Der Mond, die Menschheit, unsere ZukunftEin Gespräch mit Jeff Mills
9.10.2019 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerJeff Mills hat Techno nicht nur mit erfunden und geprägt, sondern stand auch immer für Haltung und Radikalität. Sein Flucht- und Bezugspunkt: der Weltraum. Der mittlerweile 56-jährige Underground-Resistianer hat immer wieder das All zum Thema seiner Musik erhoben und so ein dicht gestricktes referenzielles Netz aus 909-Eskapismus und dystopischem Zukunftsglauben aufgebaut. Eine Zukunft, die so natürlich schon längst eingetreten ist. Aber wie weiter? 50 Jahre nach Apollo 11 möchte Jeff Mills über den Mond sprechen. Sind wir mal hingegangen. Natürlich kommt das Thema nicht von ungefähr. Als der Sommer in Berlin nochmal kurz zuckte, wurde der Film „Frau im Mond“ von Fritz Lang unter freiem Himmel gezeigt – mit orchestraler Begleitung, die Jeff Mills vor wenigen Jahren komponiert hatte.
Die Mondlandung – und die bemannte Raumfahrt allgemein – war immer eine positive, futuristische Vision. Aber was ist davon übrig geblieben? Eine romantische Erinnerung, ein Jubiläum: 50 Jahre Apollo 11.
Und da beginnt die Tragödie, nicht wahr (lacht)? Ich hatte ja gehofft, dass die NASA diese Gelegenheit der großen Aufmerksamkeit nutzt: 50 Jahre Mondlandung – und nun zu den spannenden Dingen, die wir in den nächsten ein oder zwei Dekaden vorhaben. Aber dazu muss man wohl eher nach Indien schauen. Auf den Mond zu reisen ist eben auch kein einfaches Unterfangen. Man kann nicht einfach den Helm abnehmen und da herumlaufen, wie die Wissenschaftler im Film „Woman in the Moon“. Das beginnt schon mit der Zusammensetzung des Staubs, der den Mond bedeckt: Einmal inhaliert und man ist tot. Man könnte meinen, der Schatten eines Mondkraters würde vor der Sonne schützen, aber die Temperatur ist ja generell zu niedrig für menschliches Leben. Ich glaube so richtig begreiflich wird all das erst, wenn der erste Mensch auf einem anderen Planeten geboren wird. Dann kommt der Moment, der den Menschen vor Augen führt, dass die Besiedlung des Weltraums begonnen hat. Ein Moment ähnlicher Tragweite wie damals, als Armstrong sagte: ein großer Schritt für die Menschheit.
Die Menschheit als Einheit. Denkst du so ein Satz, der alle Menschen mit einschließt, würde auch heute fallen, wenn jemand zum ersten Mal einen menschlichen Fuß auf einen neuen Planeten setzt?
Auch wenn sich durch diesen Satz jeder angesprochen fühlen kann, wird es so schnell keine Hausfrauen auf dem Mond geben – oder anders gesagt: keine Person, die im Rahmen einer Expedition zu einem anderen Himmelskörper nicht unerlässlich ist. Wenn man also von der Menschen auf einem anderen Planeten spricht, sollte klar sein, dass jeder dort eine Rolle zu erfüllen hat – im Sinne des Terraformings. In zehn Jahren wird man über die Besiedlung der Mondoberfläche sprechen. Und dann muss auch der durchschnittliche Mensch realisieren, dass es dort plötzlich diesen anderen Ort gibt. Und dass die Chance besteht, dass das eigene Baby vielleicht dort auf dem Mond oder Mars leben oder aufwachsen wird. Die Kinder werden dann Marsianer genannt oder gehen auf die Moon Night High School (lacht). Und vielleicht steckt darin auch die Chance zu einem Neustart als Menschheit. Vielleicht können wir die Probleme, die wir heute auf diesem Planeten haben, von dort aus tatsächlich lösen.
Was ich eigentlich meinte: Als Neil Armstrong diesen Satz gesagt hat, war für einen kurzen Moment jeder irdische Konflikt egal. Es ging nicht um die USA, nicht um das Apollo-Programm der NASA, nicht einmal der Kalte Krieg spielte eine Rolle, obwohl die Raumfahrt ein Wettbewerb der rivalisierenden Mächte war. Armstrong hat die Mondlandung zu einem Ereignis gemacht, bei dem es keine Rolle spielt, wer beteiligt war oder wem angehört.
