Filter Tapes 043Festival-Special: Monat der zeitgenössischen Musik
27.8.2021 • Sounds – Text: Ji-Hun Kim, Illustration: BroshudaFür unsere neuste Ausgabe der Filter Tapes haben wir ein Spezial zum Monat der zeitgenössischen Musik, das vom 27.8. bis zum 30.9.2021 in ganz Berlin stattfindet. Die Szene der zeitgenössischen Musik ist derzeit so spannend wie nie und wir sprachen mit der Leiterin Lisa Benjes über Definitionen, öffentliche Räume für Kunst und Grenzen, die man braucht, aber immer hinterfragt werden sollten.
Tracklist
- 01 JENSEITS DER WAND/Fromberg & Roigk – Blätter auf Karton
- 02 Microtub – The Pederson Concerto
- 03 Maximilian Marcoll – Amproprification - Agnus Dei (Excerpt)
- 04 Liz Allbee – Walls and Windows
- 05 Annesley Black – Humans in Motion
- 06 Sonar Quartett – Magma (Outtake)
- 07 Christina Ertl Shirley – Pressing Buttons
- 08 Lange//Berweck//Lorenz – Ausleben
- 09 Raed Yassin – Imama of Dawn
- 10 LUX:NM – Stadtgeflüster
- 11 Tommy Adachi – NUa Hbf (Outtake aus App)
- 12 Laure Boer – Torpor Tintin
Vielen Dank für euer schönes Filter Tape. Erzähl uns ein bisschen über die Idee und die Musik.
Das war eine Koproduktion. Ich habe die Musik mit ausgesucht und mit den Künstler:innen abgesprochen. Fillipp Vingerhoets aka Vamilienfa†er hat das dramaturgisch aufgearbeitet und das Tape aufgenommen. Wir überlegten, was den Monat der zeitgenössischen Musik in seiner Vielfalt widerspiegelt. In der Berliner zeitgenössischen Musik gibt es viele Szenen, die sich alle miteinander befruchten. Es gibt die Echtzeitmusik, Improvisation, komponierte Musik,Musiktheater bzw. performative Ansätze und die Klangkunst. Am Anfang des Tapes gibt es eher Klangkunst. Beim ersten Stück von Daniela Fromberg & Stefan Roigk hört man ein Kratzen und Rauschen. Es handelt sich um einen Auszug aus der Arbeit, die auch bei uns aufgeführt wird. Hier werden Kartons aufgebaut, in die man sich reinsetzen kann und auf den Kartons werden Geräusche produziert. In der Dunkelheit und Isolation kann man sich dem Klang widmen. Die Klangkunstszene in Berlin ist groß. Stefan Roigk erzählte mir mal, dass er einer der ersten sei, die „Klangkunst“ richtig studiert haben. Den Begriff gab es lange nicht. Klangkunst hat sich seit den 60er Jahren als künstlerisches Phänomen zwischen bildender Kunst, Medienkunst und Musik ausgeprägt, ohne dass es den Begriff dafür gab. Der hat sich erst in den 90er Jahren fokussiert. Klangkunst, Sound Art, L‘Art Sonore, auch wenn die nicht synonym benutzt werden, spiegeln eine Perspektive wider, in der Visuelles mit Akustischem vereint wird. Das zweite Stück ist von Microtub, dem Trio von Robin Hayward, ein mikrotonales Tuba-Ensemble. Die sind eher Teil der Echtzeitmusikszene. Eine sehr berlinspezifische Szene, die Improvisation, Neue Musik, Pop und Noise und viele andere angrenzende Bereiche vereint und einen ganz eigenen Werkbegriff hat. Eine lebhafte und sich immer wandelnde Szene. Es war uns aber auch wichtig, dass komponierte Musik dabei ist. Viele Werke in dem Tape sind Arbeiten, die es bei unserem Sound Walk Berlin zu hören gibt. Ein Projekt, das den Monat der zeitgenössischen Musik begleitet und bei dem sich Künstler:innen verschiedene Orte in Berlin ausgesucht haben, um diese mit Musik zu bespielen. Passt die Musik zu dem Ort oder gibt es klangliche Verbindungen zu dem Ort oder sieht man den Ort durch die Musik anders? Da beeinflussen sich die beiden Wahrnehmungsebenen.
