Breakbeat-Handtaschen, Nichts-Musik und Neo-MuckerSpecial Request, Kode9, Floating Points: drei Platten, drei Meinungen
6.11.2015 • Sounds – Gespräch: Christian Blumberg, Michael Döringer, Thaddeus HerrmannDieser Tage erscheinen drei Alben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber gleichzeitig viel verbindet: Ihre Produzenten stammen allesamt aus UK und ziehen ihre ganz individuellen Hype-Schleppen hinter sich her. Paul Woolford aka Special Request hat sich dem frühen britischen Rave-Sound verschrieben: dem mit dem Breakbeat. Tougher Typ. Steve Goodman aka Kode9 kümmert sich nicht nur um das famose Label „Hyperdub“, sondern hat sich in den letzten Jahren auch vermehrt als Sprachrohr der immer noch jungen Bass-Szene hervorgetan und veröffentlicht auf seinem Label außerdem als einer von wenigen den Footwork-Sound aus Chicago. Klarer Bonuspunkt. Sein neues Album „Nothing“ ist zudem die erste Platte, die er ohne seinen langjährigen Partner Spaceape aufgenommen hat, wenn auch notgedrungen. Der MC verstarb 2014. Kode9 ist auch so ein tougher Typ. Gar nicht tough hingegen scheint Sam Shepherd aka Floating Points. Sein Album „Elaenia“ ist die im klassischen Sinne musikalischste Platte dieses UK-Trios, die unter anderem deshalb mit großem Interesse erwartet wird. Christian Blumberg, Michael Döringer und Thaddeus Herrmann haben sich die drei Alben kurz vor ihren Veröffentlichungen angehört. Nicht, um sie gegeneinander antreten zu lassen, sondern um zu checken, was so los ist. In UK und in Hype-City. Ein ganz zwangloses Streitgespräch.
##Special Request – Modern Warfare (XL)
Michael Döringer: Das wummst so süß! Breakbeats, Bass und Sirenen. Mehr bleibt mir vielleicht gar nicht in Erinnerung von diesem Album. Ob es nach den üblichen Qualitätskriterien gut oder schlecht ist, habe ich mich auch noch nicht gefragt, aber es macht mir einfach Spaß und wieder große Lust, endlich mal richtigen, alten Jungle zu hören. Das Bedürfnis habe ich seit Jahren, weil ich mich da sehr wenig auskenne. Ich will endlich diese sagenumwobenen Mixtapes aus den 90ern hören, die es ja scheinbar haufenweise gibt und jeden so arg beeinflusst haben. Kann mir jemand was empfehlen?
Thaddeus Herrmann: Diese Tapes gibt es ja gar nicht.
Michael: Aha, eine Hardcore-Continuum-Legende?
Thaddeus: Naja, ein bisschen. Hättest du '94/95 auf dem Camden Market Tapes gekauft oder bei Black Market, dann hättest du viel Geld für viel Scheiße ausgegeben. In der Regel. Perlen waren natürlich dennoch dabei. Was mich an Special Request interessiert, ist die Langsamkeit. Das ist ja in der Tat ein Zeichen für die Frühphase von UK Hardcore, jenseits des ganzen Happy-XTC-Blödsinns. Also eigentlich klassisches House-Tempo, aber eben mit Breaks, dem Gefühl von damals mit der Produktion von heute. So was heute zu bauen, ist kein Problem, die Tracks von damals klangen aber viel roher. Eigentlich ist das Breakbeat-Handtaschenhouse. Da sind ja auch gerade Bassdrums. Ich find das trotzdem gut. Weil es so viel zitiert und ziemlich perfekt in die Gegenwart rettet, was damals wichtig war. Und was damals wichtig war, ist heute ja auch noch wichtig.
Christian Blumberg: Ich hätte mir ein bisschen mehr Nastyness in der Produktion gewünscht. Etwas mehr Dreck in der Rille. Weniger subjektiv: Die Platte ist wie Genrekino. Als solches auch super, vor allem „Elegy“, das ist Quasi-2Step und ein echter Hit. Trotzdem hat Special Request doch wenig Neues zu erzählen und bleibt hier immer im gleichen Modus. Was vielleicht auch Sinn macht, wenn man bedenkt, dass XL das nicht als Album, sondern in Form von drei EPs veröffentlicht.
Michael: Stimmt wohl, aber genau diese Kritikpunkte kommen mir gar nicht in den Sinn. Er muss mir nichts Neues erzählen, weil mich gerade das Alte interessiert, wovon ich wahrscheinlich nur so eine verfälschte Ahnung habe: Meine Jungle-Erfahrungen kommen von Zomby, von Shed/Head High, von Andy Stott oder HATE. Ist das eigentlich authentisch? Das passiert alles wohl mit den Produktionsmethoden von heute, aber dadurch wird es doch auch hörbarer. Und besser, oder? Nastyness schön und gut, aber ein optimierter Sound macht das alles doch viel attraktiver.
