Bunt, schrill, queer und überhaupt ganz andersSo war Fever Ray in Berlin
1.3.2018 • Sounds – Text: Matti Hummelsiep, Fotos: David OleIhr Album „Plunge“ gilt als eine der besten Platten des letzten Jahres. Doch die Platte war so radikal anders als das Debüt, dass Fever Ray nicht nur neue und begeisterte Fans gewann, sondern andere auch enttäuschte. Gestern Abend trafen in der Columbiahalle in Berlin alle aufeinander. Alte Fans, neue Fans – und Fever Ray selbst.
Es ist aus und vorbei! Wer bis zuletzt gedacht oder gehofft hat, Fever Ray sei immer noch die in düstere Gewänder gehüllte Künstlerin, die in wabernden Nebelschwaden auf der Bühne steht und mit ihrer unverwechselbaren Stimme in wundersame Soundscapes eintaucht, der wurde gestern Abend in der Columbiahalle Berlin eines besseren belehrt: kein mystisches Bühnenbild mehr, die Lampenschirme der letzten Tour längst entsorgt, die dunklen Kostüme in die Mottenkiste gepackt und die Nebelmaschine gleich ganz zu Hause gelassen.
Fever Ray stellte ihr zweites Album „Plunge“ vor, ein sexgetränktes und vor lauter „fucks“ nur so überschäumendes Manifest an eine queere Lebensweise. Heteronormativität wird verzerrt, bemalt, gefickt, oder alles umgekehrt.
Auf der Bühne eine Karin Dreijer (Anm.: den Namen 'Andersson' hat sie nach der Scheidung von ihrem Mann abgelegt) in weißem T-Shirt mit dem Schriftzug „I Love Swedish girls“ („Swedish“ durchgestrichen), die Haare abrasiert, das Gesicht weiß geschminkt, Augen und Mund mit schwarzer Farbe umrandet, ein bizarrer Anstrich ihres unentwegten Lächelns. Die Bühne teilt sie sich mit drei Musikerinnen an Elektronik und Drums sowie zwei Tänzerinnen, die mit ihr wahlweise choreografisch tanzen, posieren, sich aneinander reiben und sie gesanglich unterstützen, ohne, dass Fever Rays markante Stimme im Vocal-Teppich untergeht. Schrill gekleidet sind sie allesamt. Ein Ganzkörperanzug macht Tänzerin Helena Gutarra zum männlichen Bodybuilder. Sie weiß sich darin zu inszenieren, zu provozieren und ist nach spätestens drei Titeln der Publikumsliebling auf der Bühne.
Nach „An Itch“ und „A Part Of Us“ vom neuen Album, wird „When I Grow Up“ im Samba-Remix vorgetragen und ist dabei kaum wiederzuerkennen. Die Beschleunigung auf Tanztempo lässt selbst textfeste Fans straucheln, aber endlich kommt Bewegung und Leben ins Publikum. Wie jedes Mal, wenn Songs von ihrem so vielfach gefeierten Debütalbum „Fever Ray“ gespielt werden („Keep The Streets Empty For Me“, „Triangle Walks“, „I'm Not Done“, „If I Had A Heart“) und der Applaus spürbar lauter wurde. Ein neues Album hat es oft schwer, aber wenn man so einen krassen, vor allem visuellen Wandel wie Fever Ray hinlegt, dann vielleicht umso mehr.
Die nächsten Shows, präsentiert von Das Filter:
Hamburg, Docks – 13. März 2018
Köln, Palladium – 17. März 2018
Kein Wunder also, dass sich beim Blick auf die Fan-Diskussionen schnell zwei Lager ausmachen lassen: Da gibt es die „I want the old Fever Ray back!“-Fraktion. Für sie ist die „neue“ Fever Ray ein unverständliches Rätsel, die Performance in eine hedonistische Samba-Party abgedriftet, genau wie schon „Shaking The Habitual“, dem letzten Album, das sie als The Knife mit ihrem Bruder Olof aufgenommen hatte. Auf der anderen Seite die Fans, die den neuen Queer Punk mittragen und den Abgesang auf den heteronormativen Einheitsbei abfeiern. Und dazwischen gibt es noch eine diejenigen, die zwar Verständnis für künstlerischen Wandel haben, aber wenn, dann doch bitte unter neuem Namen. „Let's yes to all“ verkündete die 42-Jährige hingegen schon letztes Jahr in den sozialen Medien, was nicht im hedonistischen, unpolitischen Sinne gemeint ist, sondern ganz im Gegenteil, wie zum Beispiel der Track „This Country“ deutlich macht: „Free abortions and clean water / Destroy nuclear / Destroy boring… This country makes it hard to fuck“, singt sie mit erhobener Faust. Ob sie damit ihr Heimatland Schweden meint?
Die harmonische, ruhige Ballade „Red Trails“, die ganz ohne rebellische Anarcho-Synthies auskommt, fühlt sich wohlig warm an und zeigt, dass es Fever Ray um mehr als nur politische Botschaften geht. Auf die tropfend, hallenden Beats und die kratzende Geige singen die drei Sängerinnen den liebeszarten Text: „Blood was our favourite paint / You were my favourite pain / Waiting for your love to happen / Is like waiting for a drug that never kicks in“. Das düstere „If I Had A Heart“ hebt sich Fever Ray für den Schluss auf und mit den fetten Beats von „Mama's Hand“ vom neuen Album kommen sie nochmal auf die Bühne.
Fazit: Umso schriller, umso queerer, umso freier? Für Fever Ray selbst mag das gelten, sie wirkt auf der Bühne tatsächlich, als wäre da eine Blockade gefallen, als hätte sie sich von etwas befreit. Aber vor ihr steht nunmal kein Peaches-Publikum, das bei Queer-Sex andeutenden Figuren auf der Bühne völlig durchdreht, weshalb der Funke in manchen Momenten schon erlischt, bevor überhaupt die Chance besteht, dass er überspringt. Die Lichtshow mit Laser-Stripes, viel Farbe und Effekten, entfaltet trotz übersichtlichem Setup allerdings maximale Wirkung und trägt das Konzert über manche schwächere Minute hinweg.
Vielleicht sahen Karin Dreijer und ihr Creative Director Martin Falck keinen anderen Weg, als kratzbürstig und triebgeladen auf die Queerness als alternative Lebensform hinzuweisen. Vielleicht spricht sie mit ihrer Performance auch nur die an, die eh schon sicher auf dem Gender-Pfad wandern. Und die anderen? Bekommen das Gefühl, dass sie vielleicht noch nicht frei genug sind. Zumindest wird an der Garderobe anschließend kontrovers diskutiert, was von der neuen Show, der neuen Musik, von der Kunst Karin Dreijers seit „Plunge“ zu halten ist. Und unabhängig der eigenen Meinung bleibt sie damit eine relevante, radikale und mutige Künstlerin. Dass dieser Wandel nicht jedem gefällt, weiß sie selbst: „It would be weird if everybody liked this. Because then we’d be the norm.”, sagte sie in einem Interview. Aber insgeheim werden viele Fans weiterhin hoffen, dass es irgendwann wieder neue, alte Songs gibt.