Tatsächlich empfinde ich das ganz anders. Demnach war es immer zunächst Amerika, die amerikanische Flagge – dann erst die Menschheit. Dabei ist der eigentliche Akt der Mondlandung doch viel größer, als das bloße Territorium. Beim Jubiläum war ich in Washington und habe live gesehen, wie die Rakete Saturn 5 auf das Washington Monument projiziert wurde. Ein paar Wochen zuvor hatte ich das Kennedy Space Center in Cape Canaveral besucht und gesehen, wie die Space X Falcon Heavy aufgestiegen ist, ihre Trägerraketen sich gelöst haben und wieder runter gekommen sind. Und es kam mir vor, als sei aus der einst nationalen Angelegenheit nun eine zwar immer noch öffentlich zugängliche, aber doch privatwirtschaftliche Sache geworden. Der Erfolg von Space X ist vielleicht ein Erfolg der Menschheit, aber letztlich vor allem einer von Space X und NASA. Und wenn nun das Raumfahrtprogramm Indiens – deren Sonde ist ja gerade gen Mond unterwegs – ein Erfolg wird, wird es auch als Erfolg Indiens betrachtet werden. Ich denke, das ist die falsche Richtung. Man sollte es doch als internationale Anstrengung betrachten. Um so mehr, wenn man bedenkt, dass insbesondere die taiwanische Raumfahrtagentur an Space X mitgewirkt hat. Davon siehst du aber nicht viel.
Nun drehen sich Konflikte seit jeher um territoriale Ansprüche. Wenn eine extraterrestische Expansion unseres Lebensraumes schlicht eine Expansion unser Territorialkonflikte bedeutet, halte ich das persönlich für nicht sonderlich erstrebenswert.
Worauf sollen wir also gespannt sein? Warum sollten wir uns also darauf freuen, dass ein reicher Typ anderen reichen Leuten ermöglicht, auf den Mond zu fliegen? Meiner Meinung nach braucht es daher ein internationales Motto, ein Bestreben, das jeden inkludiert. Spätestens dann, wenn man die öffentliche Zustimmung braucht, um Steuergelder für solche Programme zu nutzen. Ich glaube die NASA hat ihre Apollo-Missionen letztlich aufgegeben, weil die Öffentlichkeit das Interesse verloren hat – um es verkürzt auszudrücken.
Gleichzeitig halte ich die Raumfahrt aber für eines der ganz wenigen Gebiete, auf dem die Politik in der Lage ist, ihre Konflikte zu überwinden. Und ich meine nicht wieder Armstrong. Man denke an die ISS-Raumstation, die Wissenschaft der Astronomie, die ständige Zusammenarbeit der Raumfahrtbehörden.
Ich schätze das geht solange gut, bis man auf etwas Verwertbares stößt, zum Beispiel Gold auf dem Mond. Oder auch Mineralien oder Wasser. Wenn das nutzbar wird, dann wird’s kompliziert. Ich kann mir gut vorstellen, dass uns in dieser Hinsicht noch Einiges bevorsteht.
Du hast von Space X gesprochen. Und dass es schade ist, dass dahinter nun ein mehr oder weniger rein privatwirschaftliches Interesse steht. Andererseits würde ich sagen: Elon Musk ist verrückter Typ. Und als er 2001 gesagt hat, dass er in ein paar Jahren Leute ins All bringen wird – als Weltraumtouristen – wurde er für bescheuert erklärt. Auch die NASA hat gesagt: Never ever. Aber ihn hat das nicht interessiert. Er hatte diese Vision und er hat sie Realität werden lassen. Ich glaube Fortschritt bedarf Menschen dieser Einstellung ...
... um das zu sehen und davon zu lernen. Absolut. Aber er ist ja nicht der einzige. Ich denke da zum Beispiel an Richard Branson. Ich glaube, es werden zukünftig noch mehr Menschen mit einer solchen Persönlichkeit in Erscheinung treten – und es hat sie zudem immer gegeben. Vielleicht nicht in der Raumfahrt, aber man denke an Kunst, Literatur, Musik. Es gab immer Menschen, die vielleicht nicht gänzliche Rebellen waren, aber diese rebellische Seite hatten und uns damit weiter gebracht haben. Ich bin jetzt mal neugierig: Wie alt bist du eigentlich?
