Gärten der Welt – #7Streifzüge durch die musikalischen Peripherien

Gärten der Welt 7 lede

Die Welt ist eine Scheibe und ganz am Rand, an den unscharfen Peripherien, blüht der Sound bunter, überraschender und kompromissloser. In seiner Kolumne unternimmt Christian Blumberg in loser Folge Streifzüge durch unterschiedliche Randgebiete der Musik. Diesmal mit Ashtray Navigations, Sven-Åke Johansson, Museum Of No Art & Felicity Mangan.

Ashtray Navigations

Ashtray Navigations – Greatest Imaginary Hits (VHF Records)

Die Ashtray Navigations sind seit fast 30 Jahren eine Instanz des Lo-Fi-Psych-Rock, wenngleich auch nur eine mäßig populäre. Zu Unrecht natürlich. Anfang der Neunziger begann Phil Todd – zunächst alleine, seit längerem aber zusammen mit Melanie O’Dubhslaine – eine überaus unübersichtliche Diskografie anzuhäufen: Discogs zählt 170 Releases seit 1994, darunter circa 90 Alben, von denen viele auf CD-R oder Kassetten erschienen. Den Rest machen Kurzformate: EP’s, 7"s, Compilation-Beiträge. Dazu kommen laut Todd noch fast 100 Kassetten, von denen die Datenbank jedoch gar nichts weiß. Diverse Nebenprojekte nicht mitgezählt. Unmöglich, sich da mal eben durchzuhören. Dass ein derart monströser Output qualitativ durchwachsen ausfallen muss, versteht sich irgendwie auch von selbst. Dank VHF Records gibt es jetzt – und nicht bloß für Einsteiger*innen – die „Greatest Imaginary Hits“, eine Sammlung, die nicht nur ein neues Album umfasst (in der hier verlinkten digitalen Version umfasst es die ersten sechs Tracks, allesamt ausladende, vergleichsweise energetisch und crisp produzierte, nun ja, Rocknummern). Vor allem aber sind hier vier CDs enthalten, die sich durch die Schaffensphasen des britischen Duos wühlen. Und dabei gar nicht erst den Anspruch eines irgendwie repräsentativen oder gar chronologisch vorgehenden Querschnitts erheben – denn selbst dafür bräuchte es wohl mehr als die hier zur Verfügung stehenden sechs Stunden. Stattdessen wurden vier Fans / Wegbegleiter*innen / Navigations-Kenner*innen gebeten, je eine CD mit persönlichen Favoriten zu füllen.

Den Anfang macht Blogger und Radiomoderator Rob Hayler. Seine Auswahl (bei Bandcamp Track 7-17) legt den Fokus auf die psychedelischen Momente der Band: Oberton-Sinfonien wie „Bottletrade Blues“ sind ebenso vertreten wie das sehr mantrahafte „Cinderella Stamps Outside Air“, dessen zunächst konzentrierter Krautrock sogar in Sitar & Tabla-Gedaddel ausarten darf. Haylers Auswahl zeigt eine Seite der Band, die in erster Linie bemüht ist, ihre Zuhörer*innen in entrückte Zustände zu versetzen. Klappt ganz gut. Smoother Einstieg, schon sehr Hippie, aber okay.

Keine Überraschung, dass die Selektion von Henry Rollins (Track 18-32) weitaus weniger lavalampig ausfällt: Rollins interessiert sich eher für den Klang als Wert an sich. Seine Auswahl beginnt mit dem kreischend-melodiösen Feedback von „Tapwater Locomotive Pt. 3“, punktet aber vor allem mit Stücken, in denen die Musik der Ashtray Navigations ganz bei sich scheint: „Licking Plastic Trees“ ist ein zartes Flackern mit überraschend harmonischem Ende, „Bitter Lemon Licks“ besticht mit entsättigt-beißenden Gitarren-Drones, „Two Chimes For Tuesday“ lässt sich dann eher als Minimal Music hören denn als irgendetwas, das mit Rockmusik zu tun hätte. Und so geht es weiter: „Whistling Tube“ ist desorientierendes Dröhnen im Raum, und „Their Heads are Green and Their Hands are Blue“ wird dank Filter und Effekt-Overkill zu einem sphärischen, wenn auch nicht besonders einladenden Soundscape. Rollins arbeitet Momente der Band heraus – überwiegend aus ihrer früheren Phase stammend –, in denen die Musik selbst so entrückt ist, dass sie sich um den Mindstate ihrer Zuhörer*innen kaum noch zu kümmern scheint. Und ist gerade deswegen die vielleicht eigenwilligste, aber auch die interessanteste Selektion.

