Nikita Zabelin ist einer der umtriebigsten Protagonisten der Moskauer Elektronik-/und Club-Szene. Als DJ, Produzent, Radioshow-Host/Labelbetreiber von Resonance Moscow und Macher hinter unzähligen anderen Projekten ist er jemand, bei dem in einem politisch teils komplizierten Land wie Russland einige wichtige Fäden der Subkultur zusammenlaufen. Techno, Rap und Pop haben in Russland nicht erst seit Pussy Riot subversives Potential. Szenen stellen sich anders auf als im teils verwöhnten Westen. Wir sprachen mit Nikita über sein Filter Tape, das aus ausschließlich russischem und großteils unveröffentlichtem Material besteht. Über politische Digitalisierungen, Probleme mit der Polizei und welche Rolle Musik in dem Kontext wirklich spielt.
Tracklist
- Lovozero - Chervi / self released
- Beennooutside - Na Izmene / Resonance Moscow
- Werfol - Star Dust / Resonance Moscow
- Uasmu Nasser - Funny Fella / Resonance Moscow
- fl33wrtp & cartoonman - Delirium (Live) / Resonance Moscow
- Werfol - Background Of Underground / Resonance Moscow
- Digital Moss - Search / Resonance Moscow
- LOOKOUT1987 - BBBBBMMMMM / Resonance Moscow
- zavet - Gorilla / Unreleased
- Egor Sukharev - Now / Resonance Moscow
- Moa Pillar - TRE / self released
- Uasmi Nasser - Faux Jeton / Resonance Moscow
- Driada - Hectic Path / Unreleased
- NIkita Zabelin - Pheno'laX / Resonance Moscow
- Sasha Belyaeva - Are (Nikita Zabelin edit) / self released
- Nikita Zabelin - Hori_Z0n>___ / Resonance Moscow
Erzähl uns ein bisschen was über dein Filter Tape.
Die Idee war zunächst, verschiedene Genres zusammen zu bringen. Ich wollte neue experimentelle Ansätze, aber auch poppigere Sounds kompilieren. Ambient, gebrochene, dekonstruierte Klänge. Es sollte unerwartet sein. Es gibt einen Club-Bezug, dennoch sollte es neu wirken und auch jenseits des Clubs funktionieren. Dann kommt hinzu, dass alle Artists aus Russland stammen. Eine Sache, die ich schon lange verfolge. Ich produziere eine Podcast-Reihe, in der russische Künstlerinnen und Künstler eine zentrale Rolle spielen. Und ich wollte niemanden damit langweilen, eine Best-of-Compilation meiner liebsten Dancefloor-Tracks hinzuknallen. Mein Mix besteht nahezu vollständig aus nicht veröffentlichter russischer elektronischer Musik. Viel Input bekomme ich durch meine Radioshow Resonance Moscow, eine wöchentliche Sendung, die neue Gesichter aus Russland präsentiert. Über unsere Webseite kann man mir Demos und Produktionen zuschicken. Da sind natürlich immer wieder tolle Sachen dabei. Der Radiosender hat sich für die russische Szene gut etabliert.
Wie ist die Szene in Moskau aufgestellt?
Was ich an der modernen elektronischen Szene in Russland mag ist, dass wir erstmal überhaupt eine Szene etablieren konnten. Auch wenn es weltweit oder auch im Westen nicht so angekommen ist, wächst es hier ständig und ist sehr vital. Selbst ich kenne heute immer weniger Leute, die aktiv mitmachen – das spricht für die wachsende Vielfalt. Jeden Monat entdecke ich neue Leute mit coolem Zeug und guter Musik. Zwar habe ich ein Stück weit für die Entwicklung mit gesorgt, mich freut es aber, dass mittlerweile Dinge von sich aus entstehen. In fünf Jahren haben wir 300 junge neue Künstler*innen gefeaturet. Da wurde etwas losgetreten. Es tun sich viele interessante Perspektiven auf. Auch wie man mit der Geschichte des Landes umgeht, wie man daraus eine künstlerische Vision entwickelt, spielt eine Rolle.
Das klingt alles sehr dynamisch.
Natürlich sind viele Einflüsse aus dem Westen da. HipHop und Techno spielen auch bei uns eine Rolle.
Aber nachdem, was ich die letzte Zeit aus Russland gehört habe, muss ich sagen, dass ich in der Musik eine ganz andere Dringlichkeit spüre. Das ist alles viel existentialistischer und ziemlich aussagekräftig.
