch in den Vorschuss. Also, so weit ich das bislang beurteilen kann (wie blöd das überhaupt klingt), ist „Once Twice Melody“ (vielleicht, man weiß es ja nicht), das beste Album der Band. Über drei Jahre arbeitete man an den Songs. Aufgenommen wurde in den Apple Orchard Studios in Baltimore. Was werden also die nächsten Teile bringen? Versuche ich die acht Songs bis zum Februar nicht stumpf zu hören, damit man am Ende das Album als ganzes Neues hören kann? Wie gesagt, überall nur Fragezeichen. Repräsentiert aber auch nur die Ungewissheiten, die die letzten beiden Jahre so hart geprägt haben. Nehmen wir es so, wie es ist. Ein halber Broiler ist so oder so besser als gar keiner und macht bekanntlich auch mehr als satt.“
Joe Miller – Project Lightspeed
Jan-Peter: Ich habe diese Woche keine einzige neue Platte gehört, aber hey, „Project Lightspeed“ klingt doch wenigstens vom Namen her wie eine Band mit einem Hollywoodstar, der jetzt auch Musik machen muss. Es ist ein Hörbuch, ein gutes. Es geht um Biontech und das Unterfangen, der Welt binnen kürzester Zeit einen Impfstoff zu bescheren. Die Story ist schon unglaublich: Wie jemand davon hört, dass in Wuhan ein Virus sich breitmacht und sofort checkt, das geht, haha, viral. Und antizipiert, was passiert und was dagegen passieren muss – in der Rückschau, als beim Anhören zum jetzigen Zeitpunkt, muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass zum damaligen Zeitpunkt praktisch nichts bekannt war. Miller erzählt die Story, das merkt man, mit viel Bewunderung, sehr zugetan, selten kritisch, aber das ist für die Story kein Problem, denn sie ist filmreif und wird sicher irgendwann in dieser Form verwurstet. Ein Buch über Forschung in Echtzeit, ohne dass man so rein gar nichts kapiert als Laie. Über zwei privat recht bescheiden lebende Forschende, die ihre Bildschirme und Rechner in den Kanarenurlaub mitschleppen. Über ihr wirtschaftlich-unternehmerisch zugleich resolut agierendes Unternehmen. Dass man sich binnen so kurzer Zeit mit einem Giganten wie Pfizer einigen konnte, ist ein Teil der Erfolgsgeschichte. Vielleicht etwas zu kurz kommt Özlem Türeci im Verhältnis zu den Schilderungen über ihren Mann. Ein fun fact, den ich aus dem Buch mitnehme: Sie hat als Kleinkind im winzigen Lastrup gelebt, nur ein paar Kilometer von meinem Geburtsort Quakenbrück entfernt. Dort wiederum befindet sich ein zentrales Bundeswehr-Sanitätsdepot, und was lagert dort bei Minus 70 Grad und wird dann in die Welt hinaus geliefert?