Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Dictaphone, Telex und Lotta St Joan.
Dictaphone – Goats & Distortions 5
Thaddi: Achtung, bitte: Sicherheitshinweis. Es könnte (mal wieder) sein, dass ich mich hier um Kopf und Kragen rede bzw. schreibe. Seit Jahren nehme ich es mir vor, nicht mehr über Musik von Weggefährten zu berichten – eigentlich eine zu heikle Angelegenheit. Wie gut das im Fall von Dictaphone funktionierte, könnt ihr hier nachlesen. Das neue Album von Oliver Doerell, Roger Döring und Alex Stolze ist dann aber doch einfach zu gut, um von mir ignoriert zu werden. Wenn man Menschen so lange kennt, und so vieles miterlebt hat, ist neue Musik von ihnen immer eine Art Postkarte aus der Vergangenheit mit angehängtem 5-Jahres-Plan für die Zukunft. Das Sound Design wird immer abstrakter bei Dictaphone, seine Quellen dabei jedoch umso kohärenter. Und es scheint mehr denn je so, als würde all das Gewirre und Geschwirre drumherum einzig und allein dazu da sein, die Klarinette und das Saxofon von Roger Döring auf einer frei schwebenden Drehbühne noch besser auszuleuchten. So entsteht ein ewiges Kreisen um seine Melodien und Motive, die in den durchlässig scheinenden Kompositionen vor allem damit beschäftigt sind, sich selbst zu kitzeln, herauszufordern und zu beantworten. Eine von allem entkoppelte Deepness zwischen Geräusch und – vielleicht zum ersten Mal wirklich bestimmender – Melancholie rollt auf diese Weise vor uns her. Wie ein Teppich mit besonders weichen Flusen, auf denen wir gerne und voller Vertrauen wandeln.
Telex – This Is Telex
Jan-Peter : Mit Telex kam ich das erste Mal als Teenie mit dem Kauf einer (ziemlich guten) CD-Compilation namens „Various – The History Of The House Sound Of Chicago“ in Kontakt und war gleich von „Moskow Diskow“ geflasht. Bin ich beim heutigen Hören immer noch. Ich schwimme weit raus, aber das ist die Spur Fun, die mir bei Kraftwerk manchmal etwas fehlt. Warum sie damals auf dem Chicago-Sampler gesammelt sind, als Belgier, I don't know. Jedenfalls gibt es nun „This is Telex“ mit diversen Singles von Marc Moulin, der 2008 starb, und seinen Band-Kollegen Dan Lacksman und Michel Moers. Neben „Moskow Diskow“ auch das wunderbar kitschige „Eurovision“, ihr erstes Stück „Twist à Saint Tropez“ von 1978, da hatte ich zum ersten Mal Kopfhörer auf, ein vergilbtes Familienfoto zeigt mit mich viel zu großen Sennheisern und auch Stücken von „How Do You Dance“ aus dem Jahr 2006. „Dear Prudence“ ist ein Cover des gleichnamigen Beatles-Stücks (vielleicht lief das damals auf Papas Sennheisern) und „The Beat Goes On“, entlehnt von Sonny & Cher. Beide Stücke, so lässt der Waschzettel wissen, wurden kürzlich erst wieder entdeckt. Und zusammen mit allen anderen Stücken remastert, auch „The Beat Goes On“, das sie zusammen mit Sparks produziert haben. Persönlicher Favorit ist „La Bamba“. Señor Coconut lässt grüßen.
Lotta St Joan – Hands
Ji-Hun: Unsereins ist ja mit dem Vorurteil aufgewachsen, dass aus Deutschland kein authentischer, guter Folk kommen kann. Das müsse man dem angloamerikanischem Raum überlassen. Lieber spröden Krautrock oder Techno machen. So oder ähnlich lautet das Mantra. Dass das ausgemachter Mumpitz ist, ist natürlich klar. Tim Raue darf ja auch gerne asiatisch auf Weltniveau kochen und Tesla darf auch Autos bauen, die BMW und Mercedes Sorgenfalten bereiten – und hier beschwert sich auch niemand. Die Berliner Musikerin Lotta St Joan hat Anfang des Jahres ihr Debütalbum „Hands“ herausgebracht und es ist ein intimes und wunderschönes Album geworden, das die Themen Isolation, Großstadt und fehlende Perspektiven thematisiert, und das auf einem Level, das man auch bei amerikanischen Kolleg:innen nicht oft vorfindet. Dass sie diesen Sound und die Welt dennoch so souverän bespielt und nicht marketing-mäßig versucht, irgendeinen elektronischen Berlin-Effekt mit reinzudrücken, spricht eigentlich nur für sie. Ich würde ja sagen, wäre Lotta St Joan in den USA und nicht in Süddeutschland geboren, hätte es auf Pitchfork mindestens eine 8 dafür gegeben. Aber darum soll und darf es in der Musik ja am allerwenigsten gehen. Dafür hat hier hat alles viel zu viel Talent und Musikalität.