Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Campbell Irvine, aespa und Perila.
Campbell Irvine – Baptism in the Cathedral of Commerce
Kristoffer: Auch schon fast wieder ein Jahrzehnt her, dass Campbell Irvine eines der besten Debüts der vergangenen Dekade hinlegte und es kaum jemand mitbekam. „Removal Of The Six Armed Goddess“ war ein dunkelbuntes Prisma, durch das der Schein einer anderen, nein, einer Anderwelt gebrochen wurde. Der in Berlin lebende Australier nahm den Faden des frühen Shackleton auf und zeigte der Welt schon, wie der Brite ein paar Jahre später klingen würde. Was nun also? Nun also mit „Baptism in the Cathedral of Commerce“ das erste Release nach dem letzten Stelldichein auf Infrastructure New York vor sechs Jahren und kein Wort darüber, was in der Zwischenzeit so passiert sein mag. Dafür aber legt Irvine ein kollaborativ erarbeitetes Konzeptalbum in vier Suiten vor, das die wildesten Drumpattern jenseits von versierten Gamelan-Truppen und die bauchigsten Dub-Basslines diesseits von Rainforest Spiritual Enslavement zu bieten hat und dabei trotzdem sehr Techno klingt. Es geht da wohl irgendwie qua veralteter Technologien direkt in eine historische Fiktion des Kalten Krieges, in der Jugoslawien vielleicht doch die bessere aller möglichen Welten formuliert hatte. Egal, denn: Vor allem aber geht es subkutan erst in den Blutkreislauf und drückt dann gehörig auf den Frontallappen. Wieder so eins: ein Album des Jahres, mindestens.
aespa – Savage: The 1st Mini Album
Ji-Hun: Vergangene Woche war ich zu einem Empfang bei der koreanischen Botschafterin eingeladen. In ihrer Ansprache verwies sie darauf, dass sie erfreut sei, dass heutzutage in Deutschland so unzählig viele junge Menschen Koreanisch lernen wollen. So viele wie noch nie. Der Grund seien neben K-Pop, eben auch K-Food, K-Beauty, K-Toons, K-Fashion, aber auch K-Drama und K-Series. Die sogenannte 한류 (Hallyu), die Koreanische Welle, reißt auch 2021 nicht ab. Und lässt selbst das bisherige Pop-Entertainment Monopol USA ratlos zurück. Nachdem im vergangenen Jahr der Oscar-Gewinn von „Parasite“ als kaum zu überbieten galt, spricht dieses Jahr die ganze Welt über „Squid Game“, die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten. Diese Form des südkoreanischen Kulturexports hat Konzept und ist kein Zufall. Einer der Pioniere der Korean Wave ist der Produzent Soo-Man Lee, der 1989 das Unternehmen SM Entertainment gründete und seitdem K-Pop-Stars wie SNSD, Exo, BoA und H.O.T. in der Welt groß machte. All jene, die die Doku „Light Up The Sky“ über Blackpink gesehen haben, wissen, was für ein hartes Business das Leben von K-Pop-Artists ist. Diese Karrieren sind die knallharte Antithese zum Rock-/Rapstarleben. Diszipliniert, voller Opfer, ohne Partnerschaften und einer geplanten Halbwertszeit eines Erdbeerjoghurts. Der neue Fokus-Act von SM Entertainment ist die Girlgroup aespa. Sie debütierte am 17. November 2020 (das funktioniert ein bisschen so, wie wenn Lionel Messi bei PSG vorgestellt wird) und haben vor zwei Wochen ihr „The 1st Mini Album“ herausgebracht. Hier zeigt sich die industrielle Power, die hinter so einem Projekt steht. Die Videos von Sekunde 1 an zeitgemäße Potenz-Showcases. Hier werden keine Fehler gemacht. Darf ein Jungprofi bei Real Madrid vielleicht auch mal Fehler machen und wird ausgewechselt, wird hier keine Zeit verschwendet. Das ist wie immer beeindruckend, fast beängstigend, aber auch brillant, was in weniger als einem Jahr „aufgebaut“ werden kann. aespa sind Karina, Giselle, Winter und Ningning. Und es ist vor allem die Musik, die den Act spannend macht. Die (Sound-)Designs sind hypermodern. Akribisch, experimentell elektronisch. Einige sagen Hyperpop dazu, wäre das dann K-Hyperpop? Arca und SOPHIE kommen bei den Beat-Produktionen in den Sinn. Auch K-Pop entwickelt sich weiter, radikalisiert sich fast ein bisschen. Die Sache bleibt spannend.