Emo ohne Nostalgie, House ohne Zukunft, Eno in Bonnclaire rousay, Frank & Tony, Brian Eno / Holger Czukay / J. Peter Schwalm – 3 Platten, 3 Meinungen
13.5.2024 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannAuf ihrem neuen Album „sentiment“ schiebt die Musikerin claire rousay die kompositorischen Stühle, die sie in ihrem Emo-Kosmos ohnehin stetig verrückt, in das autogetunte Gewächshaus des klassischen Songwritings. Frank & Tony zünden derweil auf „Ethos“ eine Kerze für DJ Sprinkles an und richten ihr Producer-Brennglas auf ein Sub-Sub-Sub-Genre des Deep House. Und in einem archivarischen Tiefkeller ist die Aufnahme eines Konzerts von Brian Eno, Holger Czukay und J. Peter Schwalm von 1998 aufgetaucht, die „Sushi. Roti. Reibekuchen“ heißt.
Viel zu lange saßen Blumberg, Cornils und Herrmann nicht mehr gemeinsam am runden Tisch der Musikkritik. Da passt „sentiment“, das neue Album von claire rousay, nur zu gut als Opener. Bei der Musikerin geht es eigentlich immer um Emotionen und Stimmungen, vor allem um die dunkle Seite der Gefühle. Was sie bislang jedoch oft mit Field Recordings und sperrigem Sound-Design orchestrierte, strahlt auf ihrem aktuellen Album eher in den klassischen Farben des introvertierten Songwritings. Mit allen klanglichen Brüchen, die wir in unseren modernen Zeiten erwarten dürfen, in rousays Fall einer ordentlichen Portion Autotune und Streicher. Sie nennt es ihr Pop-Album, und ja, das passt. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Album nicht zu still ist für die laute Gegenwart. Mit genau der haben Frank & Tony nicht so viel am Hut. Das Produzenten-Duo baut auf ihrem neuen gemeinsamen Album „Ethos“ der Deep-House-Nostalgie eine mächtige Abschussrampe. Die, die damals dabei waren, sind mächtig beeindruckt. Das gilt bestimmt auch für das gemeinsame Konzert von Brian Eno, Holger Czukay und J. Peter Schwalm, das 1998 vor der Bonner Kunsthalle stattfand. Locker aus der Hüfte improvisiert, ist die historische Aufnahme „Sushi. Roti. Reibekuchen“ ein Dokument aus einer Zeit, in der musikalisch viel im Umbruch war. Was und wie haben diese älteren Männer über diesen Umbruch gejammt? Blumberg, Cornils und Herrmann haben ihre Laptops aufgeklappt und auf den Future Shock gewartet.
claire rousay – sentiment (Thrill Jockey)
Christian: Das Tolle bei claire rousay ist eigentlich, dass sie sich bislang als musikalisch völlig unberechenbar erwiesen hat. Es gibt recht sperrige Musik von ihr aus Geräuschen und Found Sounds, aber auch butterweiche Ambient-Alben. Letztes Jahr hatte sich mit einigen Songs eine Hinwendung zu einem eher klassischen Songwriting bereits angekündigt. Auf diesem Album hier wird das konsequent fortgeführt, mit Autotune auf der Stimme und zum Teil sehr direkten Texten über Sex, Einsamkeit, Schuld und andere existenzielle Gefühle. Weitere Stilmittel auf „sentiment” sind zweistimmiger Gesang, an College-Rock-Balladen erinnernde Gitarren-Lines und ein mächtiger Nullerjahre-Vibe. Ironischerweise erscheint das Album bei einem Label, das diese Dekade musikalisch komplett verschlafen hat. Neu im Rousayverse, das eine Weile mit „Emo Ambient” überschrieben war (und zumindest Emo bleibt auch hier ein großes Stichwort) sind Streicher-Arrangements, die überraschend ausgefeilt ausfallen. Aber bevor wir zu den Eindrücken kommen, frage ich erstmal, wie es euch so damit ging?
