Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Farhot, Still Corners und einer Compilation, die die Werbeclips der Londoner Piratenradios zusammenfasst.
Farhot – Kabul Fire Vol. 2
Benedikt: Mit „Kabul Fire Vol. 2“ hat der Hamburger Farhot schon jetzt eines der besten Beattapes des Jahres vorgelegt. Da würde ich jede Wette eingehen. Man könnte hier Referenzen von Madlib und Dilla, bis hin zu den alten Downtempo-Platten von Bonobo bemühen. Nichts davon wird diesem Album so wirklich gerecht. Denn Parallelen und Produktionsweisen hin oder her, hier steht die afghanische Identität Farhots im musikalischen Zentrum. Farhad Samadzada flüchtete während des sowjetisch-afghanischen Krieges mit seiner Familie nach Hamburg. Auf „Yak Sher“ hört man ein Sample von Ahmad Schah Massoud, Mudschaheddin-Kämpfer und Initiator der Widerstandsbewegung gegen die Taliban. Auf „Sampling Watana“ spricht Künstlerin Moshtari Hilal über das Sampling als eine Möglichkeit die Differenzen zwischen den Identitäten zu zelebrieren, aber eben auch zu collagieren und damit zusammenzubringen. Abseits der wenigen englischsprachigen Feature-Stücke kann ich die Texte der Sample-Schnipsel sprachlich nicht verstehen. Mit Blick auf die persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Migrationsgeschichte, die hier stattfindet, bin ich eh der falsche für diese Review. Trotzdem hat mich diese Platte berührt, wie nur wenige Beattapes es jemals geschafft haben. Und deshalb will ich mit diesen Worten eigentlich nur eines: Die unbedingte Hörempfehlung aussprechen.
Still Corners – Last Exit
Ji-Hun: Wie gerne würde ich mal wieder verreisen. Ein Auto vollpacken und vier Wochen einfach nur gerade aus fahren. Stullen an Raststätten essen, spontan in Pensionen übernachten. Einfach nur geradeaus, bis man vielleicht in Sizilien ankommt und dann wieder zurück. Dabei würde ich ganz bestimmt das Album „Last Exit“ von Still Corners hören. Tessa Murray und Greg Hughs zitieren bewusst Road-Movie-Sand in ihren Songs. Slide-Gitarren, Tremolos, Nancy Sinatra, Chris Isaak und Beach House klingen durch. Das könnte man kitischig und eindimensional konzeptig finden. Aber der Kopf muss ja irgendwo hin und sei es, dass man sich eine vierwöchige Fahrt im Auto einfach nur gerade aus wünscht. Wie gerne würde ich mal wieder verreisen …
London Pirate Radio Adverts 1984-1993, Vol. 1
Thaddi: Liebe Rave-Renter_innen, ich weiß ja, dass viele von euch hier mitlesen. Ich würde euch gerne mitnehmen auf eine kleine Zeitreise, zurück in die 1990er-Jahre. Ihr erinnert euch? Damals, als wir regelmäßig nach London flogen, dort ausgingen und meistens verpeilt über die Markets und durch die Plattenläden zogen, um das zu kaufen, was wir in der Nacht zuvor gehört hatten. Dazu gehörten große Tape-Boxen mit Mitschnitten von DJ-Sets – die Hardcore-Essentials, die großen Momente für unsere kleinen Walkmans. Glück hatte, wer im Billo-Hotel ein Radio hatte – die Piratensender pumpten nonstop den Sound in den Äther, den wir alle so liebten. Diese Sender wurden schnell auch zu einer Art prekärem Geschäftsmodell – irgendwie musste sich der Aufwand ja rechnen, wenn auch nur ansatzweise. Also wurde Werbung verkauft. „The Death Of Rave“ hat nun die besten dieser Werbeclips restauriert und veröffentlicht. Nein, das ist keine Musik. Ja, das sind für viele von uns große Erinnerungen. Denn natürlich war das damals in eben diesen Billo-Hotels mega-abstrakt. Und überall wollte man damals vielleicht auch nicht hin im Moloch London – in welchem Private Hire konnte man schon mit Reiseschecks bezahlen? Eine unfassbar wichtige zeitgeschichtliche Archivierung. Denn: Der Kommerz spielte immer schon eine entscheidende Rolle in der Rave-Kultur. Damals war es naiv, irgendwie süß und dank fehlendem Online-Universum nicht nachverfolgbar. Heute lesen wir den Feed von Businessteshno und bekommen einfach das Kotzen.