Gärten der Welt – #3Streifzüge durch die musikalischen Peripherien
13.9.2018 • Sounds – Text: Christian BlumbergDie Welt ist eine Scheibe und ganz am Rand, an der unscharfen Peripherie, blüht der Sound bunter, überraschender und kompromissloser. Das kann mal so, mal so klingen. In seiner Kolumne unternimmt Christian Blumberg in loser Folge Streifzüge durch musikalische Peripherien. Diesmal mit rkss, Blue Chemise, Tape Loop Orchestra und Tsembla.
rkss – DJ Tools (UIQ)
Beginnen wir mit etwas EDM, der vielleicht meist gehassten Musik überhaupt. EDM ist nicht nur immer noch unfassbar erfolgreich, sondern in gleich vielfacher Hinsicht industry standard. Die Produzenten (sehr viele) und Produzentinnen (sehr wenige) dieser Musik können daher auf tonnenweise Sample Packs zurückgreifen, deren Anbieter suggerieren, man hätte damit alle gängigen Tools in der Hand, um das nächste Tomorrowland im Alleingang abzureißen. Die Preset-Sounds solcher Sample Packs hat Robin Buckley für dieses Album zweckentfremdet, um ihnen ihren Kern – also ihre Funktionalität – komplett zu entreißen. Der Name „DJ Tools“ ist daher bloß noch ein Verweis auf die ursprünglichen Klangquellen. Buckleys Prozess der Ent-Standardisierung standardisierter Sounds ist eine unbedingt politisch zu verstehende Umcodierung. „DJ Tools“ bietet jenseits des Konzeptuellen auch ein musikalisch ansprechendes Ergebnis in Form von mehrdeutigen und kaum kategorisierbaren Stücken. Oft sind das seltsam ambient vermurkste Skizzen, die den Charakter ihres Ausgangsmaterials nie in Gänze verschleiern: Das synthetische Schimmern eines EDM-Tracks bleibt hier immer irgendwie konserviert. Die Stücke dieser Platte tragen übrigens so schöne Namen wie „Incognet present you best pack for making modern, top charted EDM tracks. This pack inlcudes not just Big & Fat Kicks, it also have“: Dysfunktionalisierte Industrie-Prosa.
Blue Chemise – Daughters Of Time (Students Of Decay)
Wer es persönlicher und analoger mag, wird dieser Tage bei Blue Chemise fündig (die der Kollege Herrmann hier an anderer Stellen schon gefeiert hat). Um kurz bei Tracktiteln zu bleiben: Bonnie, Violet, Polly, Celeste, Melody, Alice, June, Odette, Vivian, Marcy, Jude, Sabine, Isla, Claudia, Jane und Christine: Das sind die Namen der 16 „Daughters Of Time“. 16 ambiente Miniaturen, die der Australier Mark Gomes aufgenommen hat – und zwar mit einem Diktiergerät, dessen Grundrauschen den ohnehin schon gut vernebelten Klängen noch zusätzliche Patina verleiht. OK, Lo-Fi-Ambient ist auch nicht mehr ganz fresh. Was in diesem oft auf Immersionseffekte zielenden Genre aber doch eher selten ist: Kaum ein Stück hier dauert länger als zwei Minuten. Insofern kann Gomes’ Musik sich auch nicht darauf verlassen, dass bei seinen Hörer*innen schon irgendwas passieren wird, wenn der Loop nur lang genug läuft. Gomes’ Stücke sind trotzdem mindestens so entrückt wie prägnant. Und wenn in „Alice“ sehr Aphex Twin’sche Sounds mit den Klängen einer Spieluhr aus der Kinderabteilung montiert werden, darf man sogar Humor attestieren - findet man im Ambient ja auch eher selten.
Tape Loop Orchestra – Return To The Light (Tape Loop Orchestra)
Blöden Ambient gibts natürlich auch. Stellvertretend darf / kann / muss hier das fast schon katastrophal zu nennende neue Album des Tape Loop Orchestra herhalten. Hier hallt und knistert es allzu bedeutungsvoll – dazu schwellen ein paar Soundscapes erst an und dann wieder ab. Wenn einem das getriggerte Sonisch-Sakrale so richtig auf den Zeiger geht, werden auch noch Chöre in den Mix gepresst. So geht das fast zwanzig Minuten. Sind die endlich vorbei, beginnt im zweiten Stück alles von wieder von Neuem. Als Steigerung darf sich jetzt auch noch ein (wiederum in Hall getunkter) Mezzosopran hervortun. Das Backcover der LP faselt dann noch von „transzendentalem Licht“ und „höherem Bewusstsein“. Besonders ärgerlich ist das alles, weil Andrew Hargreaves zum Beispiel als Teil von The Boats schon ganz fabelhafte Platten zu verantworten hat. Der Pathos von „Return To The Light“ sprengt jedoch, um es mal Steinmeierlich auszudrücken, die Grenzen des Ertragbaren. Vielleicht eignet sich „Return To The Light“ als Warm-Up fürs nächste WGT? Oder als Sample-Pack Fundgrube für Bushido? Naaah, wahrscheinlich nicht mal das.
Tsembla – The Hole In The Landscape (NNA Tapes)
Im südfinnischen Turku lebt und arbeitet unterdessen Marja Ahti, die als Tsembla schon vor ein paar Wochen ihr bisher wohl zugänglichstes Album vorgelegt hat. Gefielen sich die Vorgänger in einer gewissen Zerfahrenheit, stellt sich Tsemblas Instrumentarium hier durchgehend in den Dienst von Stücken, die von kleinen, sich umspielenden Melodiebögen zusammengehalten werden. Die Klänge sind größtenteils akustischen Ursprungs – Ahti muss sich über die Jahre eine ziemlich eindrückliche Library zusammengesampelt haben. Selfmade Sample Packs sozusagen. Manchmal klingt Tsemblas Musik ein wenig wie eine zum Leben erweckte Spielzeugkiste, immer verspielt, durchaus charmant, aber niemals bloß niedlich.