Gärten der Welt – #8Streifzüge durch die musikalischen Peripherien
19.4.2021 • Sounds – Text: Christian BlumbergDie Welt ist eine Scheibe und ganz am Rand, an den unscharfen Peripherien, blüht der Sound bunter, überraschender und kompromissloser. In seiner Kolumne unternimmt Christian Blumberg in loser Folge Streifzüge durch unterschiedliche Randgebiete der Musik. Diesmal mit Simona Zamboli, Niels Lyhne Løkkegaard, Luca Yupanqui und einer Compilation zu spanischem Ambient von 1983 bis 1990.
Simona Zamboli – Ethernity (Mille Plateaux)
Statt mit einer Exposition beginnt „Ethernity“ mit einem Interlude. Ein erster Hinweis, dass dieses Album irgendwie anders ist. Wobei das mit der Andersartigkeit schnell zu einer kniffligen Sache wird, schließlich greift die italienische Produzentin zu Sounds, Stimmungen und produktionstechnischen Verfahrensweisen, die zunächst allesamt vertraut scheinen. Besonderheiten ergeben sich also weniger aus den einzelnen Zutaten, eher schon aus deren ambigen Montagen: sind die Noise-Kratzer des besagten Interludes erst einmal wegpoliert, offenbart sich eine Musik, die sich schnell als Post-Club verschlagworten ließe. Hörer*innen, denen Zamboli in der Vergangenheit nicht bereits mit ihrem vernebelten und sehr schnellen Techno aufgefallen ist, würden aber vielleicht gar nicht an Clubmusik denken. Also Club oder nicht? Plausibel scheint beides gleichermaßen – und es ist genau das Prinzip der Gleichzeitigkeit, das dieses Album ausmacht.
Da ist die Wärme der analogen Synthesizer. Bei Zamboli lässt es sich in diesen Sounds allerdings nie wirklich gemütlich machen. Da ist das Diktum des Repetitiven, vielleicht sogar – immerhin sind wir hier bei Mille Plateaux – die Idee von „Differenz und Wiederholung“. Etwas, das Zamboli zwar streckenweise ausarbeitet, aber nie zum Grundprinzip erhebt. Dafür gibt es dann doch zu viele Brüche. Etwa wenn ein lange vor sich hin pluckernder Track wie „Compossibility“ zum veritablen Banger mutiert, oder wenn die ratternden Patches von „Take Me Somewhere“ plötzlich von Vocal-Passagen unterbrochen werden, die sich auch in einem Grunge-Song aus den 90ern gut gemacht hätten. Atonale Sounds und Harmonik greifen unentwegt ineinander, lichte und düstere Klänge überschreiben sich: Überall installiert Zamboli kleine Widersprüche, die „Ethernity“ zu einer schwer fassbaren, aber gerade deshalb so beachtenswerter Feier des Ambivalenten werden lassen.
Niels Lyhne Løkkegaard – Saturations (Important Records)
Konzeptionell besser zu fassen (dafür aber vielleicht etwas „schwieriger“ zu hören) ist da die neue LP von Niels Lyhne Løkkegaard, der unter dem Titel „Saturations“ zwei Arbeiten für 19 Klarinetten realisiert hat. Die Multiplikation von (überwiegend) akustischen Instrumenten zieht sich als Prinzip schon seit einer Weile durch das Werk des dänischen Komponisten: Da gibt es beispielsweise Stücke für neun Klaviere. Oder für 16 Triangel. Oder für 30 elektrische Stimmgeräte (wer jemals mithilfe so eines Geräts ein Instrument gestimmt hat, kann sich das klanglich geil enervierende Ergebnis dieses Arrangements vermutlich lebhaft vorstellen, alle anderen klicken hier). Verkürzt gesagt: Hier werden Instrumente und Klanggeneratoren zweckentfremdet, ihr originärer Klang bleibt dabei aber unberührt. Auf den beiden Stücken von „Saturations" trifft es jetzt also Klarinetten und zwar, wie gesagt, derer jeweils 19. Løkkegaard nennt das eine „klangliche aber auch menschliche Klang-Synthese“. Viel prägnanter lässt sich die Musik eigentlich kaum beschreiben. Das Ergebnis sind organisch-flatternde Drones, in denen sich ein Wille zur Versuchsanordnung ebenso offenbart wie die Lust am Klang. Die Vielstimmigkeit der Layer lässt sich zwar genau beziffern, was die sich beim Hören einstellende Diffusion aber kein bisschen mindert. Minimalismus für den leichten Schwindel.
