Gärten der Welt – #6Streifzüge durch die musikalischen Peripherien

Gärten der Welt 6 lede

Die Welt ist eine Scheibe und ganz am Rand, an den unscharfen Peripherien, blüht der Sound bunter, überraschender und kompromissloser. In seiner Kolumne unternimmt Christian Blumberg in loser Folge Streifzüge durch ganz unterschiedliche Randgebiete der Musik. Diesmal mit Klara Lewis, FUJI||||||||||TA, Carrots Tapes, Exael + Arad Acid und Cryptobitch.

Klara Lewis Ingrid Artwork

Die LP erscheint am 1. Mai 2020.

Klara Lewis – Ingrid (Editions Mego)

Seit ihrem 2016er-Album „Too“ dürfte Klara Lewis all jenen ein Begriff sein, die sich für elektronische Musik an den Schnittstellen zwischen Ambient und Industrial erwärmen können. Dabei lag die Stärke ihrer Produktionen immer darin, an Genre-Logiken vorbei zu operieren. Wenn Lewis Musik industriell und finster wirkte, geschah dies meist unter Verzicht auf Stilmittel, die sich für „industriell und finster“ gemeinhin anbieten: Statt harscher Drums benutzte Lewis höchstens leicht schmirgelnde Loops, statt drückender Drones produzierte sie Klangflächen, die luftig und unnahbar blieben. Wo ähnlich angelegte Produktionen sich vor allem auf immersive Qualitäten verlassen, wahren die von Lewis stets eine Distanz, die sich den Konnotationen ihrer klanglichen Parameter entgegenstellt. Irgendwie gilt dies auch für „Ingrid“, welches nicht wirklich ein neues Album, sondern ein 20-minütiger Track ist. Getragen wird er von einem minimalistischen Cello-Loop, der von sich langsam auftürmendem Noise erst umspielt, später auch mal geschluckt wird. Die schematische Folie für diese lineare Longform-Dynamik mag bereits etwas abgegriffen wirken – doch hier gerät selbst der im Presseinfo als „kathartisch“ beschriebene Noise-Ausbruch angenehm nüchtern: Emo, aber ohne Emo. Ähnliches gilt für die Cello-Figur: Obwohl er stets hinter der nächsten Ecke lauert, bedient Lewis keine Sekunde lang jenen Neoklassik-Kitsch, der im Cello immer bloß ein Mittel zum Schmachtfetzen sieht.

Garten-Breaker
FUJI​|​|​|​|​|​|​|​|​|​|​TA - iki. artwork

FUJI||||||||||TA – iki (Hallow Ground)

Ein anderes Instrument, mit dem sich nachweislich schlimme Dinge anstellen lassen – von schlichtem Gedudel bis zum Sakral-Overkill wäre da vieles denkbar – ist die Orgel. Wobei es die Orgel freilich nicht gibt, schließlich ist jede von ihnen einzigartig. Dieser Umstand verhilft Pfeifenorgeln zu ihrem auratischen Moment. Und das wiederum erklärt vielleicht, warum Orgeln auf dem Feld der Ambient-Musik modularen Synthesizer gerade den Rang abzulaufen scheinen. Denn auch deren nur mühsam reproduzierbare Patches befriedigen schließlich eine zwar zeitgeistige, aber zugleich einigermaßen reaktionär anmutende Sehnsucht nach dem Singulären. Darüberhinaus aber liegt die eigentliche Interessanz von Orgelaufnahmen darin, dass sich Mechanik, Luft und Raum einschreiben und hörbar werden. Womit man wieder beim Ambient wäre, oder eben bei seinen georgelten Erscheinungen. Die sind durchaus vielseitig: Zwischen Material- und Klangforschung (Eva Maria Houben), strengen Drone-Kompositionen (Ellen Arkbro), Minimal-Music-Traditionen (Kali Malone) bis hin zu eher atmosphärischen Quasi-Nocturnes (øjeRum) ist eigentlich alles drin.

