Jóhann Jóhannsson – A User’s ManualChapter 13 – McCanick (2013) – Deutsch
7.12.2022 • Sounds – Gespräch: Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannWeit über 20 Alben hat Jóhann Jóhannsson in seiner Karriere veröffentlicht. Wer weiß schon, wie viele Tondokumente noch in der Schublade liegen, die postum noch veröffentlicht werden könnten. Regelmäßig lassen Kristoffer Cornils und Thaddeus Herrmann das Werk des Komponisten Revue passieren – chronologisch, Album für Album. In der zwölften Folge geht es um „McCanick“ aus dem Jahr 2013, den Soundtrack zum gleichnamigen Film von Josh C. Waller.
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Ein Polizist macht Jagd auf einen, der zu viel weiß. „McCanick“ selbst setzt sich mit einem der beliebtesten Archetypen nordamerikanischer Filmgeschichte auseinander: dem neurotischen Cop mit Sandsack in der Küche auf Selbstjustizmission. Der Film von Regisseur Josh C. Waller und Drehbuchautor Daniel Noah spielt an einem Tag im Leben des titelgebenden Protagonisten aus dem Drogendezernat von Philadelphia – es ist natürlich sein Geburtstag. Statt sich aber ein paar Donuts und zwei, drei Tassen Kaffee mehr als sonst zu gönnen, begibt er sich auf die Jagd nach dem jungen Kleinkriminellen Simon Weeks, der vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde. Es wird viel geflucht, ständig werden Knarren gezogen, zwischendurch fließt Blut – und es erklingt die Musik von Jóhann Jóhannsson.
Kristoffer: „McCanick“ ist die Art von Film, der fast zehn Jahre nach Erstveröffentlichung immer noch keinen Wikipedia-Eintrag hat. Das unterscheidet ihn von „Prisoners“, Jóhannssons erster Zusammenarbeit mit Denis Villeneuve und dem letzten Kapitel in unserem „User’s Manual“ für Fans des Komponisten. Uraufgeführt wurde „McCanick“ beim Toronto International Film Festival im September 2013 und zuerst zuerst in Skandinavien, Brasilien und Deutschland auf DVD vertrieben, bevor er offensichtlich im März 2014 nachträglich kurz in den US-amerikanischen Kinos lief. Der Soundtrack war ab November 2013 bereits in digitaler Form erhältlich, im Januar 2014 dann als CD in Japan bei Inpartmaint Inc. und den USA bei Milan – womit er Jóhannssons erste Veröffentlichung auf diesem Traditionslabel für (Neo-)Klassik und Soundtrack-Arbeiten darstellt. Ich erzähle all das nicht allein deshalb, weil ich meine IMDb-Recherche irgendwie produktiv umsetzen möchte, sondern weil der Straight-to-DVD-Charakter des Films wie auch die Beteiligung eines großen Players wie Milan den großen Umbruch in Jóhannssons Karriere verdeutlichen: Er war im Jahr 2013 zwar noch nicht endgültig in Hollywood, aber auf dem Radar der Institutionen der internationalen Musikindustrie angekommen.
Aber noch kurz zum Film: Ich finde den latent uninteressant. So habe ich mich dann auch eher durchgeskippt, anstatt ihn mir in Gänze zu geben – immer mit einem Ohr auf der Soundtrack-Spur. Jóhannssons Kompositionen werden vor allem als atmosphärisches Schmiermittel eingesetzt, untermalen die kleinen Action-losen Übergangsszenen oder auch mal dramatische Momente. Ich sage dezidiert „Kompositionen“ und nicht „Score“, denn tatsächlich bedient sich der Film beim Backkatalog von Jóhannsson, unter anderem seinem Album „Fordlandia“, und nicht allein den 15 Stücken des OST. Ein eher merkwürdiges Durcheinander, denn warum werden ein zu dem Zeitpunkt schon recht bekannter Komponist und ein Orchester gemietet, wenn dann auch Musik aus dessen Katalog lizenziert wird? Mir erscheint das als eher unlogisch. Und die Musik selbst bietet selbst durchaus ein paar Throwbacks. Du hast ja schon in der letzten Ausgabe durchblicken lassen, dass du „McCanick“ als musikalische Resteverwertung betrachtest. Erzähl mal!
