„Das ist meine Taylor-Swift-Platte“Im Interview: Oneohtrix Point Never
2.11.2015 • Sounds – Interview: Christian Blumberg, Thaddeus HerrmannOneohtrix Point Rocksau? Die Zeiten, in denen Daniel Lopatin weitgehend unbemerkt aus der Zeit gefallene Synthesizer-Musik produzierte, sind längst vorbei. Nach dem bahnbrechenden Album „Replica“ – das konzeptionell vieles von dem vorwegnahm, an dem sich Vaporwave noch Jahre später abarbeitete, ging alles sehr schnell. Mit „R plus Seven“ und seiner Zusammenarbeit mit Jon Rafman erfand er einen neuen, viel zitierten Klangkosmos. Seitdem ist es endgültig vorbei mit dem Dasein im Underground: Zum Erscheinen des neuen Albums „Garden Of Delete“ schickt Warp Records Lopatin sogar auf Promotour. Und wieder klingt alles anders. Optisch hat sich Lopatin dagegen kaum verändert, er ist immer noch der Slacker mit dem Boston Celtics Cap. Und sehr herzlich ist er auch. Jedenfalls nimmt er es uns kein bisschen übel, dass wir ihn beim Lunch stören.
Sorry, dass wir in deine Mittagspause reinplatzen.
Das ist ok. Das Essen war sehr lecker und zum Glück kein fashion food wie in Brooklyn. In den USA bekommt man neuerdings Salat so gut wie immer mit Wassermelone. Wie ich das hasse! Wassermelone mit Grünzeug und Kräutern, das verwirrt mich.
Dabei machst du ja selbst verwirrende Sachen. Zum Beispiel dein neues Album.
Ja, das höre ich nicht zum ersten Mal.
Wie gehst du mit solchen Reaktionen um? Steckt schließlich viel Arbeit drin.
Eigentlich ist das bei jeder Platte so: Die Leute sind verwirrt oder sie mögen es nicht. Nach ein paar Wochen sagen sie dann aber: Ah, jetzt hab ich es kapiert! Ich dagegen halte „Garden Of Delete“ eigentlich für das Fokussierteste und Geradlinigste, was ich je produziert habe. Es sind wirkliche Songs und jeder einzelne fühlt sich wie eine Single an. Zumindest wären sie das, in der Welt, in der ich gerne leben möchte. Ich wollte nicht nochmal etwas machen, was mit dieser für die 70er-Jahre so typischen Art der Rezeption funktioniert: sich hinsetzen und konzentriert ein ganzes Album durchhören. Bei „R plus Seven“ fiel es schwer, sich einzelne Lieblinsgtracks rauszusuchen, sie funktionierten erst im Zusammenhalt, als Album. „Garden Of Delete“ soll ohne diese Kohärenz auskommen, es funktioniert Track by-Track – das ist meine Taylor-Swift-Platte. OK, am Ende ist es dann natürlich trotzdem etwas programmatisch geworden.
Programmatisch, weil es eher wie ein Mixtape funktioniert?
Jeder Song ist ein Statement. Für mich sind das alles Hymnen! Ein Kollege von euch sagte, die Stücke hätten allesamt so einen Emo-Aspekt. Ich habe mich gefragt, ob er Emo wörtlich meint oder eher als Genrebegriff, also eine Spielart von Rock. Egal, wie: Emo ist eigentlich perfekt. Etwas, was deine Nerven trifft!
Die neuen Stücke haben wirklich was von Rockmusik. Du klingst viel energetischer und aggressiver als zuvor. Trotzdem ist das ja alles elektronisch. Ist „Garden Of Delete“ post-digitale Rockmusik?
Das wäre cool. Und es ist auch ein bisschen wie Daft Punk. Denkt an „Human After All“. Als die Platte rauskam, dachte ich: WTF, was für ein Scheiß! Mittlerweile finde ich dieses Album brillant. Verglichen mit dem Quatsch, den sie seitdem gemacht haben, fühlt es sich wirklich nach Garage an, es ist so simpel und direkt – und auch ziemlich Rock. So etwas schwebte mir auch vor. Die Produktion hat diesmal wirklich Spaß gemacht. Zugleich war es viel schwieriger, etwas derartig Direktes zu machen, als etwas, was Leute dann beim Hören wieder als schwierig empfinden.
Ist das für dich der logische nächste Schritt?
Oh, ich weiß nicht, ob das logisch ist, es hat vor allem mit den Umständen zu tun. Letztes Jahr habe ich eine Tour mit Soundgarden und Nine Inch Nails gespielt. So ein Unternehmen zu beobachten, war hochinteressant. Alles ist bis in kleinste Detail geplant und funktioniert fast schon wie ein militärisches Manöver. Ich hingegen spiele Konzerte ja normalerweise vor maximal ein paar hundert Leuten. Aber da kamen Tausende, und die waren heiß auf Soundgarden. Weniger auf NIN, die mich als Support eingeladen hatten. Und meinen Kram wollten die schon gar nicht hören.
Wie hat das Publikum reagiert?
Komisch. Ich habe wirklich ein ganz anderes Set gespielt als sonst, weil ich dieses Publikum vor den Kopf stoßen wollte. Hey, wann bekommt man schon einmal die Gelegenheit so viele Leute zu ärgern? Ich war dann aber unsicher, ob sie mein Set nur als Noise betrachtet haben, oder es einfach schlaff fanden. Oder ob die überhaupt gemerkt haben, dass ich auf der Bühne war? Das Beste an den Shows war, dass Kim Thayil, der Gitarrist von Soundgarden, der sonst nur auf Sludge und so richtig harte Sachen steht, am zweiten Abend zu mir kam und sagte: Dude! Respekt! Das hat mir schon Selbstbewusstsein gegeben.