V/A – La Ola Interior. Spanish Ambient & Acid Exoticism 1983-1990 (Bongo Joe)
Schwindelig kann einem auch angesichts der ungebrochenen Welle von Wiederveröffentlichungen älterer Ambient-Musik werden. Die dabei greifenden Hype-Mechanismen konzentrieren sich – warum eigentlich? – oft aufs Nationale: Während also zum Beispiel Produktionen aus Japan seit Jahren hoch gehandelt werden, erfahren spanische Erzeugnisse vergleichsweise weniger Beachtung. Dass der retrospektive Blick aber lohnt, zeigt diese Compilation des wiederum in Genf ansässigen Labels Bongo Joe, die sich auf ambiente Arbeiten abseits jedes Ibiza-Flairs konzentriert, dabei aber Musiker*innen aus ganz verschiedenen Kontexten und Szenen versammelt. Stücke von kaum bekannten Protagonist*innen der DIY-Tape-Szene wie Mataparda stehen dabei ganz selbstverständlich neben dem psychedelischem Folk einer halbwegs populären Band wie Finis Africae. Viel Raum bekommen auch die Vertreter*innen des sogenannten „Ethnic Industrial“, die seinerzeit schleifende Loops mit arabischen oder fernöstlichen Elementen verwoben. Einer von ihnen, Miguel A. Ruiz, ist sogar gleich dreimal vertreten (einmal mit seinem wiederum ganz anders klingenden Synthesizer-Projekt Orfeón Gagarin). Insgesamt bestimmt ein Hang zu spirituell anmutenden Klängen diese Zusammenstellung. Was daran liegen könnte, dass viele der hier vertretenen Musiker*innen in musikalisch traditioneller ausgerichteten Zusammenhängen schon in den 70ern aktiv waren. Ob der Ambient der Halbinsel deshalb eine hippieeskere Angelegenheit war als etwa im angelsächsischem Raum? Expert*innen, schreibt es einfach in die Drukos! Allen anderen sei „La Ola Interior“ sehr empfohlen, denn hier gibt es einiges, das sich (wieder)zu entdecken lohnt.
Luca Yupanqui – Sounds of the Unborn (Sacred Bones)
Wer Luca Yupanqui noch nicht kennt: Keine Sorge, nichts verpasst. Denn Luca ist gerade erst geboren worden. Und dürfte somit so etwas wie die jüngste Künstlerin aller Zeiten sein. Okay, sie hat dieses Album nicht wirklich bewusst produziert. Aber mehr als eine Klangquelle war Luca dann doch, als sie, noch im Bauch der Mutter, so ihren Kram machte. Also was Ungeborene eben so tun: wachsen, strampeln, dasein. Die Eltern – Elizabeth Hart, sonst Bassistin bei den Psychic Ills und Iván Diaz Mathé – fanden einen technologischen Weg, Lucas In-Utero-Aktivitäten aufzuzeichnen. Der heißt „Biosonic MIDI Technology“, und es handelt sich dabei um eine Art der Kontakt-Mikrofonierung, mittels derer vom schwangeren Bauch erfasste Signale an Synthesizer geschickt und dort wiederum in Klänge übersetzt werden. Die sich hier ergebenden Fragen der Autor*innenschaft mal außer Acht gelassen (allein Idee und Umsetzung sind natürlich schon bemerkenswert genug): Das Ergebnis ist keineswegs unhörbares Gerumpel, stattdessen entfaltet sich ein entrückter, dabei sehr vitaler Klangkosmos, in dem Gesetze der Harmonik oder der Dramaturgie – natürlich! – kaum eine Rolle spielen. Gerade dieser Grad an Randomness ist es, der dieses Album besonders macht. Klar, es gibt eine ganze Reihe von Künstler*innen, deren Musik dieser hier ähnelt, aber keine*r von denen hätte sich „Sounds Of The Unborn“ ausdenken können, weil das Album eben nichts Ausgedachtes ist. Besagte Ähnlichkeiten ergeben sich nur über die Parameter der umsetzenden Klangmaschinen, auch klar. Aber darüber hinaus bleibt Lucas Musik tatsächlich ohne Referenz.