Thaddi: Für mich ist das neue Album mein Erstkontakt mit ihrer Musik. Ich bin in der Vorbereitung also zunächst ein wenig durch den Backkatalog gehüpft und habe dabei schnell gemerkt, dass mir die Zeit fehlt, um das alles angemessen würdigen zu können. Mitgenommen habe ich jedoch, dass „sentiment“ – zunächst rein klanglich betrachtet – eigentlich schon eine enorme Hit-Maschine ist. Beim Stichwort Autotune erwartete ich zunächst das Schlimmste, weil ich mit diesem … tja … Stilmittel, innerlich schon lange abgeschlossen habe. Hier jedoch setzt diese Produktionstechnik einen fulminanten Kontrapunkt zur Klangwelt. Einer Klangwelt, die eigentlich gar keiner Lyrics und Vocals bedarf, weil sie für sich und mich genommen schon so schlüssig und rund ist – Stichwort oder wie wir Profis sagen „Anspieltipp“ „iii“. Aber was wären Songs ohne Singsang, und wenn das gute alte VST hier zum Einsatz kommt, dann so be it. Die Idee ist nicht neu, nervt aber deutlich weniger – faktisch gar nicht – als es bei Lambchop manchmal der Fall sein kann. Ich fände es übrigens toll, wenn claire und Kurt einen Briefwechsel beginnen und diesen dann in Buchform veröffentlichen würden. Anyways. Ich bekomme beim Hören dieses Albums ein durch und durch wohliges Gefühl, das meine scheinbar nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelten Assoziationen überstrahlt. Die trockenen Drums erinnern mich an die Weilheimer:innen. Das ist per se ja schon ziemlich abstrus, ich möchte das aber dennoch hier kundtun. Ich denke aber irgendwie auch an einen an Herzschmerz erkrankten Uwe Schmidt, der als Lassigue Bendthaus mal wieder „Pop Artificielle“ macht. Zwischen diesen Polen schippert „sentiment“ durch meine Ohren. Ich mag das wirklich sehr.
Kristoffer: Okay, okay, okay. So viele Referenzen, wo anfangen? Verweise auf Atom™ und The Notwist hätte ich nicht erwartet, ich gehe allerdings mit, irgendwie. Vor allem bei Zweitem. Womit wir gleich die Brücke zu dem geschlagen hätten, was Christian sagte: Nullerjahre. Und auch beim von ihm ebenfalls angesprochenen Thema Emo wären. Das ist eine Konstante in rousays Schaffen, die ja in Math-Rock- und eben Emo-Bands als Drummerin angefangen hat. Ich denke, dass die dritte Welle Emo – ich rede hier von Bands wie The Promise Ring, Mineral und so weiter, meinetwegen sogar Dashboard Confessional – hier eine Referenz darstellt, das Ganze aber komplett unnostalgisch weiterverarbeitet wird, wie auch das Broken-Social-Scene-Zitat in „lover’s spit plays in the background“ auf eine Hörsituation verweist und nichts Mimetisches hat. Was Christian bezüglich eines neuerlichen Drives Richtung Songwriting sagte, würde ich vorsichtig nachkorrigieren: Insbesondere ihre Kollaborationen mit more eaze waren oft schon nah am Pop, wenn auch meistens dessen Hyper-Version, angesiedelt.
Interessant fand ich, von Thaddis Gefühl der Wohligkeit zu erfahren. Das deckt sich mit meiner Sozialisation mit diesem Dritte-Welle-Emo, dessen Stifterfiguren hier über die Bande auftauchen: Damals wie heute, mit rousay macht es mir einen perfiden Spaß, mich in diesen Privatissimi zu versenken. Schwer und dunkel ist dieses Album eigentlich, klingt aber leicht und licht. Der Titel ist in der Hinsicht ein mehrdeutiger: Gefühl kann hier vieles sein, manchmal alles zugleich.
Christian: Wobei die Wohligkeit der Musik von den Texten immer wieder radikal gebrochen wird. Mein Eindruck ist ja, dass wir es hier mit einem perfekten Millennial-Album zu tun haben könnten. Stell dir vor, du hörst Emo, wenn du 13 bist. In deinen frühen Zwanzigern bricht dann der Autotune-Overkill los und nochmal zehn Jahre später weißt du ein feines Streicher-Arrangement zu schätzen. Nun weiß ich gar nicht, wie alt claire rousay ist, aber es könnte ungefähr hinkommen. Und auch für die Texte könnte das Modell passen. Gleich diese Sprachnachricht im Intro: Da geht es ja nicht nur sehr offen um eine Depression, sondern auch darum, wie man sie in Worte fasst und eben medial-künstlerisch damit umgeht. Das haben Künstler:innen dieser Generation vielleicht nicht erfunden, aber doch komplett neu ausgeleuchtet.
