Filter Tapes 028„Aquanauts“ von DJ Dash
21.12.2017 • Sounds – Interview: Jan-Peter Wulf, Illustration: Johanna GoldmannIm letzten Filter Tape des Jahres 2017 geht es um Drexciya beziehungsweise „Detroit Techno, Aquanauten und die Politik des Dancefloors“. Unter diesem Titel widmete sich Steffen Korthals aka DJ Dash dem Projekt beim Afro-Tech Fest Ende Oktober. Vortrag und DJ-Set zu einem Thema, das die elektronische Musik entscheidend geprägt hat. Und 2017 ob der globalen Lage ganz neue Bedeutung erlangt hat.
Drexciya – James Stinson und Gerald Donald aus Detroit – veröffentlichten von 1992 bis 2002. Gebettet auf fluide Electro-Abstraktionen, stand und steht die Musik von Drexciya aber vor allem für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Alienation von Afro-Amerikanern in ihrem eigenen Land. Was Sun Ra vormachten, wurde von den beiden Produzenten in die technoide Gegenwart übersetzt und weiter gedacht, der Weltraum unter Wasser verlegt. Drexciya ist demnach ein subatlantischer Ort, an dem die Nachfahren schwangerer, von den Sklavenschiffen geworfener Frauen (ein historischer Fakt, sie hatten auf den Sklavenmärkten Amerikas keinen Wert mehr) leben. Die „Drexciyaner“ hatten schon im Mutterleib gelernt, flüssigen Wasserstoff zu atmen. Mit Drexciya entstand eine afrofuturistische Utopie und zugleich ein elektronisches Oeuvre, das bis heute nachhallt und auf das sich viele andere Künstler beziehen. Das Tape, das Steffen Korthals für uns zusammengestellt hat, fasst das komplexe Thema musikalisch kompakt zusammen.
Steffen, wie kamst du, theoretisch als Kulturwissenschaftler und musikalisch als DJ Dash, an das Thema Drexciya und die „Aquanauten“?
Aus DJ-Sicht haben sich Drexciya für mich immer von anderen Electro- und Technoveröffentlichungen der Zeit abgehoben. Der Klang, die Rohheit und Eleganz, aber auch der kluge Witz in den Stücken sind auffällig, die schwere Mixbarkeit der Tunes und der nicht kalkulierbare Effekt auf dem Floor, die genreübergreifenden Sounds sind Herausforderung und Möglichkeit. Die Mythologie drumherum hielt ich in jungen Jahren zunächst für einen Marketingschachzug oder nachträglich intellektualisiertes Brimborium, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Aber Drexciya haben das durchgezogen, bis dass ich sie im Zuge des Detroit-Diskurses um Underground Resistance und weiterer KünstlerInnen mit ähnlicher Haltung als Kulturwissenschaftler einfach ernst nehmen musste. Danach wurde mir der afrofuturistische Kontext des Werkes von Drexciya schnell bewusst, mit dem Wasser statt dem All als Raum der sonischen Fiktion, und in welcher Tradition das Konzept steht, nicht nur in der von Detroit, sondern weit darüber hinausgehend. Meine Vorliebe – neben den geraden Beats – für Bässe und Breakbeats, dubbiges Unter-Wasser-Gefühl, Beatscience und emotionale wie innovative Musik haben sicher auch was dazu beigetragen, dass ich mich mit Drexciya intensiver beschäftigt habe.
Wie erklärst du dir, dass dieser Themenkomplex – du hast es in deinem Vortrag auf dem „Afrotech Fest“ ja verdeutlicht – Künstler bis heute prägt?