Absolut! Wobei es mir schwerfällt zu sagen, was genau die Unterschiede sind. Für Außenstehende sind die Kommunikationscodes von uns fast einfacher ausfindig zu machen. Ich befinde mich vielleicht auch zu nah an dem Thema dran. In jedem Podcast, den ich mache, gibt es neue unentdeckte Sachen. Eine offensichtliche Gemeinsamkeit ist aber das Mystizistische. Die Sounds sind oft neblig mit endlosen Landschaften, es ist oft sehr atmosphärisch. Manchmal entkoppelt oder auch verloren. Diese Energie spüre ich in vielen Produktionen. Die Präsenz von etwas, das man nicht sofort in Worte fassen kann – aber so etwas ist vorhanden. Es gibt sonst viele neue Labels und Venues, es macht regelmäßig etwas Neues auf. Die Crowd ist supercool. Es herrscht reges Interesse – auch in vielen anderen Gegenden außerhalb Moskaus.
Wie ging es mit dem „Hype“ los?
Die Krise in der Ukraine hat viel bewegt. Da ging vieles Hand in Hand. Mit den Sanktionen auf Russland kam ein neuer Fokus. Statt DJs aus dem Ausland wurden so vermehrt welche aus Russland gebucht. So etwas gab es zuvor nicht. Und langsam haben die Leute auch verstanden, dass es eigentlich ganz cool ist. Heute wird das auch gar nicht mehr hinterfragt. Elektronische Sounds aus Russland sind fester Bestandteil hiesiger Clubkultur. Wenn man heute eine Party macht, dann sollte man sogar unbedingt paar russische Artists dabei haben, weil die ihre Communitys mitbringen. Leute wie Ben Klock und Marcel Dettmann füllen hier natürlich auch so Clubs.
Welche Artists sollte man auf dem Schirm haben?
Wenn es um HipHop geht, finde ich zavet sehr spannend. Ein sehr talentierter junger Künstler. Er hat zwei Alben veröffentlicht, aber das dürfte erst der Anfang sein. Ich finde, das geht eher in Richtung Industrial-Rap. Es ist strange, durch Pop beeinflusst und hat viele harte Industrial-Elemente. Das finde ich toll. Dann gibt es Shadowax aka Ishome, die kürzlich erst auf трип releast hat, die finde ich auch sehr interessant. Sie ist eine meiner besten Freundinnen und ich muss sagen, dass sie für mich eine der besten elektronischen Artists aus ganz Russland ist. Da mache ich mich auch gerne angreifbar, aber Ishome/Shadowax ist die Beste!
Du bist aber auch mit eigenen Projekten am Start.
Genau. Letztes Jahr im November habe ich mein Album Rhizome veröffentlicht. Da verfolge ich ein größeres Konzept und möchte da auch noch eine Menge weiterführen. Zurzeit ist der Mutabor Club wichtig, das ist eine große Location und zählt für mich zu den weltweit besten und coolsten Clubs im Moment. Von der großen Konzerthalle bis zum kleinen Dancefloor kann man alles finden. Es gibt einen großen offenen Garten. Das ist wirklich durchdacht und könnte der russischen elektronischen Musik weiterhelfen. Endlich gibt es den Ort, um auch mal größere Sachen zu entwickeln.
Wie sieht die politische Situation in Russland bezüglich eurer Communitys aus? Ich habe kürzlich eine Doku über russischen Rap gesehen und dort war durchaus die Rede von politischer Einflussnahme.
Da muss ich Ic3peak nennen, ein Duo, das echt interessante Sounds hat. Sehr bassig, modern. Sie haben schon viele Probleme bekommen. Konzerte wurden von der Polizei gecancelt. Obwohl sie eine russlandweite Tournee geplant hatten, mussten viele Konzerte abgesagt werden, weil die Polizei vor Ort intervenierte. Das war ein großes Thema, selbst Putin äußerte sich dazu. Es gibt den Konflikt zwischen jungen Künstler*innen und der Politik. Die Aggression geht aber von der Polizei und der Politik aus. In meiner Meinung ist das die falsche Handhabe. Ich wünsche mir eher, die Politik würde den jungen Menschen ein Ohr schenken und zuhören, was sie zu sagen haben und warum. Stattdessen wird sanktioniert und unterdrückt. Das sagt aber auch viel über deren kulturellen Horizont aus. Man will Verhaltens- und Ausdrucksweisen von jungen Menschen verbannen, einfach dicht machen. Das ist aber nicht klug, weil es auch radikalere Gegenbewegungen provoziert.
Es geht generell um Subkulturen?
