Lieber immer alles aufhebenInterview: Siriusmo über seine siriusmotischen Klanggebilde
19.9.2017 • Sounds – Interview: Matti HummelsiepEinmal Synapsen spülen, bitte. Es gibt ein neues Album von Siriusmo. Im Interview erklärt der Berliner Moritz Friedrich nicht nur wie „Comic“ entstanden ist – der Musiker, der mindestens genauso gern Illustrationen anfertigt wie er Beats baut, malt uns auch sein eigenes Wahlplakat.
Einfach ins Studio gehen und drauf los klöppeln. So fängt ein Tag im Hobbykeller von Siriusmo an. Im kreativen Chaos zwischen analogen Synthesizern, Rechner, Sessel, Schallplatten, Boxen, Kabeln, Aschenbecher, Gummifiguren, Spielkarten und anderem Krams fühlt sich der gebürtige Berliner am wohlsten. Er brauche Vergangenes um sich herum, das, was sich eben so ansammelt. Auf Tour geht er ohnehin selten, denn auf der Bühne steht er äußerst ungern. Das war schon 2011 so, als er sich mit der Single „High Together“ und dem Album „Mosaik“ in die Ohren der Musikbegeisterten spülte. Nach der Folgeplatte „Enthusiast“ von 2013 hat sich der leidenschaftliche Illustrator nun wieder in seine Klangwerkstatt zurückgezogen. Herausgekommen ist „Comic“ – ein neues orchestriertes Sammelsurium an typisch siriusmotischen Klanggebilden. Herrlich besoffene Melodien, vor sich hin blubbernde und zuckende Effekte, mal stampfende, mal abgebrochene Beats. Ganz Siriusmo eben, der mit seiner Musik in keine Nische passt und doch in allen Schubladen präsent ist. Ein Gespräch über sein neues Album, Kritik von Freunden und seine musikalische Sozialisation in Ost-Berlin.
Dein drittes Album ist gerade auf Monkeytown erschienen. Fühlt sich so eine Veröffentlichung immer noch wie bei der ersten Platte an?
Früher war das noch eher ein besonderer Tag. Ich freue mich natürlich und es fühlt sich die ganze Zeit schon krass an. Aber manchmal frage ich mich auch, ob das in dieser schnelllebigen Zeit überhaupt noch jemanden interessiert. Ich habe den Tag der Veröffentlichung nur mit Freunden gefeiert. Und ich war ein paar Vinylplatten abholen, die ich an Familie und Freunde verschenke. Das ist doch etwas Schönes.
Aber zufrieden bist du schon mit dem Ergebnis?
Naja, Zweifel bleiben immer. Aber eigentlich bin ich glücklich, dass ich überhaupt mal etwas fertig bekommen habe. Es hätten auch 14 komplett andere Tracks werden können. Ich habe sehr viele Sound-Schnipsel und alles beginnt damit, dass ich mich für eine Auswahl entscheiden muss. Manchmal steckt man dann in eine Idee sehr viel Zeit und stellt fest, dass man dabei nichts mehr fühlt. Dann hast du jede Menge Zeit verloren. Aber gerade deswegen ist es gut, ein Stück auch mal ruhen zu lassen. Dann setzt man sich wieder ran und macht es am besten in einem Zug fertig. Ich verbastle mich sonst und kann die Songs nicht mehr einschätzen. Auch „Comic“ kann ich gerade nicht wirklich einschätzen. Wenn ich das Album in einem Jahr höre, denke ich bestimmt: Ach, eigentlich ist es ja ganz schön geworden.
Wie war das Feedback vom Label?
Die haben eher psychiatermäßig auf den Prozess eingewirkt und gesagt: „Du hast doch soviel, mach’ doch mal was fertig.“ Ich hingegen war der Meinung, es reicht noch nicht aus und es nicht modern genug. Aber so ist halt die Musik, die ich mache. Am Ende war ich versöhnlich mit mir und habe gesagt: Ist doch egal, das bring’ ich jetzt raus! „Important Moving Scene“ war übrigens schon zu meinem letzten Album „Enthusiast“ fertig, aber ich hatte keinen Platz mehr für diesen Track.
„Ich kann dir jetzt weder einen Rachmaninow vorspielen, noch bin ich der größte Elektro-Fummler. Ich habe allerdings das Glück, dass Leute meine Songs erkennen.“
„Genie und Faulpelz liegen bei Moritz recht nah beieinander“, heißt es im Pressetext zum Album.