Die Produktionskills von Gerald Donald und James Stinson sind sicherlich speziell. Auch ihre Kompromisslosigkeit, sich nicht vereinnahmen lassen zu wollen. Zudem haben sie eine musikalische Wandlung mitgemacht, wie wahrscheinlich viele ihrer HörerInnen auch. Vom wütenden Approach zum inner space, von den KriegerInnen zu WissenschaftlerInnen, von Technobangern über fast schon Drum-and-Bass-artige Stücke bis hin zu Ambient, emotionalem House und arty Zeugs. Was viele ebenfalls bei Drexciya anspricht. ist die Offenheit der Utopie. Mit Schmerz und Dystopie, mit dem Kampf um eigene Identität, mit der Diskrepanz von gesellschaftlicher und künstlerischer Autonomie bei gleichzeitigem Wunsch, gehört zu werden und einen Platz zu finden, können sich kultur- und zeitübergreifend Menschen identifizieren.
Dass Drexciya ihre Utopie vom afro-amerikanischen Bezug aus her öffnen, die Interpretationshoheit eben nicht beanspruchen und dabei nicht belanglos oder austauschbar werden, ist ein Grund dafür, dass sie immer noch beliebt und relevant sind. Die Zwischenstadien und Zwischenwelten, die Isolation und Melancholie, aber auch die Freiheit, wie in den Unterwasserwelten oder Sternensystemen, sind leicht nachvollziehbar, sie breiten sich unaufdringlich und entspannt aus. Das ist lässig, einzigartig und zugleich auch abseits gebräuchlicher Esoterik, da ihre Utopie immer ihren politischen Gehalt behält. Gegen Exotismus arbeitet Wissen, hat mir Diedrich Diederichsen mal in einem Gespräch gesagt. Das greift auch hier, weil der Mythos quasi zum Nachforschen einlädt, Wissen dadurch vermittelt und kulturellen Kontext achtet.
Kulturelle Aneignung.
Diese Diskussion ist in den gesellschaftlichen und finanziellen Verhältnissen von Detroit Techno ein wichtiges Thema, greift bei der Mythologie Drexciyas aber nur bedingt. Diese bietet ja – im Sinne von Electrifying Mojo und Foucaults Gouvernementalität – genau das an: Selbstermächtigung, das demokratisierte Schreiben eigener Identität und Geschichte, das Schaffen von transgressiven Räumen und Orten – siehe Clubkultur –, den kreativen Umgang mit Zeiten und Sounds. Und das Ganze legitimiert für jeden Menschen, gleichwohl aber gespeist aus dem Schrecken des Kapitalismus als eskapistischer wie aber auch revolutionärer Akt der Selbstbestimmung.
Das ist nicht nur mindfuck, denn neben dem politischen, psychologischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Aspekten gibt es dann on top noch den Technologieaspekt gepaart mit hoher Emotionalität und Beat-Wissenschaft inklusive Funk als Kontrapunkt. Das Spielerische am Forschen nach Drexciya und Bauen von Kontexten, geile Musik, Humor und Druck in den Synapsen und Hüften. Das ist mehr als ausreichend für eine Faszination und Relevanz bis heute. Kein Wunder aber, dass Drexciya gerade aktuell wieder ein Thema werden, wo die Clubkultur im interdependenten Verhältnis zur Gesellschaft meist eine dystopische ist. Die Grundlage von Drexciya ist Dystopie, aber sie überführen diese glaubwürdig und komplex genug ins Utopische und Hoffnungsvolle, näher dran eigentlich an House als an Techno, dessen heutiges utopisches Potential meist nicht mehr explizit ausgesprochen wird, sondern als Gegenkultur bestenfalls vorgelebt wird.
2017 ist darüber hinaus das Jahr, in dem viele FörderInnen Geld für interkulturelle Projekte zwischen Afrika und Deutschland gestiftet haben. Da spielt dann auch die Kultur in der Diaspora, wie in Detroit, eine Rolle. Zeitgleich ist der Afrofuturismus im Mainstream längst angekommen, füllt Musikvideos, Stadien und Modekampagnen. Der notwendige Diskurs um kulturelle Aneignung ist in aller Munde. Ausstellungen und Diskussionen von New York über London nach Hamburg und Berlin sind omnipräsent. Wer Drexciya also vorher nicht kannte, die/der hat jetzt eine gute Chance, sich dem Thema zu nähern.