Kristoffer: Das ist ein interessanter Gedanke, vielleicht auch in Hinsicht auf die Prozesshaftigkeit, die rousays Musik häufig innewohnt – obwohl wir es hier natürlich mit sehr auskomponierten Songs zu tun haben. Das, was gerne „Emo Ambient“ genannt wurde – sie verkauft tatsächlich mittlerweile Merch mit diesen Worten darauf – lebt ja sehr vom Ephemeren wie eben solchen Sprachnotizen oder sonstigen Nebenbei-Field-Recordings, das heißt, den Sounds der Intimität und der Alltäglichkeiten. Das alles hatte immer etwas Tagebuchartiges – Confessional Sound Poetry wäre vielleicht ein etwas abgehobener(er) Begriff dafür, was als Emo Ambient bezeichnet wird. Insofern ist „sentiment“ vielleicht ein neues Kapital in rousays musikalisch-lyrischem Bildungsroman, in dem vieles durch den Rückspiegel neu evaluiert wird. Allem voran die Musik, die auf dem Weg ins Heute zur Begleitung wurde und sich stetig änderte.
Thaddi: Kurze Zwischenfrage von jemandem, der in ihrem Werk noch nicht so sicher unterwegs ist: Das Auskomponierte ist neu? Oder zumindest neuer?
Kristoffer: Wie gesagt gab es durchaus Konzessionen an Pop, aber die rousay-Alben, die mir untergekommen sind und auch wirklich gefallen haben, leben eher von einer Arbeit mit Klang, die sehr aufs Werden fokussiert ist. Ständig entwickelt sich etwas, ohne einen bestimmten Endpunkt anzusteuern, wenig kehrt wieder. Das gefiel mir immer sehr gut. Diese Songs hier allerdings ebenso.
Thaddi: Genau das war auch mein Eindruck während meines kurzen Ausflugs in ihre zurückliegenden Arbeiten. Die Songs auf diesem Album hier sind deutlich ausdefinierter im klassischen Songwriting-Verständnis. Wie ist es zu diesem Umschwung gekommen? Vielleicht sollten wir kurz pausieren und eine Kollab mit more eaze gegenhören. Oder könnt ihr mir das einordnen? Ich will einfach nur lernen und verstehen.
Kristoffer: Ich bin mir nicht sicher, wie linear sich diese Entwicklung gestaltet hat. rousay hat in den vergangenen Jahren wirklich sehr viel Musik veröffentlicht, darunter einige gemeinsame Alben und verstreute Kollaborationen mit more eaze, die, wie gesagt, zumindest teilweise dem Pop zugeneigt waren – selbst wenn sie ihn hin und wieder zerschreddert haben. Ich kann das nicht belegen, aber mir kam auch der Gedanke, dass rousay dieses Album vielleicht aus so einem semi-ernsten Impuls heraus geschrieben hat. „Mach’ doch mal ‘ne richtige Emo-Platte“, sowas. Das klingt dann natürlich nicht wie Ende der Neunziger oder Anfang der Nullerjahre auf irgendwelchen Deep-Elm-Compilations. Aber es ist schätzungsweise ihre Interpretation dieses Sounds und dem ihm innewohnenden, na ja, „sentiment“. Im Vergleich mit anderen eher abenteuerlich ausgerichteten Künstler:innen – Yves Tumors Grunge-Fimmel fällt mir beispielsweise ein oder meinetwegen sogar im Mainstream Olivia Rodrigos Pop-Punk-Pathos – wird dieses aber komplett durch die Gegenwart und ihre Mittel gefiltert. Das finde ich als jemand, der für die rein nostalgische Mimesis per definitionem empfänglich sein müsste, sehr toll, weil es mich null nostalgisch stimmt und mir stattdessen etwas Bekanntes sehr zeitgemäß neu interpretiert. Über Nostalgie können oder müssen wir allerdings sprechen: Im transatlantischen Austausch zwischen Brooklyn und Biarritz, 30-plus Jahren Deep-House-Historie und der Gegenwart.
Frank & Tony – Ethos (Scissor & Thread)
Thaddi: Meine Leidenschaft für die Musik von Frank & Tony – Francis Harris und Anthony Collins – ist kein Geheimnis. Vor zehn Jahren erschlugen mich ihre drei gemeinsamen 12"s „You“, „Go“ und „Girl“ derartig, dass ich noch heute die Wucht des geschaumstofften Aufpralls spüre. Und über das Album von Francis Harris haben wir an dieser Stelle vor etwas über zwei Jahren ja gemeinsam gesprochen. Nun gibt es mit „Ethos“ ein neues gemeinsames Album. Bevor ich zu dieser Platte komme – und zum Titel –, will ich versuchen, in Worte zu fassen, warum ich an die Musik so andocken konnte und immer noch kann. Das ist kein ganz leichtes Unterfangen, denn mir schwirren Attribute im Kopf herum, die so treffend wie austauschbar sind, also als Merkmale für ganz unterschiedliche Arten von Musik im Allgemeinen und der Dance Musik im Besonderen gelten können. Langsam. Deep. Einfach. Schleppend. Shuffle. Melodiös. Melancholisch. Ihr seht schon, damit komme ich nicht weit. Und doch ist die House Music von Frank & Tony für mich über alle Zweifel erhaben. Ich halte die beiden Produzenten im Duo für Gralshüter der reinen Lehre. Auch das ist natürlich nicht richtig bzw. nur meine Interpretation von zig Jahrzehnten 4/4-Bassdrum. Auf die Lehre komme ich aber später bestimmt nochmal zurück.
