Dark-durchdacht, dronig-intensiv und ein Bällebad ohne WiderhakenHildur Guðnadóttir, Rrose, Robag Wruhme – drei Platten aus 2019 und nicht ganz 2019 Meinungen
18.12.2019 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Kristoffer Cornils, Thaddeus HerrmannDie Dekade packt zusammen und das Jahr braucht auch schon Sauerstoff: Gibt es eine bessere Gelegenheit, als kurz vor Schluss noch auf drei Alben aus den vergangenen zwölf Monaten zurückzuschauen? Mit dem Soundtrack für die HBO-Serie „Chernobyl“ hat Hildur Guðnadóttir den darken Bildern einer darken Katastrophe einen mehr als darken Begleit-Sound auf die Tonspur komponiert, der so kraftvoll ist, dass er auch ohne die von der Kritik immer wieder kritisierte Aufarbeitung der Reaktorexplosion funktioniert. Viel heller geht es bei Rroses „Hymn To Moisture“ auch nicht zu. Seth Horvitz kann sich das leisten, er ist ein alter Herrscher über die Elektronik und hat als Sutekh schon zigfach die musikalische Welt verändert. Das ersehnte Licht mit der damit verbundenen Leichtigkeit hat schließlich Robag Wruhme auf „Venq Tolep“ im Angebot. Blumberg, Cornils und Herrmann machen sich die Getränke ihrer Wahl auf, geben sich ihrer dezembrigen Erschöpfung hin und beäugen vom Rand der Badewanne aus, wie mikrotonale Drones auf Neutronenschleudern im Sinkflug gen aus der Zeit gefallener Knopflochträne streben. Hashtag Weltfrieden.
Hildur Guðnadóttir – Chernobyl OST (Deutsche Grammophon)
Kristoffer: Es war Hildur Guðnadóttirs Jahr. Traurig ist das deshalb, weil sie den Staffelstab von Jóhann Jóhannsson übernehmen musste, erfreulich aber ebenso: Was „Chernobyl“ musikalisch leistet, ist meiner Meinung nach komplett grandios. Ich habe diesen Soundtrack circa zehn Mal als Album gehört, bevor ich die Serie gesehen habe. Und selbst nach der hat sich der erste Eindruck eher verschärft, als dass er verloren gegangen wäre. Ganz, ganz groß. Wie ging’s euch damit?
Thaddeus: Ich hatte zunächst gar nicht auf dem Schirm, dass sie den Soundtrack gemacht hat. Ich wollte die Serie schauen, konnte es aber nicht, weil ich a) kein Sky-Abo habe und b) nichts mehr illegal streame oder herunterlade. Aus Gründen. So schob ich das Projekt vor mir her und merkte dann, dass sie die Musik gemacht hat. Das hat mich natürlich gefreut, weil ich sie als Musikerin sehr schätze. Ich bemerkte dann, dass sie gefühlt 27.000 Soundtracks gemacht hat in der letzten Zeit, auch richtig große Produktionen, und dachte dann genau das gleiche wie du: Die übernimmt den Staffelstab von Jóhann. Da wurde mir einen Moment lang schwindelig. Rein musikalisch finde ich das sehr gelungen. Weil es eben nicht nur auf die Dunkelheit der Serie passt, sondern per se schon so dark-durchdacht ist, dass ich mich da ziemlich ohne Wenn und Aber drauf einigen kann. Ich muss wohl aber dennoch nicht erwähnen, dass ich immer wieder bei dem Chorstück hängenbleibe. Aber so bin ich eben.
Christian: Mir fehlt der Serien-Kontext. Das Cinematische der Musik, auch wenn ich nie genau verstanden habe, was cinematisch in Bezug auf Musik eigentlich bedeuten soll: viele Streicher? Viele Emotionen? Einfach Vieles von Vielem? Also diese Breitwandigkeit von Arrangements und Produktion macht es mir schwer, die Stücke nicht als einen Soundtrack hören, sondern nur als Musik-Musik. Als solche fraglos super intensiv, dazu meist noch in ein Drei-Minuten-Format gepresst. Ich musste tatsächlich nach drei, vier Stücken immer mal Pause machen, weil es mir zu heavy wurde.
