Filter Tapes 034„Wege nach Lichtenberg“ von Johannes Albert

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Für unser neuestes Filter Tape beauftragten wir den Deephouse-Guru und Berliner Label-Betreiber Johannes Albert. Albert beschloss für sein Tape, sich den Inspirationen und Hintergründen seines neuen Albums „Lichtenberg“ zu widmen, das ihn aus einer bislang unerwarteten und unbekannten Perspektive zeigt. Im Interview erzählt er von seinen Einflüssen, über die Geschichte seines Albums und wieso Trotz manchmal auch sehr kreativ sein kann.

Tracklist

  1. Phil Collins – Long Long Way To Go
  2. Exkurs – Fakten
  3. Yello – You Gotta Say Yes To Another Excess
  4. Rheingold – Dreiklangsdimensionen
  5. John Carpenter – Die Klapperschlange
  6. Perel – Alles
  7. Heaven 17 – Let Me Go
  8. The Human League – Being Boiled
  9. Nitzer Ebb – Shame
  10. Robert Görl – Eckhardt’s Party
  11. Lauer feat. Jasnau – Mirrors
  12. Hypnotic Samba – Hypnotic Samba
  13. Kazino – Binary
  14. Wet – That’s The Game
  15. Simply Red – Money’s Too Tight (To Mention)

Hallo Johannes, vielen Dank für dein Filter Tape. Erzähl uns was zu deinem Mix.
Mein neues Album „Lichtenberg“ klingt ja anders als alles, was ich zuvor gemacht habe. Da sind mehr 80er drin, es ist waviger, ich finde es auch düsterer. Einige sagen zwar, das wäre nicht düster, aber vielleicht kann ich auch gar keine richtig düstere Musik machen (lacht). Letztes Jahr erschien das Album von Perel auf DFA. Sie hat viel mit deutschem Gesang gemacht und mich hat das inspiriert. Die Stücke haben alle eine Dimension – wenn mir jemand vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich mal Tracks mit deutschem Gesang gut finden würde, das hätte ich als unwahrscheinlich abgewunken. So hat sich aber die Soundästhetik entwickelt und zu dem Thema wollte ich einen Mix machen.

Handelt es sich um Musik, mit der du aufgewachsen bist?
Ich habe damals das Genesis-Album „We can’t dance“ mitbekommen. Daher der Einstieg mit Phil Collins. Ich finde das hat etwas von New Age. Der letzte Track auf meinem Album ist vielleicht von diesem Phil-Collins-Stück gar nicht so weit weg.

Ich habe deinen Mix gehört und fand das Instrumental von Collins voll sampletauglich für eine moderne Trapnummer.
Ja, mach!

Haha, vielleicht. Ich fand es spannend, wie du das hinbekommen hast. Gerade bei teils offensichtlichen Hits wirkt das alles sehr würdevoll. Man hätte tempomäßig Übergänge mixen können, du hast dich dagegen entschieden. Das ließ sich alles schlüssig an, ohne nach verramschten Seniorenradio zu klingen.
Bei uns war das Radio Charivari. Danke, das freut mich zu hören.

„Ich bin nicht der Typ, der immer nur B-Seiten ausgräbt, die bei Discogs 40 Euro kosten. Bei uns zu Hause werden Hits gehört.“

Da ich die Tracklist zuerst gelesen hatte, wusste ich ja, es kommt Simply Red. Meine Alarmanlage war definitiv scharf geschaltet und plötzlich kommt der Song und ich ertappe mich dabei, dass ich das gut finde. Wie bist du zu diesem Sound gekommen?
Mir wird immer relativ schnell langweilig. Mein erstes Album vor neun Jahren war so ein Piano-Vocal-House-Ding. Dann kamen Labels, die genau das noch mal haben wollten. Da stößt man bei mir auf Granit – ich suche eigentlich immer wieder was anderes. Mal kommt ein Techno-Stück oder ein Disco-Track. Ich würde sagen, der Geschmack wird eher breiter. Ich brauche das für mich, um den Spaß wieder zu finden. Irgendwie ist das diesmal das 80s-Ding geworden. Ich habe lange nach einem Thema gesucht, in der Zwischenzeit habe ich viele Maxis gemacht, irgendwann hat es mit meinem Umzug nach Lichtenberg Klick gemacht. Sobald ich ein Thema habe, geht es eigentlich relativ fix. Das hat zwei bis drei Monate gedauert, da war das im Kasten. Erst sechs Jahre ohne Album und dann so was.