Ich versuche es anders. Ich habe ja nun auch mal für ein paar Jahre Musik gemacht und hatte mir damals mit der Zeit ein kleines Studio zusammengebaut. Als der alte Sack, der ich nun mal bin, hatte ich das Glück, einige der „wichtigen“ Instrumente aus dem Techno-/House-Universum noch zu einigermaßen erschwinglichen Preisen kaufen zu können. Meine beiden Lieblinge waren – und sind es noch immer, auch wenn ich die Geräte schon längst nicht mehr habe – der Juno-106 als Synthesizer und die TR-909 als Drumcomputer. Der Juno war in vergleichsweise schlechtem Zustand, als ich ihn aus irgendeinem Wilmersdorfer Wohnzimmer herausgekleinanzeigte. Beim Aufschrauben fand ich im Inneren einen erstaunlich großen Maikäfer, der sich dort zur ewigen Ruhe gelegt hatte. Wie er da hineingekommen ist? Unklar. Genauso unklar war auch, warum der Juno so klang, wie er klang. Irgendwie anders. Ich brauche ja eigentlich nur eine ganz bestimmte Art Chord, um glücklich zu sein, einen stehenden Ton, der wie ein mollig-verrauschter Hauch von Dub klingt. Genau diese Chords spielte mein Juno. Und genauso klingen auch Frank & Tony. Die drücken an wasauchimmer drei Tasten und produzieren damit einen Sound, der so einfach wie tief und melancholisch ist. Für mich ist das die Essenz des Dancefloors. War es immer, wenn ich ganz ehrlich bin, auch wenn es tausende Zitate von mir gibt, die diese Haltung widerlegen. Und dann ist da noch die 909. Die Hi-Hat, um genau zu sein. Wenn man am Mixer auf ihrem Kanal die Mitten hochzieht, bekommt dieser Klischee-Sound einen wunderbar schmirgelpapierigen Charakter, ein Zischeln wie von einer anderen Welt. Nicht aggressiv, aber doch gegengewichtig genug, um die stehenden Töne zu noch mehr Leben zu erwecken. Für mich ist dieses Zusammenspiel der Schlüssel zur Musik von Frank & Tony. Sie frieren einen Moment ein und strecken ihn auf Track- bzw. Albumlänge. Und es ist genau dieser Moment, der für mich die Welt bedeutet.
Ich bin gleich fertig, versprochen. Aber natürlich lässt sich argumentieren, dass genau dieser Moment von den beiden einfach nur geklaut ist. Und das stimmt natürlich auch. „Morning Factory“ von Chez Damier und Ron Trent wäre ein Beispiel, das als Original gelten könnte. Und damit sind wir beim neuen Album und seinem Titel: „Ethos“. Die beiden Produzenten droppen in der Pressemitteilung zur LP einige ganz gute Zitate. Respekt für die Originators, heute ist die Produktion von House ein Luxus und keine Notwendigkeit mehr, die aus der Dringlichkeit der Umstände geboren ist, usw. Davon können wir halten, was wir wollen. Ich empfinde das schlussendlich aber ehrlicher und pointierter als Tatsachen verdrehende „Leitartikel“ bei RA zum Thema UNESCO-Techno. Das Album ist ein Rücksturz nicht in eine bestimmte Epoche der langen Geschichte von House, sondern verhält sich auf ganz spezifische Weise zu einer Herangehensweise an Sound. Die ist sehr konservativ und einseitig. Um ehrlich zu sein, klingt Move D im direkten Vergleich ja fast schon wie EDM. Vielleicht machen Frank & Tony ja einfach nur eine Art der Library Music. Natürlich würden sie diese nie verkauft bekommen, mir ist das aber egal. Ich bekomme mit „Ethos“ meinen Epos, auf den ich lange gewartet habe.