„Chernobyl“ greift allerdings dort an, wo „Arrival“ – an dem Guðnadóttir ebenfalls mitgewirkt hat, klar – aufhörte: Hier wird eine eigene Klangsprache für etwas gefunden. Teilweise liegt das sicherlich auch an Chris Watson, mit dem Guðnadóttir in Litauen auf Field-Recordings-Suche gegangen ist, natürlich in Kernkraftwerken. Aber vor allem an ihr.
Kristoffer: Cinematisch ist in unserem Verständnis glaube ich das, was andere vorgemacht haben. Vangelis’ „Blade Runner“, Hans-Zimmer-Overdrive und John-Williams-Bombast auf allen Kanälen. Das hat ihren „Joker“-Soundtrack auch eher halbgar erscheinen lassen in meinen Ohren: Da wurde recht stringent das wiederholt, was seit fünfzig Jahren im Hollywood-Kontext funktioniert. „Chernobyl“ greift allerdings eher dort an, wo „Arrival“ – an dem Guðnadóttir ebenfalls mitgewirkt hat, klar – aufhörte: Hier wird eine eigene Klangsprache für etwas gefunden. Teilweise liegt das sicherlich auch an Chris Watson, mit dem Guðnadóttir in Litauen auf Field-Recordings-Suche gegangen ist, natürlich in Kernkraftwerken. Aber vor allem an ihr. Klar, das Chorstück, großer Moment, traurig und mächtig obwohl doch so nah dran. Aber eben nur ein Teil des Ganzen und das Ganze als solches funktionierte für mich fantastisch von den Bildern losgelöst, welche die Musik so tatkräftig unterstützte. Geht mir sehr, sehr selten so mit Soundtracks. Deshalb sticht „Chernobyl“ für mich dermaßen heraus.
Thaddeus: Weil die Klangsprache ja trotz ihrer immensen Mächtigkeit eigentlich sehr still und fast schon privat wirkt. Dieser Gegensatz macht das Ganze für mich musikalisch begreifbar. Ich könnte die Tracks auch ohne die Bilder dazu hören und würde den Einstieg finden. Früher oder später. Wenn ich denn geduldig genug wäre. Was ich nicht versprechen kann, nun ja aber auch keine Rolle mehr spielt. Es ist ein ganz intimes Abbild eines sehr unangenehmen Etwas, was man aus was für Gründen auch immer durchschauen will. Um es tot zu machen vielleicht. Oder um sich reinzulegen. Und dann einfach schaut, was passiert.
Kristoffer: Reinlegen, das finde ich als Begriff unpassend. Sicherlich auch, weil ich diese Platte wirklich mal laufen hatte, als ich in der Badewanne lag. War kein Spaß. Wollt ihr nicht nachmachen. Da läuft was unter der Musik, das absolut unheimlich ist, jenseits aller Realitäts- und Schockeffekte, mit denen das Thema verknüpft ist. Weshalb Guðnadóttir dieses Thema überhaupt so gut treffen konnte: Die Musik ist selbst in ihren konkretesten Momenten noch völlig ungreifbar, da drängt sich die Brücke zum Inhalt der Serie natürlich auf. Oder was heißt aufdrängen: Es kriecht. Langsam, gemächlich unter die Haut. Wie gesagt, ich bin hin und weg, selbst nach gut 30 Durchläufen entdecke ich immer noch Neues in diesem Soundtrack. Die Serie habe ich allerdings nur ein einziges Mal sehen müssen und fand sie toll, aber auch fragwürdig.
Weil wir bei den Chor-Passagen waren: Da kippt das Ganze schon ins Offensiv-Sakrale.
Christian: Das Unheimliche hätte ich auch in etwas geringeren Dosen vertragen, und weil wir bei den Chor-Passagen waren: Da kippt das Ganze schon ins Offensiv-Sakrale. Das wirkt natürlich, aber: Untermalt man so einen Atomunfall und seine Folgen? Ist das nicht ein bisschen viel der Dramatisierung? Diese Stücke sind schon – trotz eindrücklichen Sound Designs und so – sehr plakativ in ihrer ganzen (Bedeutungs-)Schwere. Das ist schon auch ein großes Wollen drin. Nun kann man sicher sagen, dass Jóhannsson und jetzt eben auch Guðnadóttir einige Standards in Scores verändert haben ...
Kristoffer: Und Mica Levi mit „Under Your Skin“!