Menschen aus Afrika, die im Meer ertrinken, ist ein leider wieder sehr gegenwärtiges Thema. Der Atlantik ist jetzt das Mittelmeer. Beobachtest du, dass sich junge elektronische Künstler mit diesem Thema auch auseinandersetzen? Filmisch passiert es ja, zum Beispiel in „Drexciya“ von Simon Rittmeyer, der auch in der „Ausstellung Afro-Tech and the Future of Re-Invention“ zu sehen ist.
Leider ist das kaum der Fall. Einer der wenigen KünstlerInnen, die sich speziell des Horrors im Mittelmeer annehmen, ist Lamin Fofana mit seinen Sounds und Tracktiteln. Er ist ein Musikproduzent aus Sierra Leone, der über Guinea und Brooklyn nach Berlin kam, das Electronica- und Techno-Label „Sci-Fi & Fantasy“ und eine Radiosendung bei Berlin Community Radio macht. Bei ihm ist die See, wie auf seiner „Another World EP“, nicht eine Metapher für Distanz, Emotion, Unendlichkeit oder für den black atlantic, den Sklavenhandel, Unterdrückung, Gewalt und Kapitalismus, sondern der aktuelle Schauplatz des Überlebenskampfes von Flüchtlingen, abseits jeder Symbolik. Auf der vergangenen documenta wurde Guillermo Galindos „FluchtZielEuropaHavarieSchallkörper“ als erfahr- und hörbare Auseinandersetzung viel diskutiert.
Ansonsten traut sich kaum jemand an das Thema heran. Man/Frau bleibt lieber allgemein und abstrakt im politisch-künstlerischen Unterbau unterwegs. Auch wenn elektronische Musik als Clubmusik selbstredend immer politisch ist und sich an der Achse von Einschreibung, Widerstand, Verschwendung, Überschreitung, Körper, individueller und kollektiver Identität, Technologie, Drogen, Tanz und Sound aufspannt und dabei auch gegebenenfalls neo-liberalistische Logik und Ausbeutung reproduziert, so sehe ich kaum explizite Formen der Auseinandersetzung mit dem Tod im Mittelmeer in der elektronischen Musik. Wenn diese politisiert, dann meist durch Style, KünstlerInnenpersönlichkeit, Design, Kombinationen von Sounds und Zitaten, durch Reduktion, Provokation oder Überwältigung. Die größte Sichtbarkeit haben aktuell eher Genderthemen oder Fragen an der Schnittstelle von Mensch und Maschine statt tagespolitische Topoi.
Vielen Dank, Steffen.
##Tracklist
Viola Klein, Ndongo Samba Sylla, Kim Sherobbi, Abdoukhadre, Abdou Aziz, Adramé Diop & Family, Whodat – Exchange – Meakusma White Label
Theo Parrish feat. Craig Huckaby – Black Music
Underground Resistance – Amazon (Live)
H&M (Robert Hood & Jeff Mills) – Mutant Theory
Jeff Mills – Signals To Atomic One
The Vision (Robert Hood) – Detroit: One Circle
The Purpose Maker (Jeff Mills) – Black Is The Number
Millsart (Jeff Mills) – Step To Enchantment (Stringent)
Drexciya – Bubble Metropolis
Drexciya – The Countdown Has Begun
Drecxiya – Danger Bay
Drexciya – Aquabahn
Drexciya – Water Walker
Drexciya – Hydro Cubes
Drexciya – Aqua Jujidsu
Drexciya – Black Sea
Drexciya – Drexcyen R.E.S.T. Principle (Research-Experimentation-Science-Technology)
A Number Of Names – Sharevari
Underground Resistance presents Aquanauts – Spawn (Genetic Contimutation Mix)
Carl Craig presents Paperclip People – Throw
Waajeed, Duminie Deporres, Theo Parrish – Warrior Code
Audioboyz – African Conga
Rude Operator – Arrowhead
Sun Ra – I Am An Instrument
Just Anotha Nigga (Moodymann) – Amerika (This Planet's Greatest Thief)
Prequel – Saints – Rhythm Section International