Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: FALLE, Jon Hopkins und Haiyti.
FALLE – Expectations
Kristoffer: Eigentlich ein Skandal, dass ich erst nach fünf Jahren als Autor meinen ersten Walkman-Beitrag abliefere, denn: Ich bin hier glaube ich der einzige, der tatsächlich mit einem wirklichen, richtigen, echten Walkman in der Jackentasche seine Spazierrunden dreht. Zuletzt kam da das Ende 2019 veröffentlichte Album „Expectations“ von der Band FALLE rein, eine Überraschungszusendung vom Kollegen Christoph Benkeser. „Mehr Wien findet man nur im Späti am Kotti“, schrieb der dazu und ich verstehe den Witz zwar nicht, bin aber trotzdem dankbar. Denn „Expectations“ ist der ultimative Shortcut zwischen „Seventeen Seconds“, Joy Division und Rülpspunk-Ästhetik. Bierernst, phrasenschweinig, weltschmerzig – wahnsinnig selbstbewusste und aufrichtige Musik also, die mich auf einen Schlag wieder 16 Jahre alt werden lässt. Kurzum, genau das, was ich derzeit brauche. Noch steckt das Tape also im Walkman und dass es zwischendurch auch mal leiert, macht die Sache nur noch schöner.
Jon Hopkins – Piano Versions EP
Thaddi: Ich bin kein ausgemachter Fan von Jon Hopkins – eigentlich eher im Gegenteil. Ich schätze ihn sehr für seine Zusammenarbeit mit King Creosote, sonst ist mir seine Musik auf die irgendwie falsche Art zu glatt. Aber: Der Brite kennt sich aus mit Akustik, Räumen und dem Piano. Das stellt er auf seiner neuen EP „Piano Versions“ erneut beeindruckend unter Beweis. Vier Tracks. Nur vier. Allesamt Cover-Versionen: von Thom Yorke, James Yorkston, Luke Abbott und dem Bruderpaar Eno. Egal, wie die Originale klingen, für Hopkins geht es nur um den Klang des Klaviers und all die Geräusche, die bei ihm zu Hause in das mikrofonierte Instrument huschen. So entsteht eine einerseits sanfte Tonalität, die andererseits aber so perfekt unperfekt daherkommt, dass man sich geradezu live dabei fühlen muss. Wie Jon im Zimmer sitzt und einfach spielt. Und sich nicht daran stört, dass Menschen dabei sind, das Fenster auf ist oder eben sonst etwas passiert, was die Stille beeinflusst. Der Fokus wandert. Es ist 12 Uhr mittags. Das kleine japanische Café gegenüber öffnet, es wird durchgesaugt, bevor die Leute aus dem Kiez ihre Bento-Boxen to go abholen. Die Kids in der Schule nebenan haben große Pause und gehen lautstark auf den Spielplatz. Keine Zoom-Calls heute. Annalena wird Kanzlerin. Und mittendrin – bei offenen Fenstern – legt Hopkins seine Tunes hin. Das Wlan zickt rum, meine HomePods ächzen, bekommen nicht genug Bits. Es könnte alles schlimmer sein. Was für wundervolle Musik.
Haiyti – Mieses Leben
Ji-Hun: Die Künstlerin Haiyti hat seit 2015 bereits zehn Alben und Mixtapes veröffentlicht. So ein Output sucht nicht nur im Deutschrap-Business ihres gleichen. Haiyti hat sich mit brillantem DIY, interdisziplinärem Knowledge und steter Relevanz einen Status aufgebaut, der die meisten Kollegen im Geschäft wie gelangweilte Para-Zählmaschinen wirken lässt. Auch das neue Album „Mieses Leben“ trifft präzise und messerscharf den Zeitgeist. Minimalistische Beats, die oft Sounds aus den komatösen Genres Techno und Clubmusik zitiert, aber ganz enge Räume aufmacht. Hier ist es der intime Headroom, Haiyti croont Punchlines in die Hirnrinde, die so weh tun und kalt ritzen, wie ihre Drogenkater und die alltäglichen Tristesselöcher, von denen wir alle wahrscheinlich zu berichten wissen. Dieses Album ist wie eine kathartische Angsttherapie, für die Künstlerin, aber auch die Hörenden zuhause. Und nicht nur das macht sie zu einer der wichtigsten Artists der Gegenwart. Haiyti ist der King of Rap.