Das steht da drin? Das ist bestimmt charmant gemeint, aber faul bin ich überhaupt nicht. Ich mache nur sehr viele verschiedene Sachen. Ich bin Stuckateur und male Auftragsarbeiten. Ich stehe gerne früh auf, setze mich hier in meinen Hobbykeller und probiere an meinen Instrumenten rum. Ein Genie bin ich nun wirklich nicht, ich könnte nie so spielen wie ein Gonzales oder Squarepusher. Ich kann dir jetzt weder einen Rachmaninow vorspielen, noch bin ich der größte Elektro-Fummler. Ich habe allerdings das Glück, dass Leute meine Songs erkennen. Vielleicht durch die Art von Rhythmik oder Harmonie, die ich mache. Mir gefällt meine Musik natürlich, sie berührt mich und ich freue mich, wenn sie auch andere auf irgendeine Art berührt.
„Wenn ich mich selber überrasche, sind das die besten Glücksmomente.“
Ich finde, dass sich deine Alben im positiven Sinn kaum voneinander unterscheiden. Es stecken verschiedene Genres wie Jazz, Disco, HipHop und Pop drin. Wirkliche Song-Strukturen sind manchmal kaum zu finden. Sind sie trotzdem eine Art Momentaufnahme der Zeit, in der sie entstanden sind?
Ich gehe nicht mit einer bestimmten Idee ins Studio und mache dann ein Album daraus. Von meinen gespeicherten Sound-Ideen versuche ich immer verschiedene Klangfarben und Emotionen zu sammeln, damit ich am Ende nicht nur ernste oder nur schräge Songs habe. Es soll immer von allem etwas dabei sein. Ich will möglichst viel ausprobieren und einen Sound machen, bei dem man nicht weiß, wie der gemacht worden ist, oder mit welchem Gerät. Wenn ich mich selber überrasche, sind das die besten Glücksmomente. Zum Beispiel durch bestimmte Verschaltungen, Unfälle, oder indem man mit Absicht eine Melodie in eine absurde Richtung lenkt. Ich bin aber nicht der totale Nerd, der sich nur von Straßenlärm und Naturgeräuschen inspirieren lässt. Im Prinzip spiegelt die Musik wie ich mich gerade fühle.
Trotzdem weiß man nicht immer, was für Geräusche das sind. Wie würdest du selbst deine siriusmotische Handschrift beschreiben?
Ich mache experimentelle, kleine, liebevolle Skizzen, die einen bestimmten Groove haben. Wie du schon sagst, es sind selten richtige Songs mit Struktur und Gesang. Ich hab als Kind schon groovige Musik gemocht. Zum Beispiel Prince Buster, als es mit Ska richtig los ging. In seiner Musik stecken kleine feine Melodien und ein durchgängiger Groove. So etwas versuche ich auch – obwohl ich völlig andere Musik mache.
Wen erreicht deine Musik?
Ich schwöre dir, ich mach mir über sowas nie Gedanken. Das einzig Wichtige ist, dass es mir selber gefällt. Natürlich möchte ich auch den Beifall bekommen und geliebt werden. Ist doch klar. Aber ich mache mir niemals Gedanken darüber, wie das wo ankommt. Das ist auch nicht wirklich mein Job. Wenn die Platte keinen interessiert, ist mir das egal. Die Platten mit meinen Songs gefallen mir, und es gibt ein paar Leute um mich herum, denen sie auch gefallen. Ich möchte einigermaßen mit mir selbst im Reinen sein, ich bin ja eh schon so ein unsicherer Typ. Ich weiß nämlich, dass ich nie als Hauptact für ein Festival gebucht und vor tausenden Leuten spiele werde. Da passt meine Musik auch nicht hin und ich würde meinen Stil nicht ändern, nur um da mal spielen zu können. Manchmal ist es lustig, wenn Leute zu mir sagen, meine Tracks mache sie happy. Ich spüre bei meiner Musik eher einen melancholischen Vibe.
Lass uns über einen Track genauer sprechen: „Bleat“ ist sehr kurz, beginnt kontrolliert und artet dann in einem völligen Sound-Gewitter aus. Ich hab mir dazu einen klapprig aussehenden Roboter vorgestellt, der tanzt, auf einmal einen Stromschlag bekommt und wie von Sinnen durch die Gegend steuert.
Auch dieser Track ist eigentlich nur eine Skizze, eine kurze Emotion, ein Test mit dem Synthesizer, wenn du so willst. Vielleicht hat er es am Ende auch auf die Platte geschafft, weil hier am ehesten noch so etwas wie eine Struktur vorhanden ist, mit einem Anfang und einem Ende. „Bleat“ (dt. blöken, meckern; Anm. d. Red.) hab ich ihn genannt, weil es sich anhört, als ob der Synthesizer meckert.