Welche Musik hast du neu kennen gelernt? Nitzer Ebb waren für mich als Kind definitiv zu weit weg. So cool war ich nicht.
„Dreiklangdimensionen“ und Simply Red sind ja schon recht eingängig. Melodien mit Wiedererkennungswert waren mir wichtig. Ich mag dann schon die Hits.

The Human League
Da wäre „Don’t you want me“ die offensichtliche Wahl gewesen, so ist es „Being Boiled“ geworden. Ich bin nicht der Typ, der immer nur B-Seiten ausgräbt, die bei Discogs 40 Euro kosten. Bei uns zu Hause werden Hits gehört.

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Du bist als DJ ja viel unterwegs. Seit ein paar Jahren gibt es den Hype um Selectors, Diggen ist wieder zum Thema geworden. Wie positionierst du dich da?
Mit dem klassischen DJ-Ansatz, dass die Party an allererster Stelle steht. Ich bin überhaupt kein Fan von übertriebenem Diggertum. Man kann dabei gerne immer wieder mal was unterjubeln. DJ Koze hat doch mal vom Trojaner gesprochen. Dass man den Leuten mal was reinfährt, womit die nicht rechnen, aber nicht mit der Brechstange. Manchmal ist es offensichtlich, aber ich lege gerne Talk Talk „It’s my life“ auf.

Das ist auch eine Masche, um den eigenen Marktwert zu erhöhen.
Scheinbar. Ich finde das ein bisschen fraglich, aber offenbar funktioniert das so. Neulich gab es ein interview mit Michael Mayer und der meinte, das sei alles nicht mehr Teil seiner DJ-Kultur. Wenn es nur noch darum geht, die obskursten Platten zu spielen. Mich interessiert dafür neue Musik einfach viel zu sehr. Ich kenne die Kritiker, die dann sagen, das läge doch alles auf der Straße herum, aber es gibt so viel Musik, die jede Woche neu rauskommt.

Ich bekomme das bei den Promo-Diskursen mit. Es gibt ja DJs, die behaupten, per se keine Promos zu spielen. Wenn ich aber daran denke, wie ich früher selbst in Berlin in Plattenläden gegangen bin vor einem Gig und Musik dafür brauchte. Da war auch viel Schrott dabei und den hat man trotzdem gekauft, um neues Zeug zu haben. Ich finde die Situation bei Promos nicht viel anders. Auch hier gibt es viel Müll, die richtigen Perlen muss man wie im Plattenladen finden. Ich sehe jetzt keinen Unterschied, ob ich was bei Fatdrop runterlade oder bei Juno oder Beatport.
Man muss immer Zeit investieren. Umso mehr Zeit man investiert, desto mehr Perlen findet man. Ob man jetzt vier Stunden auf Discogs seine Zeit verbringt oder durch Promo-Ordner stöbert. Wobei ich eigentlich nur WAV-Files oder AIFFs kaufe. Ein bisschen ist das der Anspruch, wobei bei den meisten Anlagen, auf denen ich auflege, das wahrscheinlich keinen Unterschied macht. Wenn ich aber mit Vinyl aufgewachsen bin, dann kostet das doch alles nichts. Ob ich jetzt einen Euro oder zwei für ein File bezahle, um diese sogenannte Industrie damit zu unterstützen, dann soll das so sein und Speicher kosten ja auch nichts mehr. Es macht Sinn auch digital sich mit der neuen Musik vorher auseinanderzusetzen. Da baut sich Vertrauen auf, so kann man die Tracks auch souveräner spielen. Das macht was aus.