Die des Autors Pete Coward (Track 33-45) fällt deutlich wilder aus, Coward hat es auf die schrägen und noisy Facetten abgesehen: Der ungebändigte Gitarren-Improv von „Deader Neptune Thunder Creating West B“ oder der monotone Blues-Krach in „A Slot in the Bear's Head“ sind da noch die zugänglicheren Tracks. Auf CD 3 klingen Ashtray Navigations vor allem ungeplant, disharmonisch, aufrührerisch. Ausnahmen gibt es auch, wie das meditativ schlingernde Exzerpt aus „Who’s Been Rocking The Dreamboat“ – das übrigens allgemein als eines der Höhepunkte des Todd’schen Schaffens zählt. Cowards Auswahl endet dann mit ein paar Minuten aus dem eigentlich 45-minütigen „Drain’d“, dessen harsch noise nicht nur alles Strukturhafte, sondern auch jede pilzig-kosmische Anmutung endgültig wegwischt.

Die letzte Runde übernimmt Neil Campbell (Track 46-52), der u.a. bei den durchaus geistesverwandten Bands Astral Social Club oder Vibracathedral Orchestra aktiv ist. Campbell hat nicht nur eine Vorliebe für Tracks, welche die 20-Minuten-Marke reißen, seine Auswahl funktioniert auch wie ein Zirkelschluss zu den drei vorherigen: Zwischen Psychedelia und Geräusch kompiliert er vor allem formal sperrige Stücke, die es garantiert auf keine klassische „Greatest Hits“-Auswahl geschafft hätten – aber deshalb heißt das ganze Unterfangen ja auch „Greatest Imaginary Hits“. Für alle, die es mit Ashtray Navigations versuchen wollen: Hier gäbe es – je nach klanglicher Präferenz – vier Einstiegsmöglichkeiten ins Oeuvre. Nerd-Sommerferien bei Discogs? Gebucht.

Garten-Breaker
Seewetter

Sven-Åke Johansson – Seewetter (Edition Telemark)

Sparen wir uns an dieser Stelle die holprige Überleitung vom Urlaub zum Wetter an der See, um das es bei diesen sehr frühen Aufnahmen des schwedischen Künstlers und Musikers Sven-Åke Johansson geht. Lange bevor dieser Teil des Brötzmann-Trios und noch später bildender Künstler wurde, lebte er eine Weile im ehemaligen Kloster Mariental. Und weil das im Niedersächsischen liegt, ließen sich die Seewetterberichte von den Küsten auch qua Ultrakurzwelle problemlos empfangen. Selbige begann Johansson mitzuschneiden, indem er ein Mikrofon vorm Lautsprecher seines Radios platzierte. Und so klingen die Mitschnitte dann auch. Es brummt ordentlich und fast alle gesprochenen S-Laute übersteuern. Was bei Sätzen wie „Mittlere Ostsee, Westteil: Südliche Winde 4, allmählich zunehmend 5, strichweise 6, diesig, Frühnebelfelder“ schon ins Gewicht fällt. Das ist aber egal. Diese Aufnahmen sind schließlich nur bedingt Zeitdokumente der Radiogeschichte, sondern eher Manifestationen einer sehr eigenwilligen Poesie, die sich entfaltet, je länger man ihnen zuhört. Dafür sorgen einerseits das Vokabular – von verschwundenen oder erloschenen Leuchtheultonnen ist da die Rede, oder vom Sichtrückgang am Borkumriff – aber auch der gesetzte Vortrag der Sprechher*innen: Jede Zahl, jedes Wort wird mit größtmöglicher Sorgfalt verlesen und mit Pausen gerahmt, was den Aufnahmen sehr eindrückliche Rhythmen verleiht: Mal wird stockend & abgehackt gelesen, mal ist den Zäsuren im Sprachfluss ein inneres Drängen der Sprecher*innen anzumerken. Der LP (digital gibt es leider nur wenige Hörbeispiele) liegt ein kurzer, leider recht holperig übersetzter Aufsatz bei, der Johanssons Materialaneignung aus kulturtheoretischer Perspektive einordnet. Man kann sich an ihnen aber auch einfach als Kuriosum oder als accidental poetry erfreuen, ganz besonders, wenn sie sich aus Versehen reimen: „Leuchtglockentonne Papa Sieben – nach Schiffsmeldung vertrieben.“