Woher kommen deine herrlich beknackten Titelnamen wie „Psychofant“ und „Dagoberta“?
„Psychofant“ ist einfach eine lustige Wortschöpfung, fand ich. Ich hab dann nach dem Wort gegoogelt und gelesen, dass „psychophant“ soviel wie „der obsessive Fan“ bedeutet. „Sycophant“ wiederum steht für „Arschkriecher“, man könnte auch „brown noser“ sagen. „Psychofant“ dagegen ist für mich einfach der psychotische Elefant.
Du hast einen Track mit Mr. Oizo gemacht. Trifft man sich bei sowas eigentlich noch, oder läuft das alles digital?
Wir haben schon seit sechs Jahren Kontakt und es hat bis jetzt nie geklappt. Entweder war die Zeit nicht da, oder uns ist nichts eingefallen. Den Song „All Wet“ haben wir letztes Jahr zusammen gemacht und so heißt ja auch sein aktuelles Album. Dann haben wir noch einen Track gemacht und der ist jetzt auf meinem Album. Ich bin totaler Fan seiner Kunst, ein toller Filmemacher ist er ja auch. Ich höre ihn in Songs sofort raus, seinen Witz, seine Ironie, diese Fettness, Energie und Tiefe. Da stimmt einfach alles. Und er ist jemand, der das sehr intuitiv macht. Ihn würde ich als Genie bezeichnen. Wir arbeiten zwar ähnlich, aber er schmeißt Ideen rigoroser weg. Ich hebe lieber alles auf.
Wer ist dein größter Kritiker?
Ich selbst natürlich. Meine Freunde geben mir ein ehrliches Feedback und beeinflussen mich auch. Aber die Meinungen gehen manchmal krass auseinander: Der eine sagt, das ist total beschissen. Der andere sagt, das ist eines deiner geilsten Stücke. Wenn das zwei gute Freunde von dir sind, ist man total verunsichert.
Was ist eigentlich an der Sache dran, dass Gernot und Szary das Label Monkeytown Records extra für dich gegründet haben?
Gernot meinte damals, ich solle mich mal mit Alex (Boys Noize) treffen. Auf seinem Label hab ich dann mein erstes Album rausgebracht. Ich hatte zur der Zeit super viele Songs fertig, die ich Gernot und Szary vorgespielt habe. Sie meinten dann, komm’, wir machen das jetzt einfach. Zur der Zeit waren die beiden ja noch bei Bpitch Control und vielleicht wollten sie eh mal ein eigenes Label aufbauen. Ich kenne die beiden ja schon seit ich 16 bin. Damals war Szary schon bei Konzerten meiner Band. Diese blauen Anzüge hat er damals schon immer getragen.
Ich habe gelesen, dass du noch zwei ältere Brüder hast.
Zwei Brüder und eine Schwester.
Wie seid ihr musikalisch in Ost-Berlin aufgewachsen?
Als Kind greifst du irgendwann mal neben die Märchenplatte, die Comedian Harmonists habe ich zum Beispiel wirklich geliebt. Wenn es mal Klassiker wie die Beatles gab, dann hat natürlich jede Familie sofort zugegriffen. Auch mit Bob Marley und Stevie Wonder bin ich aufgewachsen. Dann kam Ende der 80er Jahre „Beat Street“ in die Kinos. Wir hatten deswegen eine große Breakdance-Szene im Osten, krasser noch als im Westen. Ansonsten lief „Das fliegende Auge“ und natürlich die Olsenbande-Filme (lacht). Aber davon abgesehen war unser Kinoprogramm echt mau. Durch meinen großen Bruder hab ich viel kennengelernt. David war eine Zeit lang Breakdancer, dann Rockabilly, hatte eine Popperlocke und in seinem Zimmer hingen Poster aus der Bravo, die er auf dem Schulhof ertauscht hatte. Als kleiner Junge fand ich das spannend. In der Pubertät hab ich dann in einer Band gespielt, viel HipHop gehört, aber auch Led Zeppelin und Jimmy Hendrix. Jungle und vor allem Drum and Bass fand ich danach ziemlich gut, Künstler wie Aphex Twin und Squarepusher.
Bist du ein politischer Mensch?
Phasenweise ja. Es gibt einfach zu viele Informationen und man braucht Zeit, das alles zu filtern. Es geht immer um die Vielfalt der Standpunkten, denn nur so kann man sich ein Bild machen. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich momentan sehr viel mit Musik beschäftige und jegliches Drumherum nur am Rande mitkriege.
Ich habe noch ein letztes Anliegen, passend zum Wahlkampf. Entwirfst du mir dein persönliches Wahlplakat – in zwei Minuten?