Thaddi: Bevor ich dazu komme, möchte ich folgendes vorausschicken. Erstens habe ich nicht einmal den Trailer von „McCanick“ durchgehalten. Zweitens hatte der Film in Deutschland den tollen Beinamen „Bis in den Tod“. Und drittens – merkst du, wie die Spannung langsam unerträglich wird? – gibt es tatsächlich doch einen Wikipedia-Eintrag. Drei vollkommen unwichtige Stückchen Trivia, die für mich jedoch meinen Gesamteindruck sowohl zum Film als auch der Musik zusammentackern. Wir haben es hier meiner Meinung nach mit einem mehrere Millionen US-Dollar teuren Akt der randomness zu tun. Hätte ich mehr Sitzfleisch bewiesen, mir wäre es beim Schauen des Films mindestens so gegangen wie dir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Beteiligten auch nur entfernt Bock auf ihren Job hatten. Das ist ja schon im Trailer zu erkennen. Langweilig fotografiert, ein Klischee jagt das nächste. Charaktere, Ausstattung, Halo-Shots. Und wie Jóhannssons eher getragene Streicher-Motive durch schnelle und actionreiche Szenen wabern, ist schon wirklich doll kontraproduktiv. Schade eigentlich. Philadelphia ist so eine hübsche Stadt!
Aber lassen wir die Bilder links liegen und konzentrieren uns auf die Musik. Während der Vorbereitung zur „Prisoners“-Folge habe ich auch schon „McCanick“ ein paar Mal durchgehört. Wirklich nur nebenbei, ohne mich mit der Entstehung von Film und Musik zu beschäftigen. Und hatte ein Déjà-vu nach dem nächsten. Die melodisch-melancholischen Motive kamen mir allesamt bekannt vor, auch wenn ich sie nicht einem vorhergegangenen Album zuordnen konnte. Wirklich berührt haben sie mich auch nicht. Die Musik bleibt über große Strecken blas und passt so „perfekt“ zur von mir vermuteten Qualität des Storytellings. Jóhannsson selbst spielt Klavier, Synth und Gitarre, aufgenommen wurden die für den Film komponierten Stücke im Studio 22 des ungarischen Rundfunks. Wer hier aber spielt, also welches Orchester, konnte ich nicht recherchieren. Das ist auch nicht weiter wichtig, die Arbeit ist mehr als solide. Ich würde zu diesem Thema gerne mal eine Recherche mit anschließendem Text angehen. Große osteuropäische Orchester mit langer Tradition und deren Umgang mit der kapitalistischen Marktwirtschaft. Auftragsarbeiten. Soundtracks wie diesen hier, Sample-Librarys, Musik für Games. Immer unter der Prämisse: „Ihr seid total toll, aber vor allem preisgünstig.“
Ich schweife schon wieder ab. Vielleicht auch, weil ich über die Musik wenig bis gar nichts zu sagen habe. Außer: Sie ist mir ein bisschen egal. Und geht mir mitunter schon fast auf die Nerven. Immer dann, wenn die Streicher-Motive mit ganz kurzem Attack von einer schlappen Jazzbesen-Snare gedoppelt werden. Das ist so lame und cheap. Diese Passagen bedienen eine Idee von Spannung, die nicht einmal Silvester um 23.59 in der Seniorenresidenz etwas bewirken würde.
Kristoffer: Phew! Was für eine Ansage. Das klingt fast so, als wäre es deine unliebste Jóhannsson-Arbeit. Zumindest seit „Dís“. Oder?