Kommen wir nach Lichtenberg. Wie du sagtest, bist du da kürzlich hingezogen, und auf dem Album gibt es einige Referenzen. Aber das war auch ein bisschen Trotz bei dir.
Der Umzug war ja eher ein bisschen unfreiwillig. Nach neun Jahren Neukölln wird man da natürlich heimisch. Lichtenberg hat viel weniger Menschen. Dort ist auch viel weniger los. Ein typisches Wohngebiet. Bei mir gibt es keinen Späti. Das muss man in Berlin auch erstmal finden. Auf dem Album gibt es einen Song „Don Xuang“, es gibt das gleichnamige riesige vietnamesische Einkaufszentrum. Das ist ein besonderer Ort. Die Werbung für die Fahrschule ist dort auf vietnamesisch. Das ist ein eigener Kosmos. Eine gewisse Trotzigkeit baut sich da auf. Vor allem wenn man nach Lichtenberg mangels bezahlbarer Alternativen ziehen muss. Deshalb heißt das Album jetzt so (lacht).

Am Ende trägst du Verantwortung, dass jetzt Lichtenberg auch noch gentrifiziert wird.
Ich habe interessanterweise die Wohnung von Moritz Heppner, der auf meinem Label schon als Monosoul veröffentlicht hat. Moritz kenn ich aus StudiVZ-Zeiten. Da gab es eine Deephouse-Addicts-Gruppe. Ich habe so damals Leute kennengelernt, mit denen ich heute immer noch befreundet bin. Moritz war auch so jemand. Das ist bestimmt 12 Jahre her. Wir haben zusammen auch Musik gemacht. Die Nummer auf dem Album war eher ein Abfallprodukt. Wir haben einen House-Track gemacht. Am Ende auch Quatsch. So ist dieses New-Age-Ding daraus geworden und es hat perfekt gepasst. Er wohnte in Lichtenberg und zieht nun zurück nach Hessen.

Was hast du in Lichtenberg für dich entdeckt.
Ganz ehrlich: Nichts (lacht). Die Wohnung ist ruhig, man kann da super leben. Man hat da einen entspannten Alltag. Als Wohngegend ist das prima. Das ist wie früher, da ist man auch in die „Stadt“ gefahren. Ich komme aus der Kleinstadt, da war das nicht viel anders. Alles gut.

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Unterwegs in Lichtenberg

Du bist Resident in der Renate und hast auch dein Studio dort.
Am Wochenende rumpelt es im Studio ganz schön.

Wie ist das mit der Renate und deiner Residency zustande gekommen?
Über Marc FM. Er feierte dort seinen 30. Geburtstag, wenn ich mich recht erinnere, und ich habe aufgelegt. Ich bin reingekommen und Jan – der Booker – kannte mein Label Frank Music und hat mich sofort gedrückt. Dabei gab es gerade mal zwei Platten. Da war mir klar, da gibt es jemanden, der sich offenbar mit der Musik auseinandergesetzt hat und das auch noch gut fand. Ich habe dort immer wieder mal gespielt. Vor ein, zwei Jahren wurde ich gefragt, ob ich da eine Residency haben wollte, und seit diesem Jahr spiele ich in Berlin tatsächlich nur noch da.

„Ich habe fast das Gefühl, dass ich es umso weniger verstehe, desto länger ich das mache.“

Du hast dich erst vor kurzem wieder dazu entschieden, nur noch Musik zu machen. Davor hast du bei Start-ups im Bereich Online-Marketing gearbeitet. Wie wichtig ist da so eine Residency, gerade auch wenn es darum geht, monatlich seine Miete zu zahlen.
Wenn die Miete über die Residency in der eigenen Stadt halbwegs sicher ist, dann ist das Gold wert. Ich bin ja mit Residents aufgewachsen. Im Airport Würzburg hat Ralf Gum jeden Freitag das Warm-up gemacht und wir sind da regelmäßig hingepilgert, nur um ihn spielen zu hören. Der hat den Abend mit seiner Musik geprägt und so Hits geschaffen. Ich erinnere mich an „It’s Yours“ von John Cutler. Ralf hat den Track immer wieder gespielt, und irgendwann kannte den Song die ganze Stadt. Residencies sind für mich daher eine große Nummer. Dieser Vibe und Thrill sind immer noch da. Das ist doch Beste, was einem DJ heutzutage passieren kann. Nicht, dass das Reisen jetzt ein Problem wäre. Aber in der eigenen Stadt einen eigenen Abend zu haben …

Du machst zudem bekanntlich fleißig in Labels.
Acht Jahre Frank Music, zwei Jahre Fine Music zusammen mit Tilman. Dann gab es ein Disco-Label und dazu noch das Acid-Label HNS-X – das ist divers.