Im Land stagniert gerade viel. Putins Regime ist mehr oder weniger am Ende. Auch wenn er noch im Amt ist, habe ich das Gefühl, dass viele im Land, auch seine einstigen Unterstützer, das spüren – auch durch die kulturelle Stagnation. Es hat sich im Land die letzten Jahre auch nicht viel bewegt. Das Bedürfnis nach Wechsel ist da. Viele Kids werden offener und lassen sich den Mund nicht mehr verbieten. Man hat schon oft versucht, bekannte Stars wie den Rapper Face stillzulegen, aber das ist natürlich schwieriger als sich die Regierung das vorstellt. Da können noch so viele Gigs von ihm abgesagt werden. Seine Standhaftigkeit und Einsatz muss hier erwähnt werden, auch wenn sein Sound mainstreamiger ist.
Wie geht es weiter?
Die Leute hinterm Mutabor haben es in der politischen Kommunikation ganz gut hinbekommen, sich zu etablieren und in Ruhe gelassen zu werden. Das könnte ein Vorbild für weitere Veranstalter sein.
Es scheint in der Tat eine Menge zu passieren.
Definitiv. Viele Menschen entwickeln ihre Ideen. Subkulturen geben jungen Menschen Möglichkeiten zu protestieren. Sie haben derzeit eine Menge zu sagen und oppositionieren sich zu alten Bildern und Meinungen. Dank des Internets und Streamings wird jungen Kreativen viel ermöglicht. Sie können Geld generieren, ohne klassische Promotionmaßnahmen ergreifen zu müssen. Man muss sich nicht von Universal oder Warner abhängig machen. Ich bin selbst noch aus einer anderen Generation. Aber für die junge Generation ist das Netz eine noch wichtigere Plattform geworden. Man braucht nicht unbedingt Konzertvenues oder Clubs, um seinem künstlerischen Ausdruck Raum zu geben.
Das ist dann die eigentliche Macht der Musik. Es geht um Empowerment.
Im Westen dreht sich viel um Medien und Inszenierungen. Hier sind die Szenen klein, trotz der digitalen Vernetzung wirkt alles menschlich und nahbar. Im Vergleich zu Berlin und London würde ich auch sagen, dass die Szene mehr independent und offener ist.
Wie schätzt du die Situation für die Zukunft ein? Welche Rolle wird Techno spielen?
Das kann ich natürlich nicht sagen. Unser Präsident ist noch immer an der Macht und wer sich große Änderungen wünscht, muss wohl oder übel an diesem Punkt ansetzen. Das ist offensichtlich. Ich erkenne derzeit so etwas wie Stabilität – aber nicht unbedingt im positiven Sinne. Stagnation ertrage ich nicht. Die politischen Entwicklungen im Land werden sich so oder so auf die Szenen in Russland auswirken. Ich kann mir sogar vorstellen, dass die Kunst noch provokativer, aggressiver, politischer und intensiver wird. Russland ist speziell. Menschen, die in den Neunzigern aufgewachsen sind, haben gelernt, ihren Mund nicht aufzumachen. Entweder wird man für so etwas schikaniert oder verprügelt. Wer sich mit der Polizei anlegt, bekommt ein Problem. Häufig pflegen sogar böse Menschen und Kriminelle enge Kontakte zur Polizei. Das ist für mich ein Netzwerk von bösen Menschen. Auch böse Menschen müssen sich zusammentun, um zu überleben. Ich möchte mich von diesen Strukturen fern halten. Ich möchte weiterhin meine Sachen machen und werde notfalls auch das Land verlassen. Mir geht es persönlich nicht so sehr darum, das System subversiv zu stürzen. Ich will Musik machen. Aber heute ist bei uns fast jede Form der Musik politisiert.
Musik und Protest sind auch zwei Sachen, die auf vielerlei Ebenen koexistieren können und nicht per se zusammen gedacht werden müssen.
Das sehe ich auch so. Am Ende geht es um Kontrolle. Auch junge Menschen wollen Kontrolle über ihr eigenes Leben haben. Und dass man für Freiheit kämpft, heißt nicht unbedingt, zu Mistgabel und Waffen zu greifen. Mein Ausdruck sind Klänge und Musik. Ich will mit Resonance eine Plattform schaffen, die anderen Kreativen Räume geben kann. Das unterstütze ich, ich biete Infrastrukturen und gebe den Menschen das Gefühl, dass sie mit ihrer Situation nicht alleine sind. Alle sollen die Möglichkeit haben, etwas Cooles zu schaffen. Das ist meine Form des Protests.