Christian: … aber ich habe dennoch das Gefühl, dass das „alte“ Hans-Zimmer-Vokabular zwar ersetzt wird – Drones statt Drums –, die Mechanismen jedoch ganz ähnlich bleiben. In erster Linie Affekte anvisieren. Was ja total okay ist, aber so richtig kriegt mich das trotzdem nicht.
Kristoffer: Würde ich hinsichtlich „Joker“ unterschreiben, nicht aber in Bezug auf „Chernobyl“. Klar: Das ist Sound Design und zwar eines, das bestimmte Absichten verfolgt. Denn auch das Chor-Element, so sehr es Dreh- und Angelpunkt sein mag, ist eben nur eine Episode in einem größeren Ganzen. Und das ist schon sehr innovativ, klingt bisweilen überhaupt nicht wie das, was zu erwarten wäre. Aber vielleicht bin ich mittlerweile auch schon so „Stranger Things“-geschädigt, dass ich alles mit offenen Armen begrüße, was ohne Sequencer-Geblubber auskommt?
Ist mir jetzt eigentlich auch egal, ob die Serie in einem AKW oder in einem U-Boot spielt: Diese Musik hat viel mehr Anwendungsgebiete.
Thaddeus: Das ist ja nun auch kein Vergleich, der sich auch nur ansatzweise anbietet. Ich empfinde den Soundtrack tatsächlich auch überhaupt nicht als offensiv-sakral, sondern vielmehr in seiner ganzen Wuchtigkeit eher verhalten. Sonst würde man die ganzen Details im Sound ja auch gar aufspüren können. Natürlich konfrontiert sie uns zunächst mit einer klanglichen Ansage, die man erstmal verdauen muss, bzw. mit der man versucht klarzukommen. Dahinter aber scheint zwar zu keiner Zeit die Sonne, aber wie sie die einzelnen Elemente staffelt und miteinander vermischt, ist schon toll. Und: Gerade Tracks wie „Dealing With Destruction“ klingen ja fast schon wie eine Hommage an Jóhann Jóhannsson, nehmen Elemente seines Schaffens auf – bewusst oder unbewusst – und stellen sie in einen neuen Kontext. Ist mir jetzt eigentlich auch egal, ob die Serie in einem AKW oder in einem U-Boot spielt: Diese Musik hat viel mehr Anwendungsgebiete. Es geht hier doch eher um eine bestimmte Stimmung. Die nun vielleicht von der Katastrophe 1986 bestimmt wird, aber auch einen ganz anderen Trigger hätte haben können.
Christian: Würde ich in Kristoffers Badewanne liegen und dieses Chorstück würde laufen: Ich würde denken, ich hätte mich schon ertränkt.
Kristoffer: Na ja, ich war da nicht alleine, sondern hatte eine Flasche Wein an Bord. Da wurde es dann schnell überwältigend. Die Hommagen, die Thaddi sieht, höre ich in jedem Fall auch. Aber nicht als epigonisches Moment, sondern als konsequente Fortschreibung dessen, was die beiden in rund einem Jahrzehnt zusammen geleistet haben. Denn Guðnadóttir war ja bei den wichtigsten Jóhannsson-Soundtracks immer dabei. Und macht es nun auf ihre Art zu ihrer Angelegenheit. Deswegen: Staffelstab, die Reise geht weiter. Ich freue mich aufs Kommende.
Thaddeus: Ja, eilt aber nicht. Wir haben schon zu viele Gute verloren in letzter Zeit. Brauche ich für diese Platte ja praktisch eine Bleischürze, hole ich jetzt meine Latex-Handschuhe raus.
Rrose – Hymn To Moisture (Eaux)
Christian: Auch ziemlich intensiv. Aber geil intensiv. Keine Selbstverständlichkeit gleichzeitig wie Silent Servant und Eleh zu klingen.
Kristoffer: Mein erster Gedanke, als du diese Platte ins Rennen geschmissen hast: Ah, ja, klar – ergibt Sinn. Du bist ja auch sehr auf das Nkisi-Album abgefahren. Das trifft sich mit „Hymn To Moisture“ natürlich im Minimalistischen. Sowieso: Rrose, toll, sicherlich. Aber ist das nicht eigentlich nur Minimal Techno mit modularen Mitteln? Das ultimativ Uncoole, das mit coolen Methoden noch mal interessant gemacht wird? Versteht mich nicht falsch, nettes Album, aber ich hätte es mir nicht zweimal angehört, wenn ich nicht deinetwegen gemusst hätte, Christian!