Ich fand den Mix spannend, gerade weil zeitgenössische Musik eher selten im DJ-Mix-Kontext auftaucht und trotzdem gut funktioniert. Was ist überhaupt zeitgenössische Musik?
Da kann man sich drüber streiten, was ich aber sinnlos finde. Beim vorletzten Mal hatten wir den Fokus auf Klangkunst, und dabei ging es uns nicht darum, zu fragen: Was ist Klangkunst? Sondern, wer ist Klangkunst? Ich sehe das bei der zeitgenössischen Musik genauso. Ich hatte vorhin die Kategorien aufgezählt. Aber die Frage gibt es bei der Neuen Musik auch. Wann beginnt die eigentlich?
Ihr macht nicht nur das Festival, es gibt die Initiative Neue Musik (INM) und euer Medium Field Notes. Seit wann gibt es das alles und was passiert da genau?
Die INM ist die Interessenvertretung für zeitgenössische Musik in Berlin. Ein bisschen wie die Clubcommission oder die IG Jazz. Wir sind kulturpolitisch aktiv, wie auch in der Förderung. Wir sind der einzige Verein, in der die Fördergelder direkt von der Senatsverwaltung weitergegeben werden. Das ist spannend, weil wir basisdemokratisch organisiert sind. Die Mitglieder der INM wählen den Vorstand, und die Mitgliedschaft wählt auch die Jury. Die Jury wiederum wählt die Projekte aus. Die Szene ist hier selber in der Verantwortung, ihre eigene Jury zu wählen und kann so selbst bestimmen, wer quasi über sie bestimmt. Das ist weltweit ein relativ einzigartiges Modell. Seit 30 Jahren funktioniert das sehr verantwortungsvoll. Die INM hat seit 2016 das Projekt Field Notes. Das betreue ich von Anfang an. Es ist ein Programm zur Sichtbarkeit und zur Professionalisierung der ganzen Szene. In dem Magazin werden alle Veranstaltung zur zeitgenössischen Musik in der Stadt versammelt. Die Szene ist ja so flüchtig. Das macht sie aus. Es gibt hier keine Premiere zu Saisonbeginn und dann läuft das über Monate durch. Es gibt meistens ein Konzert, dann ist das gleich wieder vorbei. Man hangelt sich von Projekt zu Projekt. Dafür ist ein Magazin wie Field Notes wichtig. Der Monat der zeitgenössischen Musik ist eine Form von Festival, in dem sich die selbstbestimmte Szene vorstellt und dabei definiert, wie sie sich präsentiert. Es gibt keine Kuratoren, die bestimmen, was passiert. Niemand bestimmt, was gute Kunst und was nicht. Im Gegenteil. Wir sind das ganze Jahr im Austausch und die Künstler:innen entscheiden, was passiert. Wir bauen eher eine Dramaturgie bzw. eine Erzählung drumherum und sorgen für die Aufbereitung.
Wie bist du selber zu dem Sujet gekommen? Es gibt unterschiedliche Zugänge zu dem Thema.
In der Tat. Ich habe selber zwar viel musiziert, aber nie professionell. Ich habe aber bald in den zeitgenössischen Künsten gearbeitet – Tanz und Performing Arts. Danach bin ich zur Musik gekommen. Bei der Musik ist es erstmal so, dass man oft im Popsektor unterwegs ist, aber sobald etwas experimenteller wird, landet man schnell in der Klassik, was aber wiederum ein musealer Bereich ist. Wann hört die Klassik eigentlich auf? Oft wird zeitgenössische Musik in ein klassisches Programm gequetscht. Sonst kommt man aber damit eigentlich gar nicht Kontakt.
