Filter Tapes 045„Global Love“ von Kasper Bjørke
10.11.2021 • Sounds – Interview: Thaddeus Herrmann, Illustration: Kristina Wedel„Sprinkles“, das aktuelle Album von Kasper Bjørke, schickt sich an, eine feste Größe in den Bestenlisten 2021 zu werden. Fluffig, deep und herrlich electroid in aller Oldschooligkeit. Der dänische Produzent hat für sein Filter Tape eines seiner Lieblings-Genres gepickt: Reggae. Im Interview erzählt er, wie alles zusammenhängt, zusammengehört und zusammenkam: Musik, Elektronik, Dänemark, Kopenhagen.
Lieber Kasper, vielen Dank für deinen Mix. Er heißt „Global Love“ – das ist ja schon mal ein amtlicher Titel. Bevor wir über dein neues Album sprechen, lass uns also doch darüber reden. Was war deine Idee für das Filter Tape?
Gern geschehen, den Mix zusammenzustellen, hat mir viel Freude bereitet. Der Ausgangspunkt waren Stücke, die ich gern zu Hause höre oder auch auflege, wenn ich mal für ein Nachmittags-Set gebucht werde. Dabei fiel mir auf, dass es dabei vor allem um Songs der vergangenen 40 bis 60 Jahre geht. Aus der ganzen Welt. So kam ich auf den Titel.
Du hast für uns Reggae gemixt. Reggae war ja schon immer eine globale Sprache. Was verbindet dich mit diesem Genre? Wobei – du weißt das – Reggae ja nur eine Art Platzhalter ist für die unterschiedlichsten musikalischen Ausprägungen. Erinnerst du dich an dein erstes Zusammentreffen mit diesem Genre? Woraus hast du damals deine Energie gezogen?
Wenn ich mich recht erinnere, war mein erstes Reggae-Album ein Box-Set von Bob Marley – mit einem Buch über sein Leben. Ich muss 10, 12 Jahre alt gewesen sein. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Das Box-Set war unfassbar schön aufgemacht, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen – zu seinem Charakter, dem Mystischen, das seine Person umgab. Und: Der Groove war unwiderstehlich. Reggae war also Teil meiner musikalischen Früherziehung, wenn du so willst. Natürlich sind die politischen Statements omnipräsent im Reggae. Für mich ist die Musik aber vor allem mit positiven Vibes gehaftet. Und das Auflegen macht so viel Spaß. Der Mix entstand tatsächlich, nachdem ich gemeinsam mit einem Freund hier in einer Kopenhagener Galerie B2B aufgelegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt machte Dänemark wieder auf – die und Menschen tanzten. Das war so schön.
Tracklisting
- Between – Devotion
- Sonia – Easier To Love
- Shimaali & Killer – Hoobeya
- E Ruscha V – Who Are You
- Letta Mbulu – Normalizo
- The Congos – Congoman
- Yves Simon – Raconte-Toi
- Timmy Thomas – Why Can’t we live together
- Mamman Sani – Ya Bismallah
- Roza Terenzi – Jungle in the city
- Mariah – Shinzo No Tobira
- Captain Mosez – Hey! Hey! Hey! (Dub Version)
- Francis Bebey – Sanza Nocturne
Nun ist der Begriff „Liebe“ in den vergangenen 18 Monaten nochmals wichtiger geworden. Liebe hält uns am Leben. Die notwenige Isolation und das ebenso benötigte Zusammensein mal beiseite: Was bedeutet Liebe für dich?
Liebe ist natürlich auch für mich ein ganz besonderes Gefühl. Ohne meine Familie hätte ich nicht gewusst, wie ich die Pandemie durchstehen soll. Liebe hat mich am Leben erhalten.
Bis zum heutigen Tag und bis zum aktuellen Album hast du dich immer als extrem offener Musiker präsentiert. Wie bist du aufgewachsen? Mit welchen Arten von Musik? Und wo? Und wann?
Ich komme aus einer Kleinstadt, ungefähr eine Stunde südlich von Kopenhagen gelegen. Als ich fünf war, lernte meine Mutter meinen Stiefvater kennen. Er brachte die Musik in mein Leben. Er war Jazz-Fan, in einem Club engagiert, wo er auch die Bands buchte. Ich war schon damals bei Konzerten und auf Festival dabei. Zu Hause lief immer Musik – auch laut. Mit zehn Jahren fing ich an, Platten zu sammeln – zuerst Soundtracks. Mein erster war „Beverly Hills Cop“ von Harold Faltermeyer. Als Teenager drehte sich bei mir dann alles um HipHop. Die Goldene Ära von 1988 bis 1992 war meine Zeit. 1988 sah ich Public Enemy auf ihrer „Fear Of A Black Planet“-Tour. Ich war zwölf. Ab 1995 bin ich dann jedes Jahr zum Roskilde-Festival gefahren. Ich mache das bis heute, wenn es denn mal wieder stattfindet. Dort sah ich 1997 Daft Punk. Zu dieser Zeit hörte ich bereits Drum and Bass, aber auch House Music. Die Performance hat mich umgehauen. Ich ging auf die ersten Raves, und gemeinsam mit einem Freund fing ich an Musik zu machen. Ganz oldschool. Mit einem Atari und einem Sampler. 1998 oder 1999 bekamen wir einen Plattenvertrag.
Wie sah die Musikszene damals in Kopenhagen aus?