Ich finde die Platte nicht mal nett.Wenn es mal zerrt, dann zerrt es schlecht. Wenn es mal bimmelt, dann bimmelt es doof. Und wenn es mal hallt, dann wie aus einer zertretenen Bier-Dose.
Thaddeus: Ich finde die Platte nicht mal nett. Sie lässt mich in ihrer altbackenen Kühle so derartig frostig zurück, dass ich spontan schlechte Laune bekomme. Das ist leider gar nicht gut. Diese Mimmel-Pimmel-Beats, gepaart mit viel zu cleanem Sound Design, was auch nicht so recht weiß, wo es heute Abend noch hin will. Hier ist die Stimmung einfach nicht echt, sondern nur dumm kopiert. Blass in alle Ewigkeit. Wenn es mal zerrt, dann zerrt es schlecht. Wenn es mal bimmelt, dann bimmelt es doof. Und wenn es mal hallt, dann wie aus einer zertretenen Bierdose. Ich habe mir erstmal alte Sutekh-Platten angehört, um wieder in den Groove zu kommen, wobei ich von vornherein annahm, dass es zwischen damals und heute keine großen Überschneidungen gibt. Hatte ich recht. Witzig aber: Ich stieß dabei auf ein Video vom Mutek 2007. Da spielt Seth ein Live-Set, das Video dokumentiert die letzten Minuten. Und neben der Bühne warten schon die Wighnomy Brothers, die offenbar als nächste an der Reihe sind. Da steht also Robag Wruhme, von dem noch die Rede sein wird später, und Sören Bodner und wippen und klatschen und zucken eifrig mit. Dieser Moment, dieses Dokument, macht diese Platte hier immerhin ansatzweise erträglich. Aber die Frage bleibt: Wo ist der denn bitte abgebogen?
Kristoffer: Ich habe glaube ich eine ähnlich versöhnliche Erinnerung an Rrose. ://about:blank vor ein paar Jährchen, MDF-Floor, circa vier bis fünf Uhr nachts. Live-Set, total trocken und langwierig, aber deshalb auch hypnotisch. Auf dem Dancefloor machen diese kleinen dynamischen Nuancen, um die sich dieses Album auch bemüht, eine Menge aus. Nur eben nicht über Kopfhörer im Berliner Nahverkehr. Deshalb mein Votum: gerne live im Strobolicht, nur eben nicht zu Hause. Zumindest nicht für mich. Noch badewannenuntauglicher als Guðnadóttir in jedem Fall. Obwohl ich gleichzeitig sagen muss, dass ich Techno in den letzten zwei, drei Jahren sowieso komplett enttäuschend fand und hier immerhin noch Momente hatte, in denen ich mitgehen konnte. Aber mehr? Nicht wirklich, leider.
Thaddeus: Das ist jetzt schon ein bisschen blöd. Was machen wir denn jetzt?
Christian: Lieber Leserinnen, liebe Leser, hören Sie nicht auf meine Kollegen. Wenn Sie Techno mögen, auch wenn er in etwas altbackener Form daherkommt, von mir aus, und wenn Sie zugleich ein Faible für sich nur mikrotonal verschiebende Drones haben, dann ist „Hymn To Moisture“ ein Album, dass Sie keinesfalls verpassen sollten. Okay, Werbung over. Aber überzeugen kann ich euch beide ja eh nicht.
Thaddeus: Aber du könntest versuchen, uns zu erleuchten. Durch welchen Hintereingang wir in die Platte einsteigen müssen, um den Dreh zu bekommen. Bei mir stehen immer nur so Typen vor den Luken und sagen: Nö, heut nicht. Und morgen erst recht nicht. Ich frage aus echtem Interesse. Weil wir das Album hier auch schon verhandelt haben, und weil es hier natürlich Sounds und Strukturen gibt, die ich nicht nur kenne, sondern auch gut finde. Aber das will alles überhaupt nicht zusammen passen.
Denk dir die Beats weg, dann hast du ein Quasi-Drone-Album, das für sich genommen wohl die Anmutung einer etwas drögen Versuchsanordnung hätte. Durch die Beats bekommt es aber Druck und Dringlichkeit. Zusammen ist das doch ein Glücksfall.