Die Grabenkämpfe sind alt. Was ist E und was ist U? Wofür braucht es eine Partitur und wofür nicht? Wann wird Klassik zu Pop und umgekehrt? Beim Hören des Tapes fiel mir schwer zu sagen, dass ist jetzt Neue Musik oder vielleicht sogar elektronische Popmusik. Es gibt viele Künstler:innen, die sich genau an den Schnittstellen bewegen. Ich denke an Phillip Sollmann oder Holly Herndon. Kürzlich sprach ich mit Boram Lie vom Solistenensemble Kaleidoskop, auch dort ist die Einordnung in Fördersysteme eine ständige Frage. Wie siehst du die derzeitige Situation, wie positioniert ihr euch?
Das freut mich, dass es dir beim Hören des Tapes so ging. Es war ein bisschen auch Intention, dass man es nicht direkt hört. Dass die Unterscheidungen eben nicht in der Kunst liegen, denn sie werden oft erst später konstruiert. Sie werden dann erst wichtig, wenn es um GEMA oder andere administrative Grenzen geht. Bei der INM versuchen wir offen zu sein.Wir haben immer versucht, die Jury divers von den Richtungen her zu besetzen, damit die Bereiche auch untereinander abgedeckt sind. Das unterscheidet sich in den jeweiligen Konstellationen, wo die Grenzbereiche sind. Ich finde aber die Arbeit von Jurys wichtig. Kürzlich war ich in Wien auf einem Podiumsgespräch, weil sie auch in Österreich überlegen, basisdemokratische Fördermittelvergaben wie bei der INM aufzubauen. In Wien gibt es derzeit einen großen Topf für Kultur. Der beinhaltet die großen Häuser, die freie Szene und alle Genres und Sparten. Das bedeutet, dass die größeren Lobbys mehr abgekommen. Oder je nach Besetzung der Vergabestelle im Senat, die Förderungen sehr unterschiedlich ausfallen können. Das birgt Probleme und funktioniert auch nur bedingt. Eigentlich ist es gut, bestimmte Bereiche abzugrenzen, dass es bestimmte Fördersätze für bestimmte Kunstsparten gibt, die nicht angetastet werden können. Ich wünsche mir eine gerechte Verteilung. Kulturpolitisch ist es für die freie Szene schwierig, langfristig zu planen. Viele hangeln sich von Projekt zu Projekt. Wenn die Grenzen der einzelnen Töpfe zu unklar sind, wissen auch Antragsteller:innen nicht, wo sie welche Gelder beantragen können. Wenn man aber weiß, dass man bei einer bestimmten Art des Projekts sich bspw. direkt an die INM wenden kann, dann aber auch weiß, dass die Chancen hoch sind, dass gefördert wird, dann kann das hilfreich sein. Grenzen können existieren und praktikabel sein, so lange man sie auch hinterfragt.
„Das Gute an der Szene ist, dass es eben nicht diesen einen Ort gibt. Sie ist eigenartig ortlos.“
Ich stelle mir die Frage, wie sich Kulturförderung generell abzubilden hat. Das betrifft gerade die Popkultur, die bislang relativ wenig gefördert wird, hier überlasst man das Gros den Prinzipien der freien Wirtschaft. Bei Festivals wie Pop-Kultur Berlin sehen wir, dass Steuergelder genutzt werden, Popthemen und ihre Diskurse zu fördern und unterstützen, und gerade nach dem letzten Jahr ist das vielleicht wichtiger denn je geworden.
Ich bin auch in der Förderung des Musikfonds und wir suchen händeringend nach experimenteller Popmusik, die eben nicht den Anspruch haben muss, wirtschaftsfähig zu sein. Daneben gibt es z.B. die Initiative Musik oder das Musicboard und ich finde es wichtig, dass man gerade in den Bereichen Fördermöglichkeiten hat.
