„Ja, ich will die Steuergelder von Angela Merkel“Im Interview: Martin Hossbach zum Berliner Festival „Pop-Kultur“
10.8.2015 • Sounds – Interview: Christian BlumbergEnde August findet im Berliner Berghain die erste Ausgabe der „Pop-Kultur“ statt. Ein Festival, das sich auch als Forum versteht und neben Konzerten auch Lesungen, Diskussionen und spezielle Performances im Programm hat. Im Interview erklärt Martin Hossbach – einer der Kuratoren des Festivals – den Ansatz der „Pop-Kultur“.
Die Veranstaltung, die den Begriff Popkultur bereits im Namen spielerisch aufnimmt (und mit einer Werbekampagne ganz nebenbei die „Ursprungsmythen“ torpediert, die die Chronisten des Pops gerne entwerfen), bildet auch das weite Feld der Popkultur bereits im Line-up ab. Da stehen große Player wie New Order oder Neneh Cherry ebenso auf der Bühne wie 18+ oder Inga Copeland. Ein inhaltlicher Balanceakt zwischen Hipness und konservativem Line-up. Zu befürchten stand auch, dass Pop-Kultur zum Eiertanz zwischen Publikumsfestival und Business-Hotspot werden könnte, denn Pop-Kultur ist der offizielle Nachfolger der vielgescholtenen Berlin Music Week. Eine Musikmesse mit angeschlossenen Showcases im Berghain kann man sich nur schwerlich vorstellen. Soll es aber zum Glück auch auch gar nicht werden.
Lieber Martin, warum braucht Berlin ein weiteres Festival, und warum genau eines, wie ihr es gerade plant?
Berlin „braucht ein weiteres Festival“, weil es ein Festival dieser Art bisher nicht gab. Wir unterscheiden uns doch sehr von anderen Veranstaltungen, die in dieser Größenordnung in der Stadt passieren. Es gibt kein Festival, das sich so intensiv um den Nachwuchs kümmert. Wir haben ein eigenes Nachwuchsprogramm, bei dem 150 junge Menschen aus der ganzen Welt von Künstlerinnen und Künstlern und Profis aus der Musikindustrie informiert, unterrichtet und inspiriert werden. Es gibt auch kein Pop-Festival, bei dem die Musik so im Vordergrund steht und versucht wird, möglichst viel Ungehörtes in die Stadt zu bringen. Außerdem haben wir in einigen Fällen künstlerische Produktionen überhaupt erst ermöglicht, auch das ist relativ einzigartig. Unser Talk-Programm ist hochkarätig besetzt: Es unterhalten sich hier aber nicht einfach Köpfe aus der Musikindustrie miteinander, sondern Sängerinnen und Sänger, Neurobiologen, bildende Künstler und Filmemacher.
„Unser Programm ist das Gegenteil von konservativ.“
New Order, Matthew Herbert oder Neneh Cherry: Das sind ja international etablierte Namen, die jetzt erstmal nach einem „konservativem“ Festival klingen, das ihr aber auch mit einem augenzwinkernden „It began in Berlin“-Slogan bewerbt. Wo ist denn der Berlin-Bezug, bzw. welches Berlin adressiert ihr eigentlich?
New Order, Matthew Herbert und Neneh Cherry sind etablierte Künstler, mindestens die Hälfte des Line-ups ist es aber nicht. Oder kennst Du Ho99o9, Levelz, Kero Kero Bonito, Hinds oder MOURN? Unser Programm ist das Gegenteil von konservativ. Es ist sehr mutig und nimmt das Publikum ernst. Unser Slogan „It began in Berlin“ ist Teil einer Kampagne, die der englische Künstler Scott King entwickelt hat. Wir behaupten Abstruses: Dass Acid House in Berlin erfunden erfunden, ebenso der Pogo-Tanz, Free Jazz oder der Delta Blues. Wir machen uns damit über uns selber, über Berlin, das sich manchmal ja sehr ernst und wichtig nehmen kann, lustig. Humor finden wir gut. Gleichzeitig sind wir überzeugt von unserem Festival, an dem wir seit langer Zeit vor allem von Berlin aus arbeiten, und dazu wiederum passt der Slogan auch.
„'Pop-Kultur' beginnt tatsächlich in Berlin.“
Der Berlin-Bezug spiegelt sich auch im Line-up wider. Mit Isolation Berlin, Fenster, Chuckamuck, Mary Ocher haben wir die interessantesten jungen, in Berlin ansässigen Bands dabei, wir arbeiten mit dem besten Club der Stadt, dem Berghain, zusammen und integrieren zusätzlich den Bühnenservice der Stiftung Oper in Berlin, der neben dem Berghain liegt – dort findet unser „Pop-Kultur Nachwuchs“ statt. Welches Berlin wir adressieren? Das eine Berlin gibt es ja nicht. Wir adressieren das Berlin, das Interesse an relevanten, musikalischen Inhalten hat, das neue Musiken entdecken will, das deutsch und international ist.