Christian: Naja, vielleicht ist es ja gerade das Zusammenkommen. Denk dir die Beats weg, dann hast du eigentlich ein Quasi-Drone-Album, das für sich genommen wohl die Anmutung einer etwas drögen Versuchsanordnung hätte. Durch die Beats bekommt es aber Druck und Dringlichkeit. Und zusammen ist das doch ein Glücksfall, ich kann hier zuhören und tanzen. Dieses kalte Sound Design gefällt mir auch, das bringt eine schöne Schärfe rein. Und klar, ich könnte jetzt für den Überbau auch noch aus dem Info-Text abschreiben: Da geht es dann um Klangforschung, um das Nachbauen von Sounds, bei denen Gehör bzw. Gehirn Schwierigkeiten bekommen, zwischen Klang und (Neben-)Geräuschen zu unterscheiden – aber eigentlich brauche ich diese Informationen gar nicht. Verstehe die eh nur so halb. Ich habe beim Lesen aber kurz gedacht, von wegen Jahresrückblick: Vielleicht ist das ja eine Conceptronica-Platte, die sogar Simon Reynolds kapieren würde. Weil sie nämlich extrem physisch ist.
Kristoffer: Mein Problem ist, dass ich weder zuhören noch tanzen könnte. Also, zumindest nicht länger als, sagen wir, 20 Minuten. Dann muss ich mir entweder ein neues Bier oder das Sabberkissen holen, weil ich pennen möchte. Sorry! Conceptronica wäre für mich zumindest nicht der richtige Begriff, das ist für mich eher bedeutungsschwangerer Techno, der im Grunde dieselben Mitteln verwendet wie, naja, Villalobos vor 15 Jahren: Wir wiederholen das jetzt so häufig, bis sich alles nach K-Hole anfühlt. Legitim, absolut! Nur reißt es mich nicht mit, erst recht nicht als Hörspiel.
Thaddeus: Villalobos hat mich auch nie mitgerissen. So there! Ich würde aber in der Tat gerne dabei sein, wenn Seth die Review von Reynolds zu diesem Album vorgelesen bekommt. Ich finde es insofern bemerkenswert, dass mir dieses Album einfach nichts sagt, weil der Musiker ja immer für seinen Sound bekannt war. Man, was hat der für epische Tracks hingelegt. Egal ob Dancefloor oder nicht. Aber hier zerbröselt das in so eine Berghain/CTM-Langeweile, dir mir einfach selbst im dicksten Nebel keine Angst machen kann.
Robag Wruhme – Venq Tolep (Pampa)
Kristoffer: Lass mal nach Thüringen umschwenken. Robag Wruhme! Thaddi, du meintest, dass diese LP das verkörpert, wie du Dance Music in 2019 wahrgenommen hast. Oder so. Erklär dich nochmal, bitte.
Thaddeus: Ich habe die Latexhandschuhe wieder abgelegt und mein Poesie-Album geholt. Meine Haltung zu dieser Platte hat tatsächlich nichts mit Dance Music zu tun. Ich habe vielmehr gemerkt, dass ich viele mehr als früher mit Musik eigentlich nur noch auf einer emotionalen Ebene auseinandersetzen möchte. Und Robag kennt mein emotionales Minenfeld offenbar besonders gut und legt die richtigen Schalter um. Dabei geht es nicht um Beats, nicht um Strukturen, sondern eher so um eine Sammlung kleiner Anker, an denen ich mich festhalten kann. Ich kann Debatten führen und die auch tapfer argumentieren, brauche die aber nicht mehr. Genau aus diesem Grund tat dieses Album so gut. Tut es immer noch. Sekundenbruchteile, in denen plötzlich vieles viel mehr Sinn macht. Das funktioniert auch als LP über weite Strecken sehr gut, fünf Klingeltöne hätten es aber auch getan.
Kristoffer: Klingt sehr inwendig. Aber ich kann’s schon nachvollziehen. Denn ich habe ja auch dieses Jahr weitgehend mit dem Dance-Ding gebrochen, meinen Job als Groove-Redakteur hinter mir gelassen und dann erstmal zwei Monate lang Kevin Drumm gehört. Danach kam plötzlich „Venq Tolep“ in die Inbox geploppt und, hach, ja, mei: Klingt alles noch genauso wie vor acht Jahren bei der „Thora Vukk“, alles im Lot also. Ferien für die Synapsen. Schön. Ein Anker, vielleicht. Biedermeier auch. Aber auf die rettende Art und Weise. Glaube, ich denke und fühle da ähnlich wie du, Thaddi, nur anders.