Womit sich die Distinktionen ja eigentlich aufgelöst haben. Das Berghain ist mittlerweile auch eine Kulturinstitution. Dennoch fällt es vielen noch schwer, Musik als großes Ganzes zu sehen. Das gilt auch für viele Künstler:innen. Mache ich einfach ein Album und nehme es auf, oder muss ich dafür vorher Anträge schreiben? Aber zurück zur zeitgenössischen Musik. Wo finden diese Szenen statt?
Dafür sollte man sich zuerst unser Heft abonnieren. (lacht) Dann gibt es natürlich einschlägige Orte, die wichtig sind und szenenübergreifend arbeiten. Für die Echtzeitmusik ist das ausland ein wichtiger Ort. Das Radialsystem ist für komponierte Musik und Performance ein wichtiger Partner. Wichtig sind aber auch die kleineren Orte wie das Sowieso, KM28 oder Petersburg Art Space (PAS), die immer wieder neues Programm bringen und sehr verlässlich sind, und man sicher sein kann, dass sie gut kuratiert sind. Das Gute an der Szene ist, dass es eben nicht diesen einen Ort gibt. Sie ist eigenartig ortlos. Abgesehen davon findet zeitgenössische Musik findet ja auch in der Philharmonie oder im Pierre-Boulez-Saal statt.
Was erwartet uns bei dem kommenden Monat der zeitgenössischen Musik? Es gibt den erwähnten Sound Walk und viele andere Veranstaltung. Gibt es ein übergreifendes Thema?
Beim Sound Walk Berlin findet man in der ganzen Stadt Spots, die mit Sounds interagieren, die über unsere Karte abgerufen werden können. Weil sich alle so wahnsinnig engagiert haben, ist es toll zu sehen, welche Ideen da zustande gekommen sind. Die Kreativität der Szene ist hier wunderbar abgebildet.
Welche Ideen haben dich besonders begeistert?
Raed Yassin hat eine tolle Arbeit geschaffen. An zwei Spreeuferseiten in Friedrichshain und Kreuzberg hat er die Arbeiten „Imama of Dawn“ und „Imama of Dusk“ installiert. Das sind zwei Werke, die auf seinem Album „Archeophony“ zu finden sind und diese Erfahrung funktioniert wie ein Echo zwischen Westen und Osten. Oder die Arbeit von Kirsten Reese und David Wagner über die Geschichte des Rosenthaler Platz. Insgesamt wird es über 150 Spots geben. Wie bei „4:33“ geht es bei vielen Arbeiten, den sogenannten Ear Spots, darum, dass die Umgebung auch Sound ist. Orte, die einen besonderen Klang haben.
Wie habt ihr den Monat dramaturgisch gestaltet?
Das Thema ist „Stadt und Musik“. Auch weil es in den Monaten der Pandemie ein so bedeutsames Thema war, wie man mit öffentlichen Räumen umgeht. Dass es nicht nur ins Digitale geht. Nicht, dass keine spannenden digitalen Formate entstanden wären. Wir aber wollen den Stadtraum anders nutzen. Das zieht sich durch den ganzen Monat.
Kultur im öffentlichen Raum war auch in der Kunstwelt ein wichtiges Thema im vergangenen Jahr. Was habt ihr aus der Auseinandersetzung gelernt?
Die Szene war schon immer offen, für neue Formate. Viele haben sich aber mit installativeren Formen von Konzerten auseinandergesetzt. Viele Aspekte, die jenseits der klassischen Frontalbestuhlung funktionieren, wurden entdeckt. Das spiegelt sich im Programm wider. Viele Konzerte, die außen stattfinden, dass man wie Sound Walk Kunst zu Fuß oder auf dem Fahrrad entdeckt, aber auch viele Konzerte haben installativen Charakter. Solche Konzepte haben verstärkt Einzug gehalten und ich kann mir gut vorstellen, dass dies auch bleiben wird.
Weitere Infos:
Monat der zeitgenössischen Musik
Sound Walk