Ihr bezeichnet euch als „Labor für Ideenentwicklung“, viele Kollaborationen und Aufführungen sind speziell für das Festival konzipiert. Wenn ich richtig informiert bin, plant beispielsweise das Atonal Festival etwas konzeptuell Ähnliches. Der Reiz und Exklusivität solcher projektbasierten Performances liegen ja auf der Hand. Aber liegt darin nicht auch die Gefahr, dass solche Projekte eben auch misslingen können oder auf dem Papier besser klingen als auf der Bühne? Wie geht ihr damit in der Planung um?
Wir haben einige Uraufführungen im Programm: Owen Pallett mit André de Ridders stargaze ensemble, Anika und T.Raumschmiere, Pantha du Prince mit seinem neuen Projekt „The Triad“. Natürlich können Auftritte misslingen. Das gehört doch dazu! Gleichzeitig arbeiten wir aber mit Musikerinnen und Musikern zusammen, denen wir vertrauen können. Ich habe bei diesen Menschen ein gutes Gefühl und vertraue ihnen. Wenn eine Aufführung misslingt, bin ich der letzte, der sich darüber ärgert. Schön ist das nicht, klar, aber ich halte es da ganz mit Matthew Herbert, der übrigens auch in x verschiedenen Konstellationen bei uns auftreten wird – als Nachwuchs-Mentor, DJ, Musiker und Talk-Gast. Herbert betitelte sein Tresor-Mix-Album einst „Let’s All Make Mistakes“.
Bei Pop-Kultur gibt es kuratierte Nachmittage und Abende. Kannst du erläutern, unter welchen Gesichtspunkten diese einzeln buchbaren Module zusammengestellt wurden?
Oberstes Ziel war es, besondere Performances einzukaufen, die noch niemand gesehen hat oder Künstler zur Zusammenstellung von besonderen Programmen anzuregen. Im nächsten Schritt überlegten wir, welche Bands uns sonst noch interessierten, wen man hier noch nie oder lange nicht gesehen hatte, wer sich darauf einlassen könnte, in verschiedenen Funktionen beim Festival aufzutreten, wer Lust hätte, sich mit dem Nachwuchs auseinanderzusetzen. Bei den Lesungen, die wir im Programm haben, haben wir einfach nur unseren Geschmack walten lassen, bei den Talks ging es uns um spezielle Kombinationen von Menschen, die einen im Idealfall nach einer Stunde des Zuhörens sprachlos und gleichzeitig inspiriert zurücklassen.
„Was genau ist den an Sponsorengeldern besser als an Steuergeldern?“
Ihr seid der Nachfolger der Berlin Music Week, die als Branchentreffen auch etwas unsexy war. Ihr habt beispielsweise das Musicboard Berlin und die Senatskanzlei im Rücken. In einer sehr House- und Techno-affinen Redaktion wie unserer stellte sich auch die Frage, ob es da seitens des Berghains Vorbehalte gab, wenn man die „Kultursubventionsindustrie“ ins Haus holt?
Das Berghain, dem, als einer der wenigen Orte in dieser Stadt, musikalischer Inhalt und Qualität sehr wichtig ist, geht es immer darum, mit Menschen zu arbeiten, die diesen Ort zu schätzen wissen und auch seine Ästhetik und ja kaum explizit ausgesprochene libertäre Strategie verstehen. Das Berghain hat gesehen, dass wir ein inhaltlich interessantes Festival mitbringen, das mit viel Liebe und einer guten Portion Humor zusammengestellt und gestaltet wurde, und ist sicherlich nicht so verbohrt, dass es etwas gegen von der Stadt oder von der EU geförderte Projekte hätte. Es ist ja nicht so, als ob wir die ersten wären, die mithilfe von Fördermitteln im Berghain etwas veranstalten. Schonmal was vom CTM gehört?
Aber wie problematisch ist das Verhältnis von Popkultur und Staatsnähe? Will man die Steuergelder vom Merkel/Schäuble-Deutschland eigentlich haben?
Ich will sie haben, ja, um damit Veranstaltungen zu konzipieren, bei denen die Künstler ernst genommen und mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, die ein normaler Club oder ein normales Festival niemals stemmen könnten. Mich interessieren Veranstaltungen, die am Markt vielleicht nicht unbedingt eine Chance hätten. Ich zahle Steuern und gebe einen Teil davon gerne für Kultur (aus). Ich finde das Verhältnis kompliziert und problematisch, finde aber mein persönliches Verhältnis zu der Firma, die meinen Computer produziert hat, an dem ich gerade schreibe, und die auch noch mein Telefon angefertigt hat, viel problematischer, um ehrlich zu sein. Wir können die Diskussion über Popkultur und Staatsnähe gerne an anderer Stelle weiterführen, dazu benötigen wir dann aber wesentlich mehr Platz. Ich würde dann auch gerne darüber sprechen, was denn an Sponsorengeldern so viel besser ist als an Steuergeldern? Ich kenne beide Seiten, bisher muss ich sagen, dass es sich inhaltlich freier mit Steuergeldern arbeiten lässt.
##Diese Künstlerinnen und Künstler spielen u.a. bei der Pop-Kultur