Übrigens: Der Techniker, der meinen Juno Jahre später mal reparierte, erklärte mir dann, dass die Crew bei Roland für dieses Gerät ganz gut um die Ecke gedacht hatte, um es überhaupt realisieren zu können. Der Synth hat also Bauteile – Keramikkühlung für bestimmte Chips zum Beispiel –, die eher ungewöhnlich für die Zeit waren und sich auch nicht durchgesetzt haben. Die aber eben auch Einfluss auf den Klang haben. Aber nun ihr.
„Es ist wie schon beschrieben 1.000 Prozent True School. Aber ich hätte mir etwas mehr gewünscht.“
Christian: Nun, in meinen Augen ist das ein Deep-House-Album für Menschen, die eben Deep House mögen. Es ist, wie schon beschrieben, 1.000 Prozent True School. Der erste Track mit Eliana Glass sticht etwas heraus, dank ihres immer leicht neben den richtigen Tönen liegenden Croonings. Das hat schon was, gerade im Kontrast mit den rasselnden HiHats. Thaddis kleine Liebeserklärung an deren klangliche Beschaffenheit würde ich auch unterschreiben. Dennoch: Das kann man natürlich mögen, aber ich weiß nicht so recht, was es mir erzählen will. Oder besser, was ich 2024 damit anfangen soll. Vielleicht doch nochmal kurz zur Politik. Der Pressetext, Thaddi hat ihn ja schon zusammengefasst, betont die politische Dimension von House in seinen Anfangstagen und auch, dass Frank & Tony von den damaligen gegenkulturellen Bewegungen beeinflusst sind. Aber der Text erwähnt auch die kulturellen Umbrüche der heutigen Zeit. Die ja gewaltig sind. Genau da hätte doch eine Steilvorlage für den Versuch gelegen, einem weitestgehend im Stillstand befindlichen Genre, noch dazu einem, das über die Jahre zunehmend zur Hintergrundbeschallung von Bars und Klamottenläden geworden ist, ein wenig neues Leben oder sogar Relevanz einzuhauchen. Ich frage mich also, warum man ein Album macht, das zur heutigen Zeit gar nichts sagen will. Sich auf 30 Jahre alte Gegenerzählungen zu berufen, birgt eben kaum politisches Potenzial, das ist eine Nostalgie-Veranstaltung. Als solche ist „Ethos” sicher sehr gelungen. Aber ich hätte mir etwas mehr gewünscht.
Thaddi: Dass dieses Album eben nicht mehr will, also im Damals verbleibt und stillsteht: Das macht es für mich so attraktiv. Es ist eine Zeitkapsel.
Christian: Fair, nur finde ich den Eingang zu dieser Kapsel ohne Aktualitäts-Rampe halt nicht.
Kristoffer: Ich stehe auch vor dieser Kapsel und bewundere ihre Architektur, sonne mich in ihrem schönen Schimmer und will nur nicht so recht eintreten. Mir geht es insofern wie Thaddi, als ich jede, und ich meine ausnahmslos jede EP und LP von Frank & Tony abgrundtief liebe. Natürlich ist das die reine Lehre, gefiltert vor allem durch das Werk und die Überlegungen zur Genese und Appropriation von Deep House einer DJ Sprinkles, aber es wird auf unfassbar hohem Niveau durchgespielt und ist … na ja, einfach schön, gä!? Also, so richtig, richtig, richtig schön. Und das hat mir immer genügt und wird es auch. Per Pressetext nun auf Ursprünge und Verzerrungen hinzuweisen, ist sehr fair und löblich, im Kontext der Platte sagt mir das allerdings so gar nichts. Die exerziert nicht mehr als klassische Formeln in Perfektion durch. Das darf völlig reichen und tut es für mich auch. Ich weiß zu „Ethos” kaum mehr zu sagen als: schön. Danke dafür, Frank & Tony!
Thaddi: Ich lese den begleitenden Text, den ich ja auch schon kritisiert habe, in gewisser Weise eher als generelle Kritik am aktuellen Status der House Music. Auch so eine Kritik ist per se mehr als fragwürdig, weil: Wer sind schon Frank & Tony? Ich kann das aber wiederum irgendwie nachvollziehen und in Teilen auch unterschreiben. Gebraucht hätte es diese „Kontextualisierung“ dennoch nicht. Aber mich fragt ja auch niemand. Eh besser. Ich stelle ja nur Fragen, bzw. mache Beobachtungen. Und wie der Sound hier oben im Watch Tower so windet … da mache ich gerne eine Doppelschicht. Höre weiter den fast zu Klischees verkommenen Sounds und Ideen zu, freue mich über Artefakte, die nur ich als Referenz verstehe usw. Wie Kristoffer sagt: So schön.