Als ich mit dem Produzieren anfing, gab es nur wenige Clubs oder Partys mit elektronischer Musik. Im Underground ging was, ja. Aber sonst? Fehlanzeige. Das änderte sich während der Nullerjahre. Ich erinnere noch sehr genau, als die „Respect Is Burning“-Partys aus Paris nach Kopenhagen kamen. Sie fanden im „Vega“ statt und haben einiges bewegt. Ende des Jahrzehnts wurde ich Resident im „Vega“. Für mich war die prägende Zeit. Immer mehr Clubs und Bars buchten DJs, die Techno und House spielten.
Woher kommt dein Interesse an der elektronischen Musik? Bzw. – siehe oben – deine Liebe für diesen Sound?
Vom Platten hören! Daft Punks „Homework“ aus dem Jahr 1996 zum Beispiel. Und DJs zuhören, auf Festivals gehen. Das hat für mich eine vollkommen neue Welt aufgemacht. Gerade die Festivals waren wichtig. Das habe ich gemerkt, als ich dort selbst spielen durfte, als Live-Act oder DJ.
Kommen wir zu deinem aktuellen Album. „Sprinkles“ ist auf eine ganz bestimmte Art und Weise ein „einfaches“ Album. Die Arrangements sind leichtfüßig, die Melodien in den Ohren alter Häsinnen und Hasen „naiv“. Sprechen wir über den kreativen Prozess. Ich bin da durchaus neugierig, weil du mit „klassischer Techno-Instrumentierung“ einen ganz anderen Weg des Songwritings verfolgst.
Ich könnte das nicht besser beschreiben. „Sprinkles“ dreht sich um diese ganz bestimmte Naivität, Leichtigkeit und Einfachheit. Vielleicht ist das der Pandemie geschuldet, vielleicht aber auch dem „skandinavischen Schmerz“, also der Melancholie Nordeuropas, den ich immer – bewusst oder unbewusst – in meiner Musik abgebildet habe. Ich wollte etwas Positives produzieren, etwas für den Sommer, für eine Zeit, in der es keine Beschränkungen mehr gibt. Ein feel-good-Album. Ich verbrachte viel Zeit mit meiner Freundin und unseren Kindern an der See, und jeden Tag schlief meine kleine Tochter – sie ist gerade mal ein Jahr alt – draußen im Freien. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt wieder angefangen, Club-Musik zu hören. Zu Hause mache ich das eigentlich nie, abseits von Vorbereitungen für Gigs. Aber: Ich vermisste die Energie. Meine schlafende Tochter neben mir, begann ich ganz simple Synth-Melodien aufzunehmen. Das wurde zur Basis von „Sprinkles“. Und zur Routine, die ich über mehrere Monate aufrecht erhielt.
Zurück in Kopenhagen kamen noch einige Sessions mit Tomas Høffding dazu, dem Bassisten von WhoMadeWho. Ich wollte von Beginn an ein zu hundert Prozent instrumentales Album veröffentlichen. Mit einfachen Strukturen, vor allem mit dem Laptop produziert. Und: Die Tracks sollten allesamt vergleichsweise kurz sein. Nicht wirklich für DJs ausproduziert. Für mich sitzt die Platte heute irgendwie und irgendwo zwischen Club und Strand. Das Album ist eine Art musikalisches Tagebuch meiner Zeit in der Pandemie. Auf das Artwork bin ich besonders stolz. Das Werk stammt von dem dänischen Künstler Luca Bjørnsten und heißt so wie das Album: Sprinkles. Dieser leere, fast utopische Garten mit seinen satten Farben symbolisiert die Zeit des Lockdowns für mich. Es war alles sehr surreal.
Luca hat das Artwork für mich noch weiter adaptiert und eine Nacht-Version aus dem Bild gemacht. Das wird das Cover des Remix-Albums „Sprinkles Nite Mixes“. Es erscheint am 12. November, unter anderem mit Mixen von Storken, Phunkadelica, Eden Burns und Roman Flügel.
Ganz naiv gefragt: Was bedeuten Melodien für dich? Sind die eine Art von Türen, die wir aufstoßen müssen? Code für was auch immer? Ich frage, weil: Auch den Dancefloors herrschte in letzter Zeit ein eher raues Klima.
Für mich sind Melodien einfach Emotionen, und ohne die geht es nicht. Ohne sie wird alles langweilig und gleichförmig. Das gilt auf dem Dancefloor wie auch im Leben, um mal den Schmalspur-Poeten auszupacken. Ha! Ja, der harte Techno hat vor der Pandemie ein Comeback gefeiert und ist jetzt auch schon wieder da. Die kurze Zeit im Sommer, in der alle voller Freude Disko spielten, scheint vorbei.
Was hält die Dance-Kultur für uns in der Zukunft bereit?
Ich bin jetzt seit über zwei Jahrzehnten als DJ unterwegs. Ich habe in kleinen Clubs angefangen und mag die noch immer am meisten. Die Line-ups großer Festivals sind natürlich sehr berechenbar. Sie bedienen aber gleichzeitig auch den Geschmack der Leute, die bereit sind, die Tickets zu kaufen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mehr Frauen als Headliner sehe, und hoffe inständig, dass das Geschlechterverhältnis bald wirklich ausgeglichen sein wird. Meine Hoffnung geht natürlich weiter. Ich will Gleichberechtigung und Respekt. Alle, wirklich alle, sollen sich sicher fühlen und Spaß haben können. Darum geht es doch. Ging es immer. Und hoffentlich kommt das auch in der gesamten Branche an.