„Wir sind darauf getrimmt mehr zu wollen, als wir eigentlich brauchen.“
Nicht ganz dreißig.
Ich bin jetzt in den Fünfzigern. In den letzten 100 Jahren hat sich schon eine Menge verändert. Aber du erlebst vielleicht noch das nächste Jahrhundert, denn Menschen deiner Generation werden locker einhundert Jahre alt. Stell dir vor, was sich bis dahin alles tun wird. Und du wirst Zeuge sein. Deine Kinder – falls du welche hast oder bekommst – sowieso. Du wirst mitbekommen, wie sich die Welt samt ihrer Bevölkerung monumental verändert.
Bestimmt. Aber ich sehe das eher nicht so rosig.
Der Meeresspiegel wird steigen, was die Migration von Millionen von Menschen bedeutet. Sprachen werden sich entwickeln, vielleicht wird sich eine Sprache gegenüber allen anderen durchsetzen. Du wirst eine Entwicklung mitbekommen, auf die uns das Internet gerade einmal vorbereitet hat. Das ist doch spannend oder nicht?
Klar bin ich neugierig. Aber sinkt der Altersdurchschnitt in den USA nicht gerade – zum ersten Mal in der Geschichte?
(Lacht.) Je nachdem, das mag sein. Aber trotzdem wird die Wissenschaft besser und Menschen erreichen ein höheres Alter. Vielleicht wird jemand deiner Generation schon 120 oder 130 Jahre alt. Und wenn wir uns dann noch Maschinen oder Robotern annähern, ist noch viel mehr möglich. Wenn wir mit etwas verbunden sind oder etwas in uns tragen, das uns im Falle eines Herzinfarkts das Leben retten oder uns vor einem Schlaganfall bewahren kann – zum Beispiel. Ich glaube man kann sehr lange leben, wenn man sich dazu entscheidet.
Mit all diesem Fortschritt – und dem globalen Zusammenspiel von Prozessen – geht eine Steigerung von Komplexität einher. Das Funktionieren der Welt entzieht sich zunehmend der Nachvollziehbarkeit durch Einzelne. Und ich habe das Gefühl, dass wir an einem Punkt sind, an dem dieses fehlende Verständnis zum ernsthaften Problem wird. Denn dadurch wird die Faktenlage zur Glaubensfrage.
Aber das hat es immer gegeben. Die Welt war schon immer zu komplex. Seit jeher sind Menschen mit dem Zustand und der Entwicklung auf diesem Planeten unzufrieden oder konnten nie ihren Platz darin finden. Man denke nur an die Sklaverei, an die Wikinger oder die Höhlenmenschen, die nachts Angst vor wilden Tieren haben mussten. Nie waren wir davon überzeugt, wirklich sicher zu sein. Insofern würde ich auch nicht erwarten, dass sich irgendetwas in nächster Zeit ändert. Aber wir werden besser.
Zwei Schritte vorwärts, einen zurück.
Es scheint, als seien das die Karten, die uns gegeben wurden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es in der Zukunft einen Punkt gibt, an dem wir verstehen. Nicht unbedingt, wofür wir hier sind – aber wofür wir hier sein können. Ein Punkt, an dem die meisten von uns realisieren: Das ist meine Bestimmung. Vielleicht gab es das schon in den 30ern oder auch während der Hippie-Bewegung der 60er. Vielleicht hat man letztere auch deshalb als Bedrohung empfunden. Diese Leute wollten frei sein und hatten eine Vorstellung davon, was echte Freiheit bedeutet. Und das ließ sich schwierig mit gleichförmiger Anzugträgerschaft vereinbaren. Und ja: Das macht Menschen Angst.
Ich glaube ja, so etwas passiert zirka alle dreißig Jahre. Dann sehen wieder mehr Leute die Dinge klarer, und so kommen wir der Sache näher und näher, werden besser und besser und smarter. Irgendwann kommt dann der Moment, ab dem es kein Zurück mehr gibt und sich keiner mehr dem verweigern kann, was tatsächlich ist. Dann macht die Menschheit einen gigantischen Schritt nach vorne, denn keine Werbung kann etwas dagegen ausrichten.