Garten-Breaker
Museum Of No Art

Museum of No Art – Improvisations on clarinet and time-stretched space (ststst)

Ebenfalls in Seenähe, in der einzigen maritimen Metropole dieses Landes, lebt und arbeitet Mona Steinwidder aka The Museum Of No Art. Auf ihrer Kassette für ststst schichtet sie – in Form von zwei viertelstündigen Stücken – improvisierte, dabei gelegentlich ornamental ausgestaltete (Triller!) und harmonisch stets zugänglich bleibende Klarinetten-Loops mit bearbeiteten Field Recordings zu einem Minimal-Music geschulten, deren Prinzipien jedoch dankenswerterweise nur wenig orthodox umsetzenden Sog aus Differenz & Wiederholung, bis die Klarinette selbst aus dem formalen Korsett ausbricht und mit Schiffshorn-artigen Signalen das Finale einläutet, bzw. -tutet. Die im Titel angekündigte Streckung der Zeit bezieht sich wohl in erster Linie auf die technische Bearbeitung der Feldaufnahmen, denn Steinwidder gelingt hier sehr kurzweilige Musik, die erstaunlich unimprovisiert klingt.

Garten-Breaker
Creepy Crawly

Felicity Mangan – Creepy Crawly (Mappa Editions)

Bearbeitete Field Recordings sind auch das Mittel der Wahl der Australierin Felicity Mangan. Auf ihrem Kultur-Natur-Verwirrspiel „Creepy Crawly“ vermengt sie diese mit rudimentären Beats und Klängen, die ein gewisses 5th-world-Gefühl bedienen, hier aber immer frei von mystischem Schleier bleiben. Die Tracks der EP versteht Mangan aber zugleich als Einträge in eine kryptozoologische Enzyklopädie. Ein Genre, dass durchaus etwas Nachwuchs gebrauchen kann. Um diese einstmals beliebte Pseudowisschenschaft steht es schlecht. Die internationale Gesellschaft der Kryptozoologie (ISC), die jahrelang für die Anerkennung ihrer Disziplin geworben hatte, stellte bereits in den Nuller-Jahren sämtliche Aktivitäten ein. Scheinbar interessiert sich niemand mehr fürs Aufspüren von Yetis, Werwölfen oder Chupacabras. Ob es am Internet liegt? Felicity Mangan hat es dann auch nicht auf die populären Fabelwesen abgesehen. Sie spekuliert – rein akustisch – über die Existenz von wesentlich spezielleren Arten, wie beispielsweise die eines Cyborg-Käfers oder eines – auch auf dem Cover skizzierten – zweiköpfigen Emus. Ein fast heiterer Soundtrack für Non-Urban Myths, veröffentlicht bei dem slowakischen Label Mappa Editions, dessen Selbstbeschreibung sich passenderweise so liest: „contemporary composition on a thin border between something and nothing“.

Leseliste 19. Juli 2020 – andere Medien, andere ThemenGastro-Kontaktlisten, Twitter & Covid, Nespresso und das Ende des Tourismus

Mix der Woche: StruppieMelancholisch aus dem Tal der Verwirrung