Thaddeus: Ihr habt jetzt beide den Begriff „Nastyness" verwendet. Ich mach euch mal schnell einen Nasty-Habits-Track von Doc Scott an, ja? Ist nämlich Sound-mäßig nicht so weit weg von Special Request, nur 35 BPM schneller.
Christian: So viel schneller ist das aber gar nicht! Die Bassline ist bei Doc Scott viel raviger, da ist viel mehr Resonanz drin, weniger Filter. Klanglichkeit ist schon ein Wert für sich. Ein toll gebauter Track interessiert mich nicht, solange er lame klingt. Ich würde Thaddeus’ Einschätzung zustimmen: Special Request ist „Die Form von gestern mit den Produktionsstandards von heute“. Ich würde aber eine andere Konsequenz daraus ziehen und bezweifeln, dass wichtig ist, was wichtig war.
Michael: Noch mal zu den Produktionsmethoden: Ist es hier nicht dasselbe wie bei den 1.000 House-Produzenten, die immer und immer wieder olle Chicago-Standards nachbauen und gerade wegen der besseren Produktion immer auch tolle Tracks abliefern? Bei Jungle ist diese Sache ja noch nicht so sehr ausgeschlachtet. Deshalb ist es vor allem für mich als Laien extrem spaßig. Wir sind uns ja einig, dass es total gut gemacht ist. Jetzt will ich aber wirklich den real deal! Thaddeus, bitte zwei, drei definitive Breakbeat-Classics!
Thaddeus: Fuck me. Den Schuh ziehe ich mir nicht an, nicht mal die „raving shoes“ von Shut Up And Dance.
##Kode9 - Nothing (Hyperdub)
Christian: Genug Geschichtsunterricht, neue Platte: Kode9. Steve Goodman hat über dieses Album gesagt, es habe keinen Gegenstand, es handele von „Nichts“. Das finde ich bemerkenswert, da man ihn ja auch als jemanden kennt, der auf Podiumsdiskussionen davon erzählt, wie sich etwa Subbässe als Waffen einsetzen lassen. Deshalb habe ich dieses „Nichts“ erstmal für Koketterie gehalten – denn tatsächlich geht es um einiges. Vor allem in der zweiten Hälfte integriert Kode9 Footwork in seine Produktionen – allerdings bei halber Geschwindigkeit, beinahe sanft. Das ist ein total interessantes Manöver, denn was passiert mit dieser Musik wenn man ihr die Alleinstellungsmerkmale nimmt? Schließlich gilt Footwork – zumindest in Europa – als affirmative Musik, die man der kulturpessimistischen Entschleunigungsfraktion entgegenhalten kann. Und jetzt macht ausgerechnet Kode9 so eine Art entschleunigten Kuschelfootwork!
Thaddeus: Guter Punkt. Zumal auf Hyperdub gerade eine gute Maxi nach der nächsten rauskommt. Dieses „Off That Loud“ von DJ Spinn ist für mich eines der besten Stücke des Jahres überhaupt. Ich finde „Nothing“ einerseits sehr unentschlossen, andererseits aber auch so drüber, weil so divers und dass es total in Ordnung geht. Da sitzt dieser Typ und fusselt so rum, baut Skizzen, vergisst sie, findet sie wieder und denkt: Ah, cool, mal rausbringen. Das ist kein Album, das ist eine Sammlung von Snapshots, von Momenten. Und weil wir da nicht dabei waren, bei diesen Momenten, erschließen sich einige, andere hingegen nicht. Kakophonischer Wahnsinn irgendwie, aber ganz geil. Hätte ich vor drei Jahren noch nicht über Kode9 gesagt.
Michael: Ich finde das Album bislang überhaupt nicht greifbar. Es verwirrt mich eher, als mich zu anzufixen. Was ja ganz gut ist und mich immer mehr beeindruckt als abstößt. Die Footwork-Adaption passt doch ganz gut zu Kode9 - hat er es mit Dubstep nicht genau so gemacht?
Christian: Weiß ich nicht, waren Hyperdub und Kode9 für Dubstep nicht eher grundlegend? Ich wollte der Platte die Verlangsamung von Footwork auch nicht vorwerfen, im Gegenteil. Diese Umcodierung macht für mich gerade die Relevanz aus.
Michael: Was ist denn die relevante Lehre aus dieser Platte - wird sie andere inspirieren? Wird das neue Wege einleiten? Ich fürchte, sie ist zu sperrig und bleibt leicht hermetisch abgeschlossen, in ihrer eigenen Experimentalität. Aber kann gut sein, dass das für mich auch noch zum Leben erwacht. Ich fühle mich erst mal - wie immer bei Kode9 - wie im totalen Versuchslabor der Clubmusik.