Dieser Tage haben mächtige Menschen bereits Angst vor einem sechzehnjährigen Mädchen.
Genau. Weil mächtige Menschen etwas haben, von dem Leute glauben es zu benötigen – zum Beispiel Geld. Wir sind darauf getrimmt mehr zu wollen, als wir eigentlich brauchen. Vielleicht ermöglicht Technologie uns, die Dinge anders zu sehen. Dann fragen wir uns, was eigentlich der Sinn dahinter ist – und dass es uns vielleicht viel glücklicher macht, in die Berge Indiens zu ziehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich die Dinge so entwickeln.
Hast du die Frage für dich selbst beantworten können? Warum du hier bist, was deine Aufgabe ist?
Nein. Wie die meisten anderen Menschen habe ich meine Erfahrungen – gute wie schlechte –, aus denen sich mein Handeln und Leben formt. Ich bin in den Sechzigern mit dem Civil Rights Movement aufgewachsen. Ich war damals zwar noch jung, aber alt genug um die Unruhe und das Unbehagen in der Gesellschaft zu spüren. Und in den Siebzigern ging es mit der Finanz- und Ölkrise weiter. Aus dem Nichts kamen die Drogen, Familienstrukturen sind in die Brüche gegangen. Bis Mitte der Achtziger war da kein Licht am Horizont. An der Schwelle zum neuen Jahrhundert kamen dann viele neue Ideen. Der Kalte Krieg endete, das Internet setzte sich durch. Aber bis dahin war mein Leben von extremen Ereignissen durchsetzt. Und jetzt haben wir wieder diese weißen Nationalisten. Das ist verrückt, denn es gibt so viele Dinge, die tatsächlich unsere Aufmerksamkeit verlangen: der Hunger auf der Welt, die schmelzenden Pole, der steigende Meeresspiegel, Krebs.
Und die Tatsache, dass die halbe Menschheit von der Welt, wie wir sie kennen, ausgeschlossen ist.
Der Anteil könnte sogar größer sein. Viele Menschen sind von den gegenwärtigen Entwicklungen geschockt. Aber unsere Geschichte ist voll von solchem Irrsinn. Ein Großteil der Leute hat vergessen – oder ist einfach zu jung, um zu wissen, wie die Welt in den Siebzigern und Achtzigern aussah, wie chaotisch sich die Dinge entwickelt haben. Was gerade passiert, ist schlicht eine Erinnerung daran, dass es noch einige Lektionen zu lernen gilt.
Ich glaube psychische Erkrankungen werden das nächste, große Problem, das auf uns zukommt. Menschen leben zunehmend in parallelen Realitäten, und wir haben noch nicht einmal angefangen zu verstehen, was das eigentlich bedeutet oder wohin uns das führt.
Ich glaube, Realität ist grundsätzlich künstlich bzw. individuell, auch ganz ohne den neuen, virtuellen Part.
Wahrscheinlich. Wir sind Individuen, sehen Dinge nicht auf die gleiche Art und Weise. Aber noch nie in meinem Leben habe ich solche Unterschiede in der Wahrnehmung erlebt, wie derzeit. Vielleicht deutet das bereits auf eine Zukunft hin, in der buchstäblich jeder Mensch seine Existenz in seiner eigenen Welt schafft. Für sieben unterschiedliche Menschen verkörpere ich dann vielleicht sieben unterschiedliche Existenzen.
Das Problem daran ist, dass man sich dann auf nichts mehr einigen kann, es keinen Konsens mehr gibt. Hier steht zum Beispiel ein Tisch vor uns. Und das ist Fakt, weil wir uns einig sind, dass das hier ein Tisch ist. Doch je diverser die Realitäten, desto mehr bröckelt dieser Konsens. Und das ist das Problem, mit dem die Wissenschaft schon jetzt zu kämpfen hat.
Richtig. Wenn man Leute von keiner Wahrheit mehr überzeugen kann ... Ich weiß nicht was dann folgt. Nichts passt mehr. Und dann fangen die Leute an, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dann fangen sie an ihre eigene Position zu forcieren und durchzusetzen. Keine Ahnung ... das ist ... ich weiß es nicht.