Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Haiyti, The Avalanches und Robin Guthrie & Harold Budd.
Haiyti – influencer
Benedikt: Das im Sommer erschienene „SUI SUI“ habe ich – dem schlicht großartigem Albumcover zum Trotz – gar nicht wirklich gehört. Fast wäre das Jahr also ohne die kurzweilige, intensive Haiyti-Phase zu Ende geganen. Aber nur fast. Nach kaum sechs Monaten droppt die Hamburgerin die nächste LP. Im Gegensatz zu den vorherigen Platten „Montenegro Zero“ und „Perroquet“ nimmt Haiyti das Tempo auf „influencer“ gelegentlich raus und auch der sonst auf Länge mitunter anstrengende Stakkato-Flow darf zwischenzeitlich Pause einlegen. Natürlich fehlt sie nicht völlig, diese leichte, aber musikalisch essentielle Gestresstheit, mit der Haiyti seit jeher über suppende Trap-Beats flowt. Auch an Glitter, Glamour und Guns mangelt es auf „influencer“ nicht, aber dazwischen wird sich tiefer durch die eigene Gefühlswelt gegraben als das bisher der Fall war, so scheint es. Die Lines dazu sind nicht selten großartig: „Ich hab' hunderttausend Feinde, doch ich kenne kein'n / Allemann bei Seite / ich bin, lost und cry.“ „Star und zurück“ kommt gar als echte Trap-Ballade daher und auf „Comeback“ beschreibt sie die Beziehung zu ihren Fans wie ein Liebesdrama, das nun endlich zum Happy End kommt: „Und die Wolken ziehen, feier' mein Comeback / Weiß nicht, wo ich war, doch zu lange weg / Ja, ich wollt' zu viel, wäre fast verreckt / Weiß nicht, wo ich war, wisch' die Tränen weg. / Ich war dead, Subutex, bin nun back für die Fans / Scheiß auf gestern, das war gestern, tätowier mich, noch ein Messer.“
Haiyti wirkt.
The Avalanches – We Will Always Love You
Ji-Hun: In 20 Jahren drei Alben zu veröffentlichen, zeugt von einer gewissen Gelassenheit. Nach „Since I Left You“ von 2000 und „Wildflower“ von 2016 ist nun „We Will Always Love You“ der beiden australischen Sampling-Großmeister Robbie Chater und Tony Di Blasi erschienen. Die Ansage auf Langspieler Nummer drei ist bold. 25 Tracks mit mehr Features als ein Neuwagen. Blood Orange, Jamie xx, Denzel Curry, Sampa the Great, Kurt Vile, River Cuomos von Weezer, Johnny Marr, Cornelius, Tricky und und und. Ob das nun cooler Größenwahn ist oder einverfehlter Mainstream-Hechtsprung werde ich am Wochenende herausfinden.
Robin Guthrie & Harold Budd – Another Flower
Thaddi: Am Mittwoch starb der Komponist Harold Budd im Alter von 84 Jahren an oder mit Corona. Ich glaube mich noch gut erinnern zu können, wie ich auf seine Musik stieß. Der wohl offensichtlichste Grund: Eno. Ich hörte mich durch dessen Werk, blieb bei den gemeinsamen Alben mit Budd hängen und hörte mich danach erst rückwärts und dann Schritt für Schritt mit ihm mit. Das war manchmal nicht ganz einfach, denn das „New Age“-Fach bei WOM am Kurfürstendamm war klein und von Enya und anderen Einhörnern dominiert. Ich kaufte das, was da war – blind. In der Hoffnung nicht enttäuscht zu werden. Wurde ich in der Regel nicht. Sein großes Werk The Pavilion Of Dreams, eher skurril klingende Alben, die damals gerade aktuell waren wie „By The Dawn’s Early Light“, den großen und immer noch kraftvollen Klassiker „The Serpent (In Quicksilver)“, natürlich „Lovely Thunder“ und „The White Arcades“ und einer meiner aus heutiger Sicht Lieblingsplatten von ihm: das kurze Album „Music For 3 Pianos“, das er 1992 zusammen mit Ruben Garcia und Daniel Lentz aufgenommen hatte. Der Digipak war kaputt, es war mir scheißegal. Und der Song „Somos Tres“ bringt mich bis heute immer wieder zum Heulen.
In den vergangenen Jahren hat Budd immer wieder mit Robin Guthrie zusammengearbeitet. Man kennt sich gut und seit langer Zeit: 1986 veröffentlichten die Cocteau Twins und Budd ihr gemeinsames Album „The Moon And The Melodies“.
Es war bestimmt anders geplant. Anfang Dezember erschien die letzte Kollaboration der beiden. Neu erfunden wird hier nichts – gar nichts. Doch darum geht es nicht. Hören wir beiden einfach zu. Guthrie an der Gitarre und am Hall, Budd am Klavier. Der Rest ist Mythos, Erinnerung und noch für mindestens ein paar Wochen tiefe Trauer. Ich muss damit umgehen. Mich damit abfinden, dass sich immer mehr Musiker_innen, die für mich prägend waren, verabschieden. Auch ich bin mittlerweile alt. Ich führe in meinem Notizbuch mittlerweile eine Liste über diese Menschen. Und hoffe inständig, dass ich ganz lange keinen Namen mehr durchstreichen muss.