Jetzt lesen: Robag Wruhme – das große Sommer-Interview 2019.
Es ist schon eine seichte Platte – und ich meine das gar nicht abschätzig. Ein abendfüllendes Format mit dieser freundlichen Gruntonalität zu bespielen, das muss man ja auch erstmal hinbekommen, ohne dass es langweilig wird.
Christian: Das ist ein Album wie ein Bällebad: Du kannst dich da unbesorgt reingleiten lassen: Es besteht irgendwie von Anfang an die Abmachung, dass dir darin nichts zustoßen wird. Weil eben alles ganz weich ist, selbst die Bassdrums. Das ist einerseits schön, für meinen Geschmack hat Wruhme hier aber doch ein bisschen zu viel Butter untergerührt. Es ist schon eine seichte Platte – und ich meine das gar nicht abschätzig. Ein abendfüllendes Format mit dieser freundlichen Gruntonalität zu bespielen, das muss man ja auch erstmal hinbekommen, ohne dass es langweilig wird. Hier und da einen Widerhaken zu verstecken, hätte aber vielleicht auch nicht geschadet. Und wenn schon keine Widerhaken, dann vielleicht ein bisschen mehr Melancholie hier oder ein bisschen offensiverer Kitsch dort. Mir ist das alles zu harmlos, zu sehr in einer Art Sicherheitszone angelegt. Ihr merkt schon: Ich kann mich nicht entscheiden, was mir bei Hildur zu viel war, ist mir hier zu wenig.
Kristoffer: Ja, aber … also, nein: kein Aber. Alles genau so, wie du es schreibst. Oder ich. Oder Thaddi. Da ist ein merkwürdiger Konsens, weich wie Pudding. Das ist ein Album, das nie weh tun wird und dafür manchmal sehr gut. Das soll reichen, finde ich. Denn Widerhaken braucht es nicht, die haben schon genug andere – unter anderem Guðnadóttir und der von uns offenkundig unterschätzte Rrose. Ich finde es fast schon wieder mutig, mit so einer Gude-Laune-Bombe ins Jahr 2019 zu platzen. Fast schon so Jumanji-mäßig: „What year is it? Bockt!“.
Thaddeus: Zum Thema Kitsch: Robag ist immer dann nicht so gut, wenn er es mit dem Kitsch nicht übertreibt. Dann ist das eher so lala und kippt in eine museale Auseinandersetzung mit der Electronica, unter der einfach nur Bassdrums liegen. Für mich sind es vor allem die Tracks, die gar keine Tracks sind, die diese Platte wirklich ausmachen. Die kleinen Momente, in denen er sich nackig macht und einfach er selbst ist. Damit meine ich nicht nur „Ende #2“, bei dem ich immer noch weine. Ich höre das an allen Ecken und Enden immer wieder durchblitzen. Und dann bin ich glücklich. Das ist eine meiner Erkenntnisse in Sachen Musik 2019. Mehr will ich gar nicht sein, wenn ich mich mit Sound auseinandersetze. Das kann so oder so ausgehen, aber Robag beherrscht das auf sehr offenherzige Art und Weise.
Kristoffer: Tatsächlich waren ja Glücksmomente in der Sparte rar gesät. Das letzte Jahrzehnt, so schillernd es anfing, war geprägt von bräsigen und roughen Sounds. Deswegen klingt die Platte auch so aus der Zeit gefallen. Alle machen irgendwas mit Diskurs oder zumindest schlechte Laune. Nur Robag, der macht sein Ding. Und er ist gut drauf dabei, mit vielleicht einer kleinen Träne im Knopfloch, vor allem aber im Frieden mit der Welt. Das hat etwas Versöhnliches, das mit der Verbitterung der Gegenwart nicht d’accord geht. Fast schon wieder widerständig, auf eine Art. In jedem Fall: eine Insel. Mitten in Thüringen. Muss man auch erstmal schaffen. Ich mag’s.
Christian: Hashtag Weltfrieden. Neues Jahrzehnt, neue Gegenwart. Bleibt die Frage: Ist die Badewanne halb voll oder halb leer? Schalten Sie auch in der nächsten Dekade wieder ein.
Kristoffer: Warm ist sie! Und das ist alles, was zählt.