Kristoffer: Ja, voll. Und ich bin auch niemand, der an dieser Stelle oder aus diesem Genre noch Innovation erwartet. Es gibt junge Künstler:innen und Labels, die ähnliche Musik nicht minder toll präsentieren – Molly etwa oder Stólar. Einen Future Shock bekomme ich darüber nicht, aber ein noch wohligeres Gefühl als bei rousay. Nur ist dem wohl eine gewisse Nostalgie beigemischt, die mir keinesfalls kritisch scheint, sonst bräuchte es die Einlassungen im Pressetext ja nicht. „Ethos” ist Deep House am Ende seiner eigenen Geschichte. Das ist okay so, für mich zumindest.
Thaddi: Alvin und Francis stimmen dir zu!
Kristoffer: Francis – Fukuyama, nicht Harris! – stimmt sich mittlerweile ja selbst nicht einmal mehr zu, aber wo wir beim Thema sind: Bock auf eine Reise in die Vergangenheit?
Christian: Noch eine?
Thaddi: Bring it on!
Brian Eno / Holger Czukay / J. Peter Schwalm – Sushi. Roti. Reibekuchen (Grönland)
Kristoffer: Wir schreiben das Jahr Neunzehnhundertirgendwas. Bonn ist noch die Hauptstadt der Bundesrepublik und Brian Eno macht mal wieder was. Sogar live on stage. Anlass ist irgendeine Multimedia-Ausstellung Enos, mit dabei sind Slop Shop – die Band von J.Peter Schwalm, verstärkt durch Raoul Walton und Jern Atai. Special Guest ist der bis zu Konzertbeginn nicht angekündigte Holger Czukay. Die fünf Musiker improvisieren drei Stunden vor sich hin, während das Publikum zumindest teilweise mit Essen beschäftigt ist – war schon damals offensichtlich der heiße Scheiß in der Kunstwelt, deshalb auch der dämliche Titel – und Schwalm schneidet mit. Das Konzert gerät in Vergessenheit, Eno ist wohl auf eine Veröffentlichung nicht erpicht und Czukay stirbt irgendwann. Jetzt aber liegt der Mitschnitt zumindest in Teilen vor, Herbert Grönemeyer sei Dank: Grönland ist neben Bureau B die schlimmste Zweitverwertungsbude der Musikindustrie, was all things Krautrock anbelangt, und ich habe auch die Schnauze voll von allem, was mit Brian Eno zu tun hat. Abgesehen von der natürlich fantastischen Obscure-Box aus dem letzten Jahr hat mich dieses Album jedoch mal wieder aufhorchen lassen, und zwar im positiven Sinne. Die Promo habe ich eher pflichtschuldig in den Player geschoben, Dinge abarbeiten und so. Ich bin dann aber sehr schnell von meiner Arbeit abgehalten worden, in deren Hintergrund sie lief und vor die sie sich gedrängelt hat. Etwas an dieser nervösen Energie, diesen sonderbaren Zugeständnissen an Dub, Fusion-Jazz, Drum and Bass und den, uäääh, „Ethno-Ambient”-Hype der Neunziger hat mich aufhorchen lassen. Ich finde dieses Album ganz toll. Aber, um ihn Lügen zu strafen, will ich mal eine Frage an Thaddi richten: Wie findest du es?
„Es ist mein Gefühl, dass hier musikalische Entwürfe aufeinandertreffen, die wenige bis gar keine Berührungspunkte haben. Was interessant ist, weil es natürlich historisch-tradierte Überschneidungen und Kollisionen der beteiligten Szenen und Herangehensweisen gab.“
Thaddi: Ich habe Enos Installation in der Kunsthalle mal gegoogelt und war doch einigermaßen baff, wie viele Ergebnisse gepurzelt sind. Das Video gibt natürlich nichts her – HD war noch nicht erfunden. Es reicht mir aber für einen ersten Eindruck, den ich nicht durch einen zweiten bestätigen muss. Darum bleiben mir heute auch die Details seiner Installation von damals verborgen, was aber auch nicht weiter wild ist. Der Multimedia-Hype war 1998 zwar schon wieder abgeebbt, WIRED hatte neue, dringlichere Themen identifiziert. Ich habe das auch anhand meiner eigenen „multimedialen Erfahrungen“ damals nachvollziehen können: Mein erstes CD-ROM-Laufwerk muss ich um 1995 gekauft haben, nur um damals „Myst“ spielen zu können. Dass all das in Galerien immer noch mit „Oh“ und „Ah“ bestätigend abgenickt wurde, überrascht mich nicht. Aber es geht ja hier nicht um Brians Installation, sondern um die Musik des begleitenden Konzertabends.