Christian: Sie ist doch gerade nicht hermetisch. Special Request bewegt sich in einem abgesteckten Raum aus Genrekonventionen, Kode9 ist dagegen total offen. Da sind eben noch keine Lehren gezogen geworden, es ist alles noch offen, oder wird sogar geöffnet. Und noch ein ganz anderer Aspekt bei „Nothing“: Die Platte ist vielleicht auch Trauerarbeit. Streng genommen ist es das erste Soloalbum von Kode9 überhaupt – was ja dem Umstand geschuldet ist, dass sein Album-Partner The Spaceape verstorben ist. Eine ganz tragische Konstellation, die sich – vielleicht – in die Musik einschreibt: Sie ist natürlich nicht wirklich traurig oder melancholisch. Aber verglichen mit älteren Kode9-Produktionen ist sie etwas klinisch und konstruiert, als würde etwas fehlen. Und in diesem Fehlen – das eben auch das Fehlen vom Spaceape ist – liegt sozusagen die Tragik der Platte. Das wäre auch wieder ein „Nichts“. Nicht?
Thaddeus: Da schließt sich ja der Kreis. Spaceape taucht hier auch wieder auf, als Referenz, wenn auch als eine sehr persönliche, in die man sich auch gar nicht einmischen darf. Referenz ist aber ein wichtiges Stichwort für mich bei dieser Platte hier. Da geht es um ganz unterschiedliche Einflüsse, die Kode9 hier verarbeitet und in eine nicht näher beschreibbare Form presst – oder ordnet. Und gleichzeitig macht er dabei sein eigenes, zukunftstaugliches Ding. Je schneller die Welt funktioniert, desto merkwürdiger eben die Musik. In Chicago ist das dann eben Footwork, in London vielleicht Kode9. Oder man fährt mit dem Zug drei Stunden nach Norden und landet in Manchester bei Floating Points.
##Floating Points - Elaenia (Pluto)
Christian: Die ist natürlich ganz toll arrangiert und produziert und so. Aber mir ist es zu glatt. Im schlimmsten Fall funktioniert das wie ein Springbrunnen in der Einkaufspassage. Obwohl ich jetzt auch nichts über die Samples sagen kann. Benutzt der überhaupt Samples? Da spielt ja wohl so ein ganzes Ensemble mit. Das Ergebnis ist jedenfalls so progressiv verschmiert. Und ich mag dieses Verständnis von Jazz hier auch nicht: „Elaenia“ stellt eine Virtuosität aus, die mir sehr egal ist.
Thaddeus: Ich kann dir da nur beipflichten. Das ist eine tolle Platte, die aber vollkommen an mir abperlt. Warum ist das so? Ist das zu perfekt umgesetzt oder mit zumindest mit zu viel Perfektion gedacht? Da ist ein Typ, der wird gehypt, macht so okaye Platten und dann halt ein Album. Ein HiFi-Freak, der sich seine eigenen Mixer für das Auflegen bauen lässt. Für einen Job, den er natürlich auch macht, obwohl das gar nicht seine Profession ist. Vielleicht ist Sam Shepherd einfach ein Musiker, der die richtigen Leute kennt, so auch in der richtigen Schublade landet und eine total solide Platte abliefert. Eine Platte, die aber in ihrem Grundtenor ziemlich angestaubt ist, sodass sie niemand wirklich hören will, sie aber dennoch von allen gefeiert werden wird. Es gibt so Platten und Musiker, die gehen dann halt als „Themen“ durch. Das sagt rein gar nichts über die Qualität der Musik, worüber man ja sowieso nicht mehr sprechen darf, weil sich die Frage gar nicht stellt. Ich sage: Das ist eine gute Platte, für die aber leider kein Szenario existiert, in der man sie hören und wertschätzen kann. Das ist eine Referenz, die man sich in den Schrank stellt, um zu zeigen: Klar höre ich „auch andere Sachen“. Und man kann das ja auch super nebenher laufen lassen. Nur: Man erinnert sich an gar nichts im Nachhinein. Und das ist so ein bisschen das Problem der Platte. Er macht das schon gut, gehört aber eigentlich auf die Deutsche Grammophon. Nicht in den Rave-Kontext. Das Gleiche gilt übrigens auch für seinen Kumpel Four Tet.
Christian: Man muss da aber auch die Frage nach der eigenen Disposition stellen: Geht es bei Musik überhaupt um Musik?
Michael: Was ist Musik eigentlich?
Christian: Ha! Ich meinte eher: Hören wir das jetzt als Musik-Musik oder als Popmusik? Angenommen, es ginge um Skills, dann ist Floating Points natürlich irgendwie toll. Aber als Popmusik ist es ziemlich egal.
Michael: Popmusik ist Herrn Floating Points wahrscheinlich auch egal, aber es geht vielleicht trotzdem um mehr als Skills. Das Musik-Prinzip auf diesem Album ist für mich persönlich auch uninteressant, aber: Im ein oder anderen Moment kriegt er sein Jazz-Artrock-Ensemble doch dazu, einen zu berühren. Da schleichen plötzlich ein paar Streicher rein und auf einmal ist man doch verliebt in den Moment. Das kann aber genau so schnell auch wieder vorbeigehen. Ich glaube: Das ist Musik für Musiker. Mucker, wenn man böse sein will. Entweder du fühlst es, oder nicht. Can you feel it? Nö. Ist doch auch immer schön, sowas zuzugeben.