Das Business hat sich zuletzt extrem gewandelt. Wie lässt sich das bei dir an?
Wir haben mit Frank Music am Ende nicht so viele Platten verkauft. In der Regel pro Release noch 300. Mal gibt es eine Repress, aber es bleiben auch mal 300 liegen. Ich habe kürzlich mit Gerd Janson gesprochen. Es ging um Club-Platten und er meinte: Die Nummern, die um halb vier die Bude abreißen, die verkauft man nicht mehr auf Vinyl. Das sind heute vielleicht 100, 200 Stück. Er macht mit Running Back bestimmt immer noch mehr Absatz. Aber das ist generell enorm zurückgegangen. Die großen Primetime-Club-Hits spielen digital vielleicht noch eine Rolle. Ich habe fast das Gefühl, dass ich es umso weniger verstehe, desto länger ich das mache. Ich komme aus einer Welt, in der man eine Club-Platte macht, die man selber auch immer wieder spielt. Die Leute flippen aus, das ist ja auch die Intention so einer Club-Nummer. Aber wenn ich mir die Vinyl-Zahlen angucke, dann fragt man sich schon, was da eigentlich falsch läuft.

Du hattest zuletzt mit „Fountain of Youth“ genau so einen Hit. Dixon, Âme und viele andere große Festival-DJs haben den Track gespielt und somit geadelt. Ich habe indessen von bekannten Berliner Plattenläden gehört, dass sich heuer Tapes fast besser als Platten verkaufen.
Das ist doch verrückt.

Plattenläden hatten ja lange Zeit auch immer was Elitäres, da musste man sich erstmal hintanstellen und natürlich haben bekannte DJs eher die gute Neuerscheinung bekommen als unsereins. Ich frage deshalb, weil mir nicht mehr ganz klar ist, welche Rolle heute Labels einnehmen müssen. Denn nur um Tonträgerdistribution geht es ja schon lange nicht mehr.
Ich versuche mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen. Es gab Zeiten, da hatte ich eher einen Plan, manchmal weniger. Vor einigen Jahren gab es diese sehr langen Wartezeiten für Vinyl. Ich verstehe sehr gut, dass man gerade bei Club-Musik keine Lust hat, drei Monate auf eine Platte zu warten. Ich habe jetzt diese LP gemacht, es wird auch Remixe geben. Ich glaube jedoch einfach nicht mehr, dass bei Club-Musik, jede Nummer zwangsläufig auf Vinyl herauskommen muss. Es gab Zeiten, da wurde noch die Nase gerümpft. Nach dem Motto, wenn etwas nicht auf Vinyl erscheint, kann es ja nicht gut sein.

Ich verstehe durchaus auch das Kostenargument.
Eine Platte von Omar S kostet heute 14 Euro. Ich kaufe sie mir natürlich immer noch. Wobei das Finanzielle bei mir gar nicht so der Grund ist. Wenn man dreimal irgendwo auflegen musste, wo die Plattentechnik mal wieder gar nicht funktioniert hat, dann bewundere ich die Ausdauer von all denen, die das heute immer noch konsequent machen. Ich persönlich habe da immer noch Bock drauf. Ganz ohne Vinyl geht bei mir einfach nicht. Aber ich merke schon, dass sich Vinyl und Digital im Club nicht im ständigen Wechsel vertragen. Ich kann mir vorstellen, dass die Auflagen noch weiter runtergehen und auch eine Maxi aus Deutschland irgendwann 15 Euro kostet. Ich gebe zu, ich kaufe weniger Platten als früher, diese schätze ich aber umso mehr und diese Leidenschaft wird nie bei mir aufhören.

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johannes albert lichtenberg cover

Für dieses Filter Tape gestaltete unsere Art-Direktorin Susann Massute das Artwork. Die Aufgabe: Während der Zeit des Tape-Hörens ein Bild assoziieren, finden, ausdenken und umsetzen. Auch Mixtapes haben passende Bilder verdient. Vielen Dank, Susann!

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