Der generative Ansatz, den Eno so gern verfolgte, war bereits ins Digitale gewandert, das PowerBook G3 machte die Musik, im Tandem mit Max/MSP. Hören wir hier nicht. Was wir hingegen hören, ist eine Truppe von mehr oder weniger bekannten Musikern, die sich zum improvisierten Daddeln treffen. Die Drum-and-Bass-Andeutungen kann ich ganz gut ignorieren, auch wenn ich sie tatsächlich einigermaßen peinlich finde – aus dem Kontext gerissen. Gut gefällt mir, dass Eno nicht von vornherein den Ton angibt. Der Eröffnungs-Track „Sushi“ belegt das exemplarisch, bzw. legt seine Rolle exemplarisch offen. Erst gen Ende „hören“ wir ihn tatsächlich. Und was tut er? Feuert einfach nur Samples aus seinem Ambient-Repertoire ab. Das ist einfach kein gutes Stück Musik. Aber es gibt auch bessere Momente. „Roti“ ist schon ganz okay, „Wasser“ auch. Ganz allgemein ist mein Gefühl, dass hier musikalische Entwürfe aufeinandertreffen, die wenige bis gar keine Berührungspunkte haben. Was interessant ist, weil es natürlich historisch-tradierte Überschneidungen und Kollisionen der beteiligten Szenen und Herangehensweisen gab. Die haben sich mir aber leider nie erschlossen. Was auch auf das Werk von Czukay zutrifft. Ob mit CAN oder solo: Diese Musik hat nie zu mir gesprochen. Ich schreibe diesem Album ins Gästebuch, dass es für ihre Urheber erstaunlich zeitgemäß klingt. Aber genau das ist auch das Problem. Denn der Sound der Zeit 1998 hat keine Halbwertszeit.
Christian: Mir geht es ein bisschen ähnlich, aber to be honest, mir fehlt hier auch die Expertise: Kenner:innen von Eno und Czukay werden hier sicher allerlei Interessantes hören, schon weil es einer der ganz seltenen Live-Auftritte Enos in dieser Zeit war. Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe, daher habe ich das hier eher als Zeitdokument gehört und fand die Wechselwirkungen zwischen der Musik der Beteiligten und dem Zeitgeist der Ära ganz schön: Erst meinte ich viele Indizien dafür gefunden zu haben, wie sich die elektronische Musik der Neunziger in diese Session einschreibt. Etwa in diesen gen Funk schielenden Basslines und dem Rückgriff auf analoge Drums, die Stichpunkte sind ja schon gefallen. Andersrum haben Ende der Neunziger viele Musiker:innen all things Krautrock wiederentdeckt und sich explizit auf CAN bezogen. Ist also ein bisschen Henne und Ei. Im Hier und Heute holt mich das nur sehr bedingt ab, mir ist das dann doch viel zu jammig. Aber naja, das kann man einer mehr oder weniger improvisierten Session – es gab wohl einen Abend Probe – kaum vorwerfen. Mir ist aber das Schlagzeug zu prominent, das ja beizeiten wie ein Soloinstrument agiert – was erstaunt, da es ja keiner der drei Protagonisten bedient. Die ersten sieben Beat-freien Minuten von „Wasser“ hingegen: Ethno, ja, aber ganz toll, eine Straße neben zoviet:france so Ende der 80er und doch ganz anders. Allerdings klingt diese Aufnahme fürs heutige Ohr auch etwas blechern und mumpfig. Da bei dieser Art der Musik der Sound nunmal ein Wert an sich ist, schmälert das meinen Gesamteindruck schon. Klar stand damals in der Bonner Kunsthalle sicher nicht das avancierteste Recording-Equipment rum. Aber hey, hätte Studio-Wizard Eno nicht mal ein paar Mikros mehr einstecken können?
