Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Christine Ott, The Dirty Nil und Thomas Fehlmann.
Christine Ott – Time To Die
Ji-Hun: Die französische Komponistin und Musikerin Christine Ott ist eine augewiesene Meisterin des Ondes Martenot. Sie arbeitete mit Yann Tiersen und den Tindersticks zusammen, und hat nun ihr viertes Album herausgebracht. „Time To Die“ nennt sich der Langspieler. Moderne Klassik und Elektronik sind mit Sicherheit Eckpfeiler, die in etwa vorgeben, was passiert. Ott schafft aber dennoch eine ganz eigene Dynamik und Spannung, die Instrumentierung teils unorthodox, das Piano stets präzise und Rahmen schaffend – es ist ein schönes Album, ein menschliches Album, das sich, wie der Albumtitel vermuten lässt, auch mit Urängsten und Abschied beschäftigt. Ein Soundtrack für transzendente Momente.
The Dirty Nil – Fuck Art
Susann: Mein Freitag-Kollege Konstantin erzählte stolz von seinem jüngsten Lieblings-Plattencover und als ich diesen glücklichen Hund mit seiner rosa Zunge sah, war ich auch ganz verzaubert. Das erste Reinhören katapultierte direkt in die 90er und 00er Jahre, vor allem aber in die eigene Teenagerzeit. Der jungenhafte Gesang, die kraftvolle Produktion, die Selbstironie und der Humor, die Pop-Punk-Anleihen und fetten Metalgitarren. Ein Rockalbum, das wirklich mal wieder knallt und Spaß macht. Irgendwie auch das letzte, was ich von dem noch jungen Jahr 2021 erwartet habe. Dass sich das kanadische Trio nicht zu ernst nimmt, sieht man vor allem in deren Videos. Sonnenblumen, Pferde, verträumtes Licht – geht definitiv in einem Punkrock-Video wie bei „Blunt Force Concussion”. Oder überzogene 80er-Jahre-Metal-Ästhetik in „Doom Boy”? Check! „Fuck Art” fühlt sich irgendwie vertraut an, mal denkt man an Weezer oder tatsächlich auch an Billy Talent oder Sum 41 (und hey, auch deren Songs habe ich in der Alternative-Disko gemocht!), dann wiederum ist das Album nicht nur Nostalgie, sondern klingt wirklich frisch. Die Pandemie-Müdigkeit vertreibt es auf jeden Fall.
Thomas Fehlmann – Böser Herbst
Thaddi: Zwar habe ich die ersten beiden Staffeln von „Babylon Berlin“ mit Interesse geschaut, und bin gemeinsam mit einem der Storyboad-Künstler der Serie tiefer in die Materie eingetaucht. Besser als die glossy Bilder gefiel mir jedoch die begleitende Podcast-Reihe vom rbb, bzw. Volker Heise. Hierzu macht Thomas Fehlmann die Musik. Die Klammer ist offensichtlich. Ebenso wie Podcast-Redakteur Heise in der Produktion das Damals und das Heute zum Erzählen von Geschichten verknüpft, agiert auch Fehlmann zwischen zwei ganz unterschiedlichen Epochen, bzw. musikalischen Welten. Das Damals lässt sich dabei in den zehn Tracks nur diffus identifizieren, was vor allem mit seinem Umgang mit Sound zu tun hat. Bei Fehlmann rauscht es traditionell. Und somit ist er mit dieser Art von Alben einer der letzten, die die ehemals so prominente Flagge von Kompakt hochhält, und damit einen Sound, bei dem es um Samples, Wärme, Manipulation und Rekontextualisierung geht, bzw. ging. Auf „Böser Herbst“ jagt eine dicke Schicht Watte die nächste – oftmals noch dicker. Takt für Takt erwachen die Loops und Motive schrittweise zum Leben, tänzeln um sich selbst, betrachten sich gegenseitig und verschwimmen zu einem mal nebulösen, mal hell strahlendem Ganzen. Das ist großartige Musik, fordernd und befriedigend zugleich. Weil: Wenn es rauscht, ist alles in Ordnung.