Du hast vor Jahren, ungefähr zu dem Zeitpunkt als „Replica“ rauskam, im inzwischen abgebrannten Festsaal Kreuzberg hier in Berlin gespielt. Da standest du inmitten des Raums und hast hinter deinem IBM-Notebook rumgeschlufft. Das war so ziemlich das Gegenteil von einem Rockkonzert oder einer Daft-Punk-Show.
Stimmt. Das war aber auch keine gewollte Anti-Show, es war einfach gar nichts. Aber hey, ich wusste damals wirklich nicht, wie ich live auftreten soll. Ich wusste, wie man Platten macht – und selbst das würde ich Nachhinein bezweifeln – aber live spielen? Keine Ahnung! Ich wurde damals plötzlich gebucht und habe das erstmal zwei Jahre lang eben irgendwie gemacht, aber …
… du warst noch nicht soweit?
Genau. Das war wie ein Bootcamp.
Bis ich irgendwann verstanden habe, dass ich von jedem Album eigentlich zwei Versionen machen muss. Eine Tonträger-Version, mit dem die Leute Kopfhörersex haben können, in der die Details entscheidend sind und der es wirklich zuzuhören lohnt. Und dann noch eine direktere, reduzierte Version, die man auf die Bühne bringen kann. Das neue Album ist sozusagen die 2-in-1-Lösung. Und jetzt, wo ich mir wieder Gedanken mache, wie ich es live umsetzen soll, denke ich immer: Hey, da ist was faul, das ist ja viel zu einfach dieses Mal. Aber eigentlich ist es großartig, alles ist ready to go.
„Meine ältere Schwester hat sich zu Nine Inch Nail die Nägel lackiert.“
Du hättest damals ja auch entscheiden können, gar nicht live zu spielen. Das ist ja in der elektronischen Musik eine alte Debatte: Soll man das überhaupt als Konzert aufführen? Welchen Mehrwert hat ein Konzert und welchen Aufwand muss ich betreiben, damit es diesen Mehrwert überhaupt bekommt?
Und ganz wichtig: Kann ich mir diesen Aufwand eigentlich leisten? Ich meine finanziell. Das kostet ja Geld. Ich war lange nicht selbstbewusst genug, um eigenes Geld zu investieren. Ich hatte davon auch nicht viel – warum das also in etwas stecken, was dich selbst nicht überzeugt? Aber ich habe eben auch einen Todestrieb. Trotzdem bin ich nie heulend ins Hotelzimmer gelaufen, nur weil ich einen schlechten Gig gespielt habe. Bildende Künstler zum Beispiel: Die bekommen eine Residency oder ein Stipendium für eine gewisse Zeit. Da erwartet dann aber niemand, dass die in diesem Zeitraum etwas ganz besonders Tolles oder gar Erfolgreiches produzieren. Und wenn man mir eine Tour bucht, versuche ich das eben auch so zu sehen. Da kauft niemand eine bestimmte Dienstleistung, da wird Geld in meine Arbeit investiert. Und diese Arbeit muss auch immer weitergehen. Ich nehme kein Sabbatical, wenn es mal nicht läuft. Ich verschwinde auch nicht super geheimnisvoll für zwei Jahre, um dann irgendwas auszubrüten, womit ich dann - bang! - zurückkomme. Ich wüsste gar nicht, wie das gehen soll.
Aber hat dein angestammtes Publikum nicht mittlerweile bestimmte Erwartungen? Also z.B. Leute, die immer noch den Bedroom-Producer sehen wollen, der sie mit seinen Synthie-Schwaden einlullt?
Diesen Druck lasse ich gar nicht zu. Ein Publikum entwickelt sich ja auch. Ich bin zwar nicht fuckin' Grateful Dead, aber es gibt schon ein paar Menschen, die offensichtlich an das glauben, was ich tue. Und ich vertraue denen so, wie die mir. Ich glaube nicht, dass die jetzt alle weglaufen, weil ihnen meine neues Zeug zu rockig ist.
Woher kommt denn diese plötzliche Begeisterung für Rock?
Die ist ja nicht neu und wurde lediglich durch diese Tour wachgekitzelt. Ich habe als Teenager selbst Soundgarden gehört und fand die eine super Grunge-Band. Mit zwölf Jahren war ich von ihrer Musik wie gehirngewaschen. Und bei meiner älteren Schwester lief „Pretty Hate Machine“ von Nine Inch Nails rauf und runter. Zu allen Gelegenheiten. Die hat sich dazu die Nägel lackiert. Ich habe diese Platte damals für das Coolste überhaupt gehalten. „Garden Of Delete“ ist ein Nachdenken über diese Zeit, mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Es ist der Versuch, eine Art abstraktes Gedächtnis anzulegen.
Was hat deine Schwester gesagt, als du mit Nine Ich Nails gespielt hast?
Sie fand das natürlich super. Aber noch begeisterter war meine Mutter, die inzwischen 65 Jahre ist. Sie ist Klavierlehrerin und schon deswegen recht empfindlich, was Musik angeht. Aber von den Nails sie war total begeistert, von der Klarheit, die deren Musik hat, obwohl sie so aggressiv und verzerrt ist. Meine Mutter meinte dann, NIN seien wie die Beatles mit verrückten Maschinen. Und das trifft es doch genau!
Und was denkt deine Mutter über das neue Album?
Sie sagte, dass sie sich für meine Musik bislang immer visuelle Metaphern und Bilder hat ausdenken müssen, aber dass sie dieses Mal auch ohne solche Hilfskonstruktionen ausgekommen sei. Da dachte ich: OK!