„Und dann scheppert Czukay noch irgendwelche Sprach-Samples in den Mix, die nach Hitler klingen. Angeblich kommt sogar der Papst zu Wort. Völlig bekifft. Finde ich sehr gut.“
Kristoffer: Der hatte wohl zu tun, obwohl ich mir nicht immer darüber im Klaren bin, womit genau. Mir auch egal, wer hier was macht, das wird sich in den Credits vielleicht nachlesen lassen. Interessant finde ich diesbezüglich sowieso, dass nur Schwalm – mir übrigens zuvor komplett unbekannt – im Pressetext zu Wort kommt und der ansonsten so statementfreudige Eno anscheinend keine Energie für diese Veröffentlichung aufgewendet hat. Ich frage mich ebenfalls, warum von dieser Band nur Schwalm auf dem Cover erwähnt wird. Aber wird schon alles vertraglich geregelt sein. So oder so: Ich finde dieses irre, bisweilen natürlich wirre Miteinander verschiedener Ästhetiken und Stile extrem anziehend. Hier kurz Mahavishnu Orchestra, dort zoviet:france und in der nächsten Sekunde LTJ Bukem – oder so. Da geht viel ineinander über, reibt sich aber genauso aneinander. Und dann scheppert Czukay noch irgendwelche Sprach-Samples in den Mix, die nach Hitler klingen. Angeblich kommt sogar der Papst zu Wort. Völlig bekifft. Finde ich sehr gut.
Thaddi: Ihr redet immer über Kraut. Ich höre aber nur Rüben. Kann das natürlich aber nachvollziehen. Es passt halt nicht wirklich zusammen. Vielleicht soll das genau so sein, ist so intendiert. Aber die Aufnahme, die uns hier vorliegt, geht für meine Ohren kaum über zusammengewürfelte Andeutungen hinaus und biegt dabei noch mehrmals falsch ab. Wenn diese Geisterfahrer-Gang hier also so freigeistig frei dreht: geschenkt. Es bestätigt aber nur meinen Eindruck, den ich von dieser Gang immer hatte: Sie hantieren mit Dingen – Stilen, Strömungen –, von denen sie nie oder nur ansatzweise Teil waren, sich ihnen aber dennoch auf undefinierbare Weise verpflichtet fühlen. Um am Puls der Zeit zu bleiben. Um ihre eigene, längst vergessene Stellung in der Musikgeschichte nach wie vor rechtfertigen zu können. Dieser Prozess ist komplett unreflektiert. Weil sie eben nie bei einem Set von LTJ Bukem waren. Wobei diese Referenz natürlich eh nicht stimmt. In diesem Drunter und Drüber, das wir hier hören, sollten wir eher ins „eklektische“ Bristol zu Roni Size schauen, aber nicht ins stark sequenzierte und Trance-durchdrungene London. Scheiß’ der Amen drauf. Ich bleibe dabei. Das passt alles nicht so recht zusammen. Ich wünschte, sie hätten bei diesem Konzert die Passagen stärker betont und ausgearbeitet, die aus der Beat-orientierten Arbeit von Eno stammt. Die wirren und mit zig Effekten prozessierten Drums, die verwischt-verwaschenen Basslines, dieses gewisse Irre. Aber es bleibt ein Satzbaukasten. Da passen meine Matchbox-Autos aber nicht rein.
Christian: Ich war Team Siku, sonst keinerlei Einwände. Bemerkung: Die Anmutung des geisterfahrerischen Drunter und Drübers hat vielleicht auch mit Erwartungshaltungen zu tun. Hätten wir 1998 in Bonn gestanden, ein paar Rüben-Mozzarella-Häppchen geschnuckt und eher unverhofft dieser Performance beigewohnt, dann wäre das doch vermutlich alles sehr klar gegangen. Aber wenn 25 Jahre später jemand sagt: „Hallöchen! Hier bitteschön ein mega teures Vinyl mit einer lange übersehenen, aber ganz besonderen Aufnahme“, dann wird es eben schwieriger.
Kristoffer: Um diese beiden Gedanken als meine letzte Verteidigung dieses Albums zusammenzuführen: Ich war erfreut darüber, wie wenig es meine Erwartungen erfüllt hat, gerade weil es dieses gewisse Irre hatte. Es ist unpoliert im Sound wie in der Machart, es hätte mindestens drei oder vier Editing-Sessions gebraucht, um sich danach als wirklich rundes Album für Superfans von CAN oder Eno anzubieten. Aber es ist ein veritabler Clusterfuck zwischen, das ist völlig richtig, halbverdauten Stilreferenzen und -prinzipien, die auf eine Art zusammengezwungen werden, die so eine Art genialen Diletantismus in sich tragen – obwohl hier natürlich Profimucker am Start sind. Genau das finde ich so charmant: Dass sie keine Ahnung zu haben scheinen, was sie da eigentlich genau machen, aber halt auch jede Menge Bock drauf.