Thaddi: Hmmm, bin mir nicht sicher. In die Top 10 schafft es diese Arbeit mit Sicherheit nicht, nein. Gleichzeitig sticht „Dís“ so aus dem Oeuvre von Jóhannsson hervor, dass ich den Vergleich fast ein wenig unfair finde. Fakt ist aber: „McCanick“ ist in unserer gemeinsamen Reihe bislang tatsächlich ein Album, über das ich kaum mehr zu sagen habe, als ich es bis jetzt getan habe. Wollen wir über die Kolorierung des Artworks sprechen? Spaß beiseite: Ich habe durchaus etwas übrig für roughe Bullen-Dramen, in diesem Fall jedoch scheint mir einfach alles derart an den Haaren herbeigezogen zu sein, dass mein Interesse gegen Null tendiert. Und die Musik reißt es leider nicht raus. Schwamm drüber? Sollten wir unsere Reviews zu Jóhannssons Alben jemals in ein Buchprojekt überführen, können wir dieses Kapitel ja immer noch nachträglich aufhübschen.
Kristoffer: Ich finde, das müssen wir gar nicht oder sollten es sogar nicht. Ich habe mit voller Absicht danach gefragt, ob dieser Soundtrack nun schlechter sei als der – unserer Meinung nach jedenfalls – Tiefpunkt seiner frühen Karriere als Komponist. Ist er ja nicht! Es ist viel schlimmer! Denn obwohl wir uns durchaus über die Kolorierung des Artworks unterhalten könnten, ginge das mit der Musik nicht ähnlich leicht, weil sie schlicht farblos ist. Ich höre diese 15 Stücke nun zum bereits dritten Mal an diesem Tag und habe das Gefühl, dass ich die Musik vergesse, während sie läuft. Am stärksten fallen mir Momente auf, die an vorige Alben oder Soundtracks erinnern.
Davon gibt es einige, die wenigsten erreichen aber die Qualität der „Originale“, um diese mal so dreist zu bezeichnen. Denn tatsächlich habe ich den Eindruck, dass Jóhannsson sich nicht nur allein in Sachen Methodik und Klanggestaltung, sondern auch auf der kompositorischen Ebene bei dem bedient, was schon da war. Und er stellt es in den Dienst eines Films, bei dem wohl herzlich egal ist, was genau darin in dieser oder jener Einstellung zu hören ist – Hauptsache, es tut seinen sehr konventionellen Zweck. Andersherum betrachtet macht Jóhannsson Musik, die herzlich egal klingt, weil sie in den Dienst eines solchen Films gestellt werden muss. Das Endresultat all dessen ist dann weder schlimmer noch besser als „Dís“. Es ist etwas anderes: das Mittelmaß. Und damit auch charakterlos.
Das liegt wohl weniger am Komponisten, obwohl der im Laufe seiner Karriere natürlich nicht immer einen guten Run oder ausreichend Zeit zur Ausarbeitung seiner Ideen hatte. Auf Stücken wie „Staircase“ ist aber meiner Meinung nach zu hören, wie er Ideen – kompositorische, klangliche – zu entwickeln versucht, die der Neo-Noir-Action mehr Charakter einhauchen könnten. Das war vielleicht aber schlicht nicht gewünscht. So ist das Leben als Mietkomponist wohl bisweilen und das müssen dann wohl auch so Heads wie wir im Nachhinein akzeptieren. Setzen wir also früher als gewöhnlich einen Schlusspunkt unter dieses Kapitel und lassen es auch im Nachhinein so, wie es ist – schon okay so, irgendwie!
Für die nächste Ausgabe werden wir uns „The Theory of Everything“ vornehmen und alle unsere Kraft dafür benötigen. Wir werden uns voraussichtlich ja noch härter an die Kehlen gehen als zwei durchschnittliche „McCanick“-Nebenfiguren in einer dunklen Seitengasse Philadelphias.
Thaddi: Oh ja, „The Theory Of Everything“. Ich werde mir bis dahin anwaltliche Hilfe besorgen und einen Präsenztermin für den Moment der Textproduktion buchen. Es könnte gut sein, dass ich in diesem Gespräch Dinge erzählen werde, die ich unter keinen Umständen erzählen sollte.