Fujita Yosuke ist noch einen Schritt weiter gegangen: Er hat vor elf Jahren selbst eine Orgel gebaut. Sie verfügt über elf Pfeifen, nicht aber über eine Klaviatur. Dann ist da noch die Luftpumpe, deren beständiges Klickern und Klackern sich wie eine rhythmische Textur zu den meist Drone-artigen Tönen der Orgelpfeifen gesellt. Dieses Klackern ist zwar sehr behaglich, hat allerdings mit dem Manufactum-Charakter der Musik von InstrumentenbauerInnen wie Pierre Bastien nur wenig gemein. Dafür sind die Stücke von FUJI||||||||||TA dann doch etwas zu streng. Streng, aber nicht monoton: „iki“ beginnt mit viel durée, mit lang gezogenen Tönen, zu der sich äußerst behutsam Melodien, gelegentlich auch leichte Dissonanzen mischen. Hygge ist diese Musik nicht, aber doch schlicht zu schön, um als reine Klangstudie durchzugehen. Erst im letzten Stück entfaltet sich dann das volle harmonische Potenzial der Orgel. Kaum entziehen kann man sich ihrer Klangfarbe: charmant, aber nicht niedlich, sanft, aber nicht lieblich, luftig, aber trotzdem reichhaltig – ihr Sound trägt problemlos über eine Spielzeit von knapp 40 Minuten. Wenn die vorbei sind, stellt sich umgehend das Gefühl ein, dass Fujita Yosuke (sowie seinem unwahrscheinlich geschmackssicheren Label Hallow Ground) mit „iki“ ein zukünftiger Klassiker gelungen ist, und sei es nur im Mikro-Genre „Orgel-Ambient“.

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sma

Carrots Tapes - Supermarkt Affair (Carrots Tapes)

In Zeiten des Lockdowns ist der Gang zum Supermarkt ja eine deutlich stillere Angelegenheit als sonst. Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um dieses schon etwas ältere Release des Berliner Label- bzw. Künstler*innen-Kollektivs „Carrots Tapes“ zu entdecken: Acht Field Recordings aus Berliner Supermärkten werden mit leichten bis mittelschweren Effekten belegt, so dass sich gelegentlich kleine Noise-Dramen entwickeln. Die Tracks sind dabei säuberlich nach Handelsketten getrennt: Im Netto wird freundlich gegrüßt, im Aldi piept die Scanner-Kasse, im Rewe werden geräuschvoll Regale eingeräumt. Das Kühlregal im Kaufland brummt, im Hintergrund dudelt unbeirrt das Filialradio. Im Lidl öffnet Kasse eins. Regulärer Betrieb im Penny. Im Edeka sortiert jemand das Pfandgut, weiterhin werden Kassenbons getackert. Und zum Abschluss Kundendurchsagen im Real. Macht dann bitte acht Euro glatt bei Bandcamp, mit Karte bitte, vielen Dank, schönen Abend, für Sie auch.

Garten-Breaker
Exael + Arad Acid – Furi artwork neu
cryptobitch artwork neu neu

Exael + Arad Acid – Furi (Motion Ward) & Cryptobitch – Cryptobitch (self-released)

Motion Ward ist ein Label aus L.A., das nur äußerst sporadisch veröffentlicht. Aber wenn es soweit ist (im Schnitt zwei Mal im Jahr), spendieren die Kalifornier selbst kurzen Formaten noch ein Vinyl im Lochcover. Das ist sympathisch, aber auch ein ökonomischer Harakiri-Move, zumal Motion Ward für die wenigen DJs, die 2020 noch freiwillig Schallplatten schleppen, auch nicht wirklich etwas anzubieten hat. Mit Techno haben die Releases des Labels jedenfalls nur über Umwege zu tun. Die Musik, die hier erscheint, ist eher etwas für jene Chill-Out-Floors, die es bekanntlich schon lange nicht mehr gibt – oder wie ich mir diese Floors retrospektiv vorstelle, schließlich kenne ich die selbst nicht mehr, dabei bin ich schon uralt. Nicht uralt klingt die Musik der in Berlin ansässigen Produzenten Exael (Teil von Ghostride The Drift) und Arad Acid, obschon sie ihre Fühler weit in die Welt des Ambient-Techno der 90er strecken. Die sieben Tracks von „Furi“ reichen von retrofuturistischen Interludes hin zu flackernden Nicht-Ganz-Clubtracks, die mitunter klingen, wie das während einer Afterhour gezeugte Brainchild von Anders Ilar und Huerco S. Die Musik ist mal von noisigem Geraschel und analoger Patina überzogen, dann wieder wird mit einer äußerst fluiden Digitalästhetik geflirtet. Schlüssig ist diese Split-EP dennoch. Und wem diese Stücke (oder alle hier verhandelten Releases) zu Ambient sind, höre sich doch noch Exaels aktuelles Projekt an: Als Cryptobitch produziert der nämlich ganz hervorragende „hi-nrg cyber melted break bursts“ für auf eure Fressen.

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